Bundesliga

"Ich bin nicht so ein Riesenarsch, wie man denkt"

Abschlussinterview mit Schmadtke

"Ich bin nicht so ein Riesenarsch, wie man denkt"

Jörg Schmadtke erinnert sich im kicker-Interview an mehr als zweite Jahrzehnte als Fußball-Manager zurück. 

Jörg Schmadtke erinnert sich im kicker-Interview an mehr als zweite Jahrzehnte als Fußball-Manager zurück.  IMAGO/regios24

Jörg Schmadtke kann grimmig dreinblicken, übellaunig sein, einsilbig sprechen. Dann macht es wenig Sinn, mit ihm über Fußball und sein Leben zu reden. Small Talk ist eh nicht sein Ding. In einem seiner letzten Interviews als Geschäftsführer des VfL Wolfsburg aber ist er gesprächig, lacht sogar hier und da und erinnert sich an mehr als zwei Jahrzehnte als Fußball-Manager. Die, zumindest erst einmal, an diesem Dienstag mit dem Wolfsburger Pokalspiel bei Union Berlin zu Ende gehen.

Herr Schmadtke, warum hören Sie überhaupt auf?

Warum ich aufhöre?

Ja, Sie sind noch nicht mal 60.

Das stimmt, aber ich mache das alles nun schon so lange und habe für mich gemerkt, dass es an der Zeit ist, dieses Kapitel zu beenden. Es gibt noch andere Dinge im Leben, die ich machen möchte. Da denke ich in erster Linie an meine Frau, meine Familie, die viele Jahre zurück- stecken mussten.

Wann kam erstmals der Gedanke, diesen Schlussstrich zu ziehen?

Mit 40. (lacht)

Wie bitte?

Na ja, ich hatte damals wirklich schon das Gefühl, dass ich das nicht ewig machen möchte.

Wenn man sich die Hand gegeben hat, dann konnte man sich auf die Gegenseite verlassen. Heute vereinbart man etwas, und wenn der Verhandlungspartner den Raum verlässt, kann man sich nicht sicher sein, dass er sich noch daran erinnert.

Jörg Schmadtke

Als Beobachter hat man in den vergangenen Jahren den Eindruck gewonnen, dass Sie die Fußballbranche zunehmend angewidert hat. Richtig oder täuscht das?

So pauschal lässt sich das nicht sagen. Ich mag den Fußball immer noch, ich liebe dieses Spiel, dem ich schließlich auch sehr viel zu verdanken habe. Aber es gibt ein paar Begleiterscheinungen, die mir nicht gefallen. Die es zu meiner aktiven Zeit auch schon gab, aber mittlerweile nehmen sie Überhand.

Was meinen Sie?

Die Seriosität geht ein Stück weit verloren. Dinge, die überhaupt keine Bedeutung haben, werden aufgebauscht zu Wichtigkeiten, die ich manchmal nicht verstehen kann. Die Mitspieler in dem Geschäft werden immer komischer. Es gibt wenig Verlässlichkeit.

Das war 2001, als Sie als Manager in Aachen angefangen haben, noch anders?

Würde ich schon sagen. Wenn man sich die Hand gegeben hat, dann konnte man sich auf die Gegenseite verlassen. Heute vereinbart man etwas, und wenn der Verhandlungspartner den Raum verlässt, kann man sich nicht sicher sein, dass er sich noch daran erinnert. Das gefällt mir nicht.

Das war eine Mischung aus Neugier und Verzweiflung.

Jörg Schmadtke zur Bewerbung bei Alemannia Aachen

Sie haben damals auf eine Stellenausschreibung von Alemannia Aachen im kicker reagiert und sich beworben auf die Stelle des Sportdirektors. Warum taten Sie dies als erfahrener und bekannter Ex-Profi?

Das war eine Mischung aus Neugier und Verzweiflung.

Warum das?

Zu diesem Zeitpunkt habe ich nach meiner Karriere zusammen mit einem Freund Kunstrasen vertrieben und beim Fernsehen gearbeitet.

Als was?

Ich war Kommentator-Assistent, einmal habe ich sogar ein Interview nach einem Spiel geführt. Im DSF damals, ich glaube Nürnberg gegen Gladbach. Aber eigentlich wollte ich das alles nicht, ursprünglich wollte ich immer Trainer werden.

Und dann hatte ich 2001 den Montagskicker in der Hand mit dieser Anzeige.

Jörg Schmadtke

Die notwendigen Lizenzen haben Sie gemacht.

Das habe ich schon während der aktiven Zeit angefangen, mit 18 hatte ich schon eine Mannschaft gecoacht. Aber dann war ich in Gladbach in Doppelfunktion als zweiter Torwart und Co-Trainer an der Seite von Rainer Bonhof tätig.

Sie wurden entlassen.

Wir waren ja auch nicht besonders erfolgreich. 2001 war ich noch mal Torwarttrainer bei Fortuna Düsseldorf, aber eigentlich hatte ich immer im Kopf, eine Mannschaft zu übernehmen. Ich habe mich auch auf Verbandstrainerstellen beworben. Und dann hatte ich 2001 den Montagskicker in der Hand mit dieser Anzeige. Sportdirektor, dachte ich, das könnte doch auch etwas sein, das dich interessiert.

Sie haben sich durchgesetzt.

Drei Leute, das habe ich im Nachhinein erfahren, waren in der Endausscheidung. Wir mussten ein Konzept schreiben. Das hatte ich kürzlich erst beim Aufräumen in den Fingern. Einer hatte gar kein Konzept verfasst, der andere hatte handschriftlich auf einer Seite was geschrieben. Ich habe acht Seiten abgeliefert.

Auch aus heutiger Sicht durchaus fundiert?

Es war teilweise schon ganz lustig, was ich da geschrieben habe. Aber es hat gereicht, ich hatte den Job.

Im Rückblick ein guter Entschluss?

Es wird sicher auch Menschen geben, die sagen: Wärst du mal besser Verbandstrainer geworden (lacht). Für mich war es gut.

In Ihrer Anfangszeit gab es in Aachen fast nichts.

Einen Computer, keinen Safe mit Spielerverträgen, kein Scouting. Ich saß da im Büro und fragte mich: Was machst du denn jetzt? Das war natürlich ein Nachteil, aber zugleich auch ein Vorteil. So konnte ich Stück für Stück anfangen, den Job für mich so zu gestalten, wie ich es für richtig gehalten habe. Es ging damals Schlag auf Schlag. Das Präsidium musste zurücktreten - nach rund zehn Tagen war ich Teil eines Notpräsidiums, war in jeder Sitzung dabei. Ich habe einen Schnellkurs in Funktionärsarbeit bekommen. Für die Alemannia war es existenzbedrohend, für mich und meinen Job war es zum Lernen perfekt. Meine halbjährige Probezeit habe ich überstanden. (lacht)

Jörg Schmadtke

Jörg Schmadtke in seiner Zeit als Sportdirektor von Alemmania Aachen. imago

Was denken Sie, wenn Sie die Bilder von sich aus der damaligen Zeit sehen. Noch etwas volleres Haar, eine markante Brille …

… was ein hübscher Kerl. Später in Köln habe ich mir die Augen lasern lassen. Mich hat das genervt, wenn die Brille immer beschlagen ist, wenn ich vom Kalten ins Warme ging. Heute brauche ich sie nur zum Lesen, wenn wenig Licht ist.

Sie haben sich im Laufe der Jahre den Ruf der Spürnase auf dem Transfermarkt erarbeitet. Hat Sie das genervt oder hat es Ihnen insgeheim geschmeichelt?

Ich habe solche Attribute eigentlich immer für Blödsinn gehalten.

Mr. Cool, Brummbär, Sturkopf, egozentrischer Trickser, knurrender Underdog, komischer Kauz, großherziger Grummelkopf, das ist eine kleine Auswahl von Beschreibungen Ihrer Persönlichkeit. Was trifft am ehesten zu?

Wenn die Leute glauben, das über mich sagen oder schreiben zu müssen, dann wird das irgendwo eine Berechtigung haben. Trotzdem glaube ich nicht, dass irgendeiner, der so etwas schreibt, mich wirklich kennt.

Wie sind Sie tatsächlich?

Das geht Sie gar nichts an (lacht). Mein Anliegen war nie, mich zu erklären. Aber diese Beschreibungen, die mich begleitet haben, habe ich sicherlich auch selbst ein wenig kultiviert und bedient. Aber wer wissen will, wie ich bin, sollte die Angestellten der Klubs fragen, bei denen ich gearbeitet habe. Außer vielleicht die Trainer.

Mir sind alle Menschen wichtig, die in einem Klub arbeiten.

Jörg Schmadtke

Es sollen schon mal Tränen geflossen sein, als Sie gegangen sind.

Mir sind alle Menschen wichtig, die in einem Klub arbeiten, manchen davon wird vielleicht sogar zu wenig Aufmerksamkeit zuteil. Von der Sekretärin bis zum Zeugwart. Ein Unternehmen funktioniert nicht nur mit zwei, drei Köpfen.

Aachen, Hannover, Köln und Wolfsburg: vier Stationen, unzählige Entscheidungen. Gibt es welche, die Sie, wenn möglich, rückgängig machen würden? Etwa das TV-Interview bei der Alemannia, das zur sofortigen Trennung führte?

Das hat sicher am meisten Beachtung bekommen, das hätte man sich im Nachhinein natürlich sparen können. Trotzdem habe ich damals nur Dinge verkündet, die völlig klar waren, nämlich meinen Abschied zum Saisonende.

Bei Hannover 96 verpflichteten Sie den brasilianischen Offensivspieler Franca, der kleingewachsener ankam als angenommen. Der wurde noch mal publikumswirksam neu vermessen (lacht). Kann passieren.

Beim FC verkauften Sie 2017 Anthony Modeste nach China. Später behauptete er, gegen seinen Willen weggeschickt worden zu sein.

Ich habe noch nie erlebt, dass ein Spieler gegen seinen Willen transferiert wurde. Dazu bedarf es nämlich seiner Unterschrift.

Osimhen? Im Nachhinein ist es natürlich kein guter Move gewesen.

Jörg Schmadtke

Beim VfL wiederum verkauften Sie Victor Osimhen 2018 für kleines Geld nach Charleroi. Mittlerweile spielt er in Neapel und ist 70 Millionen Euro wert.

Als ich hierhergekommen bin, ist er im Kreis gelaufen, und dabei humpelte er auch noch. Die Aussage, die ich damals im Klub bekommen habe, war: Wir haben keinen Stürmer. Diejenigen, die wir haben, seien nicht zu gebrauchen. Im Nachhinein ist es natürlich kein guter Move gewesen.

Gibt es jemanden in der Branche, mit dem Sie noch Redebedarf haben, etwas ausräumen möchten?

Nein, ich habe mit allen so gesprochen, wie ich es im jeweiligen Moment für richtig gehalten habe. Ich habe immer meine Meinung vertreten und auch die Meinungen von anderen zugelassen. Es kann schon sein, dass ich dem einen oder anderen mal ein bisschen doller auf den Schlips getreten bin. Wer sich angesprochen fühlt: Dafür entschuldige ich mich in aller Form!

Welchem Klub sind Sie am emotionalsten verbunden, wenn Sie auf die vier Stationen zurückblicken?

Der emotionalste Klub war ohne Zweifel der 1. FC Köln.

Aus der Zuneigung, die Ihnen zuteilwurde, entstand Abneigung.

Vor allem deswegen, weil die Höhe der Abfindung, die festgeschrieben war in meinem Vertrag, nach außen getragen wurde. Und es wurden Unwahrheiten verbreitet. Ein gefundenes Fressen für Teile der Fans.

Ihnen wurde eine Affäre mit Peter Stögers Frau angedichtet, was diese Fans seither besingen. Was hat das mit Ihnen und Ihrer Familie gemacht?

Glücklicherweise nichts. Abgesehen davon, dass es ehrabschneidend ist, was da gesungen wird, kann so etwas schon mal dazu führen, dass eine Beziehung, sagen wir mal so, in eine Krise gerät. Aber es waren nicht nur die Gesänge. Es gibt auch Menschen aus diesem Kölner Block, die noch heute glauben, mich immer mal wieder anrufen zu müssen. Die pöbeln dann munter drauflos.

Wie reagieren Sie?

In der Regel lege ich auf und blockiere die Nummer.

Der wichtigste Klub war für mich auf jeden Fall Alemannia Aachen.

Jörg Schmadtke

Erfolgreich waren Sie überall, jeden Klub führten Sie ins internationale Geschäft. Haben Sie ein Ranking für sich aufgestellt, was die größte Leistung war?

Nein, das mag ich so auch nicht vergleichen. Der wichtigste Klub war für mich auf jeden Fall Alemannia Aachen. Die beschriebenen Umstände, den Klub nach Ewigkeiten wieder in die 1. Liga zu führen, Pokalendspiel, international dabei, das war besonders. Ich habe überall was gelernt, am meisten zu Beginn in Aachen.

Was war Ihr Erfolgsgeheimnis?

Dass ich kein Erfolgsverhinderer bin. Und mein Ego nicht so groß ist, dass ich glaube, dass ich der einzige Sehende bin.

Zu einem Titel hat es nie gereicht. Ein Makel dieser Managerkarriere?

Es wäre ganz schön gewesen, aber das ist auch nichts, weswegen ich jetzt unglücklich nach Hause gehe. Mir war es wichtiger, die Klubs kennenzulernen, die Potenziale auszuschöpfen und den Verein dorthin zu führen, wo ihn die Leute im jeweiligen Umfeld sehen möchten. Die Klubs, die um Pokale gespielt haben, haben sich für mich nie interessiert.

Hatten Sie sich das erhofft?

Nein. Ich habe immer mein Ding gemacht und geschaut, wann der Zeitpunkt gekommen ist, die Koffer wieder zu packen.

Wenn der VfL in dem Jahr den Pokal holt, wäre das auch Ihr Titel?

Vielleicht ein bisschen.

Jörg Schmadtke und die Trainer. Nervt Sie dieses Thema?

Nein, wieso?

Nicht mit jedem kamen Sie gut aus. Stellen Sie sich vor, Sie treffen sich mit Mirko Slomka, Peter Stöger, Bruno Labbadia und Oliver Glasner. Mit wem hätten Sie am meisten Spaß?

Mit der ganzen Gruppe, ziemlich sicher.

Mit wem könnten Sie sich am besten über Fußball unterhalten?

Da hat jeder seinen Part, der interessant ist.

Bunt, schrill, zuverlässig: Schmadtkes Karriere in Bildern

Wen würden Sie anschweigen?

Ich glaube, ich würde mit allen reden. Und sie würden sicher auch alle mit mir reden.

Mit welchem Coach würden Sie einen gemeinsamen Urlaub planen?

Mit keinem, Urlaub ist für die Familie da. Aber grundsätzlich sage ich, man muss da auch einfach mal unterscheiden. Es gibt fachliche Dinge, da geht es um den Job. Und es gibt Dinge außerhalb des Jobs, da habe ich mit keinem Probleme. Es gibt sogar Menschen, die mich wiedersehen und mit mir einen Kaffee oder ein Bier trinken wollen. Ich bin nicht so ein Riesenarsch, wie man vielleicht denkt.

Hatten es Trainer dennoch schwer unter Ihnen?

Ja.

Warum?

Weil ich nicht einfach etwas hinnehme, wenn mir einer sagt, dass er das so will. Das ist für mich kein Argument.

Haben Sie, der ursprünglich Trainer werden wollte, immer auch wie ein Trainer gedacht?

Schon, ja. Ich konnte Handlungen von Trainern nachvollziehen. Oder manchmal auch nicht.

Schmadtke denkt noch häufig an Robert Enke zurück

War der Fall Robert Enke, der unter Depressionen litt und sich 2009 das Leben nahm, der schwerste Job?

Ganz klar ja. Es war kompliziert, weil du dich an nichts orientieren konntest und eine gesamte Region und ein gesamter Klub völlig aus der Bahn geworfen war von diesem einen Moment. Im Nachhinein würde ich sagen, dass wir damals viele Dinge nicht so schlecht gemacht haben.

Auch die Trauerfeier im Stadion?

Es gab ja Gründe, warum wir da waren. Nach ein, zwei Tagen haben wir gemerkt, welche Welle da auf uns zukommt. Wie sollten wir der Herr werden? Auf dem kleinen Friedhof, auf dem Robert beigesetzt wurde, wäre es ein Chaos geworden. Das Stadion erschien uns als die beste Lösung. Dass es an diesem Ort anschließend für die Mannschaft schwierig war, ist sicher auch ein Teil der Wahrheit.

Denken Sie noch häufig an Robert Enke zurück.

Ja.

Sind Sie noch mal an seinem Grab gewesen?

Nein, ich bin kein Grabbesucher. Aber einer, der in ruhigen Momenten über solche Dinge nachdenkt. Zum Beispiel, ob man im Vorfeld etwas anders oder besser hätte machen können.

Haben Sie nicht die Befürchtung, dass Ihnen dieser Job mit all seinen Höhen und Tiefen schnell fehlen wird, wenn nun Schluss ist?

Ich kann es nicht beantworten. Es kann sein, dass ich es nach drei Monaten nicht mehr aushalte oder, viel schlimmer, dass meine Frau mich wieder rausjagt. Ich glaube es ehrlich gesagt aber nicht, es gibt noch viele Dinge auf dieser Welt, die ich sehen und erleben will, um die ich mich kümmern möchte.

TV-Experte? Diese Klugscheißerei gefällt mir eigentlich nicht.

Jörg Schmadtke

Werden Sie noch Fußball schauen?

Ganz bestimmt, wahrscheinlich aber nicht mehr immer auf der VIP-Tribüne. Eher mal mit einem Kumpel auf der Gegengerade mit einem Bier in der Hand.

Den TV-Experten Schmadtke ...

… wird es eher nicht geben. Es sei denn, man findet ein völlig anderes Format. Aber diese Klugscheißerei gefällt mir eigentlich nicht.

Welche Stellenausschreibung im kicker könnte Sie noch mal ansprechen? Würde Sie der Verband noch mal reizen?

Ich als DFB-Präsident? Das ist eher auszuschließen.

Weil?

Weil ich eher Pragmatiker bin als ein Funktionär.

Interview: Thomas Hiete