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Huddersfield nimmt den Bus: Wie David Wagner die größte Sensation der Premier-League-Saison schaffte

Die größte Sensation der Premier-League-Saison

Huddersfield nimmt den Bus

Bauchfrei in London: Nur Huddersfield-Trainer David Wagner ging nach dem Coup an der Stamford Bridge in die Luft.

Bauchfrei in London: Nur Huddersfield-Trainer David Wagner ging nach dem Coup an der Stamford Bridge in die Luft. picture alliance

Als das Spiel an der Stamford Bridge abgepfiffen war, musste Chelsea-Trainer Antonio Conte erst einmal lange warten. Er hatte sich nach dem 1:1 vorgenommen, jedem Spieler von Huddersfield Town persönlich zum Klassenerhalt zu gratulieren, die waren aber erst einmal mit ihrem Trainer beschäftigt. Schon bald flog David Wagner in den Londoner Nachthimmel, kurz musste man sich sogar Sorgen machen, er verliere bei der wilden Werferei seine Trainingshose.

Dann hatte es Conte geschafft, und dass gerade er der erste von vielen externen Gratulanten wurde, hatte schon etwas von "ausgerechnet". Erst im April hatte der Italiener schließlich die krude Behauptung aufgestellt, dass es "auch mit kleinem Budget" leichter sei, gegen den Abstieg zu spielen als wie er um einen Titel - es gehe ja nur darum, "den zu vermeiden", an der Tabellenspitze dagegen könne jedes Jahr nur einer gewinnen.

Huddersfields Etat ist knapp halb so groß wie der zweitkleinste der Liga

Das hatte schon damals keiner verstanden, am Mittwochabend war es endgültig als verbaler Fehltritt entlarvt. Huddersfield war ja nicht irgendein Aufsteiger, der da einen Spieltag vor Schluss den Klassenerhalt sicherte, sondern der mit dem deutlich kleinsten Etat der ganzen Liga (ca. 33 Millionen Euro - knapp halb so groß wie der zweitkleinste, Brightons); der erstmals seit 45 Jahren wieder erstklassig spielte ; der zu Beginn seiner Aufstiegssaison, also vor nicht einmal zwei Jahren, noch von Sachverständigen als Zweitliga-Absteiger gehandelt worden war; der "größte Underdog aller Zeiten", wie ihn Trainer Wagner selbst zu nennen pflegt, ohne dass ihm bisher jemand deswegen Übertreibung vorgeworfen hätte. "Eigentlich", hatte er vor der Saison gesagt, "dürften wir in dieser Liga gar nicht mitspielen."

Wir arbeiten unter Bedingungen, die nicht einmal Zweitliga-Bedingungen sind.

David Wagner

Bislang hat sich, außer vielleicht manchem pragmatischen Sportwetter, niemand beschwert, erst recht nicht Meister ManCity und Ex-Meister Chelsea, denen Huddersfield in den letzten Tagen je einen Punkt abgerungen hatte, die letzten beiden, die noch zum Klassenerhalt gefehlt hatten. Und beide waren echte Außenseiter-Coups. An der Stamford Bridge zum Beispiel: 22 Prozent Ballbesitz, 0:9 Ecken, 3:22 Schüsse und doch ein Punkt, der Wagner ebenso gefiel wie seinem Freund Jürgen Klopp , dessen Liverpooler von Chelsea nun kaum noch abzufangen sind. Wer hätte im 150.000-Einwohner-Städtchen Huddersfield zu träumen gewagt, dass das abschließende Heimspiel gegen Arsenal und Arsene Wenger eine reine Spaßveranstaltung wird?

Erfahrung? Wagner setzte lieber auf ein Team, das auch wirklich eines war

"Das ist größer als der Aufstieg letzte Saison", hielt Wagner am Mittwochabend fest, als er wieder gelandet war. "Letztes Jahr wurde unser Abstieg aus der 2. Liga vorhergesagt und wir sind aufgestiegen. Diese Saison hieß es, wir steigen hochkant ab, und ich konnte das verstehen. Wir arbeiten unter Bedingungen, die nicht einmal Zweitliga-Bedingungen sind. Aber Teil unserer DNA, der Huddersfield-Town-DNA ist es, es trotzdem zu versuchen. Leidenschaft, Hunger, Teamspirit - Größe ist nicht alles!"

Die 100 Millionen Euro, die der Aufstieg dank des TV-Vertrags brachte, hatte Huddersfield nur teilweise in die Mannschaft investiert und dabei genau auf DNA-kompatible Verstärkungen geachtet . Torjäger Steve Mounié (Montpellier) war mit 13 Millionen Euro die teuerste, dazu kamen wie immer ein paar Neue aus Deutschland, Torwart Jonas Lössl aus Mainz etwa, einer der Nichtabstiegsgaranten in einem Team, das auch wirklich eines war.

Am Ende stand Huddersfield genau eine Woche lang auf einem Abstiegsplatz

Dass Huddersfield dann genau eine Woche lang auf einem Abstiegsplatz verbrachte, und das auch nur wegen der schlechteren Tordifferenz, macht Wagner besonders stolz. "Wir haben es allein geschafft, ohne auf irgendjemanden angewiesen zu sein." Selbst nach den fünf Niederlagen in Folge zu Jahresbeginn verlor niemand die Nerven. Angeführt von Abwehrchef Christopher Schindler (1999 bis 2016 bei 1860 München), den Wagner im kicker "ligaweit zu den Top-Innenverteidigern" zählt , gelang die größte Sensation dieser Premier-League-Saison. Erst zum dritten Mal überhaupt blieben damit alle drei Aufsteiger drin.

Lust, nach Hause zu fliegen, hatte danach keiner. "Die Jungs wollen mit dem Bus zurückfahren", verriet Wagner, der selbst längst von Leicester & Co. umworben wird, aber erst mal mit Klubbesitzer Dean Hoyle sprechen will . "Sie haben 48 Stunden und wir werden machen, was sie sagen. Also fahren wir mit dem Bus heim." Wie es sich für einen Underdog ja auch gehört.

jpe