Bundesliga

TSG Hoffenheim: Hopp, Rogon und der Klub in Brasilien

Was hinter dem Netzwerk um den Hoffenheim-Mäzen steckt

Hopp, Rogon und der Klub in Brasilien

Der Mäzen und der Berater: Dietmar Hopp (li.) und Roger Wittmann sind Freunde. Ihre Geschäfte weckten immer wieder Argwohn.

Der Mäzen und der Berater: Dietmar Hopp (li.) und Roger Wittmann sind Freunde. Ihre Geschäfte weckten immer wieder Argwohn. imago images

Was ist in Balneario Camboriu im brasilianischen Bundesstaat Santa Catarina entstanden? Ein aufstrebender Fußballklub? Eine Filiale der TSG Hoffenheim? Oder eine Tochter der Spielervermittleragentur Rogon in Kooperation mit dem Bundesliga-Klub?

Die Geschichte des Barra Futebol Clube ist noch jung, sie beginnt wie ein Märchen. Obwohl der Verein erst im Januar 2013 gegründet wird und seither in den wenig reizvollen Regionalmeisterschaften B und C dümpelt, hält er die Rechte an Profis, die deutlich über diesem Niveau liegen. Yann Rolim etwa kommt im Juli 2013. Kein Superstar, aber immerhin 2014/15 bei Vitoria Setubal in Portugals 1. Liga. 2015/16 war er beim FSV Frankfurt und 2016/17 beim Karlsruher SC in der deutschen 2. Liga aktiv. 2017/18 bei Aalborg BK in Dänemarks Beletage. Sechsmal verlieh Barra den heute 26-Jährigen.

Rolim ist kein Einzelfall. Da wäre zum Beispiel noch Matheus Biteco. Ein aufstrebendes Talent, das sich mit Chapecoense anschickte, den zweitwichtigsten Klubwettbewerb Südamerikas zu gewinnen. Ehe es zum tragischen Flugzeugabsturz am 28. November 2016 mit 71 Toten kam, darunter Biteco mit fast all seinen Mannschaftskollegen. Wie kommt ein sportlich so bedeutungsloser Klub wie Barra an derartige Profis?

Die Struktur und die Namen hinter dem Barra Futebol Clube führen zur Berateragentur Rogon. Und neuerdings auch zu Dietmar Hopp, dem Mäzen der TSG Hoffenheim.

Präsident, Analyst, Scout: Doppelrollen bei Klub und Agentur

Die enge Beziehung des Mitbegründers des Softwarekonzerns SAP zur Agentur seines Freundes Roger Wittmann erregt seit jeher Aufsehen. Dass Hopp Gefallen gefunden hat am Transferbusiness, ist nichts Neues. Schon 2012 hatte der heute 81-Jährige die Transfair Rechteverwertungsgesellschaft mbH & Co. KG mit ins Leben gerufen, ein Vehikel für Third Party Ownership (TPO). TPO-Geschäfte funktionieren so: Eine Gesellschaft wie Transfair übernimmt die Kosten eines Transfers für den Klub, erhält dafür Teile der Rechte an dem Profi und partizipiert so an einer Wertsteigerung beim Weiterverkauf. In der Süddeutschen Zeitung wurde damals Hopps Co-Geschäftsführer in der Transfair, Mariano Maroto Lopez, so zitiert: Es bestehe so die Chance, Talente früh an sich zu binden, ohne sie aus ihrer Umgebung reißen zu müssen.

Das System: Transfair kauft einen Jungprofi und verleiht ihn direkt wieder an seinen Heimatklub.

So soll es bei Guilherme Biteco gelaufen sein, der via Rogon im Winter 2012/13 mit 19 Jahren nach Hoffenheim vermittelt und direkt wieder an seinen Stammklub Gremio Porto Alegre verliehen wurde. Die Idee: Transfair übernimmt einen erheblichen Anteil der Kosten, der Spieler reift im Idealfall auf Leihstationen auf Bundesliganiveau, kommt dann zur TSG, entwickelt sich zum Star und wird teuer weiterverkauft. Ein risikoloses Geschäft für den Verein, das beispielsweise im Falle Roberto Firmino, heute ein Star beim FC Liverpool, aufging. Doch dazu später mehr.

Das Barra-Netzwerk

Das Barra-Netzwerk: Die "Rawi Investimentos Ltda.", die den Rogon-Managern Roger Wittmann und Christian Rapp gehört, teilt sich in Balneario Camboriu (Brasilien) ein Büro mit der Braho, die mittelbar mit Dietmar Hopp verbunden ist und der mittlerweile der Barra FC gehört. kicker

Kurz nach der Berichterstattung der SZ zog sich Hopps "DH-Holding Verwaltungs-GmbH" im Juli 2013 von Transfair zurück. Es übernahm die Comaro Management-GmbH, die Maroto Mariano Lopez gehörte. Hopp war offiziell draußen, der langjährige SAP-Manager Lopez gilt als Intimus des Mäzens.

Sieben Jahre später, im Frühjahr 2020, benannte sich die Comaro um in Hobra Verwaltungs-GmbH. Deren alleiniger Gesellschafter ist die Hobra Holding GmbH, die wiederum der DH-Holding GmbH und der ILC Besitz GmbH & Co. KG gehört. Geschäftsführer dieser beiden Firmen ist Dietmar Hopp. Lopez blieb Geschäftsführer der Hobra Verwaltungs-GmbH.

Von 30. Juli bis 8. Oktober 2020 hielt eine Schweizer Gesellschaft namens Sports Media Rights AG (SMR) ein Prozent an der Hobra Holding GmbH. Wer hinter der SMR steckt, ist unklar. Doch der Sitz dieser Firma in der Müllerstraße 5 in Zürich gestattet Rückschlüsse. Dort teilten sich der Rechtsanwalt Walter Sticher, Verwaltungsrat der SMR, und eine Gesellschaft namens Fidinter Treuhand AG bis vor Kurzem Briefkasten und Klingel. Wer zur SMR wollte, der musste "Bei Fidinter Treuhand AG läuten", verriet das Klingelschild. Zudem ist im Schweizer Firmenindex die Fidinter in der Müllerstraße 5 als Anschrift der Sceptrum AG hinterlegt. Eine Gesellschaft, die gemeinsam mit Christian Rapp die SPR Imoveis in Porto Alegre hält. Rapp ist 2018 zum Partner bei Rogon aufgestiegen und gilt als Roger Wittmanns rechte Hand. Die SPR Imoveis sitzt an derselben Adresse wie andere brasilianische Rogon-Ableger in Porto Alegre. Zudem hängen Rapp (als Gesellschafter) und der Sceptrum-Verwaltungsrat Andreas Oberle (als Geschäftsführer) in einer weiteren Firma zusammen, der Rotanev GmbH. Sitz: Müllerstraße 5, Zürich.

Sticher ist zum Januar 2021 umgezogen, wie ein Anruf bei der Fidinter ergibt. In den Rennweg 35 in Zürich. Dort sitzt eine weitere Firma, bei der Sticher seit Gründung im November 2012, also kurz vor Entstehung des Barra FC, den Verwaltungsrat gibt: die Bogardus AG. Diese war laut brasilianischem Handelsregister Gesellschafter der am 18. Januar 2013 gegründeten Barra Futebol Clube Ltda., der Rechtseinheit hinter dem Klub aus Balneario Camboriu. Vertreten wird sie von Benjamin Pereira Sobrinho, zugleich Präsident des Barra FC.

Auch die Besitzer der Bogardus AG bleiben unbekannt. Fragenkataloge dazu beantworten weder die TSG noch Hopp oder Rogon. Sticher erklärt: "Ich kann Ihnen weder zur Sports Media Rights AG noch zur Bogardus AG irgendwelche Auskünfte erteilen."

Barra-Präsident Sobrinho jedenfalls arbeitet - oder arbeitete - laut den brasilianischen Medien Folha de Sao Paulo und Globoesporte als Rogon-Scout. Er wäre nicht der Einzige mit einer Doppelrolle als Vertreter des Vereins und der Beratungsagentur: Ausweislich seines Profils im Karrierenetzwerk Linked-In arbeitete Marcos Menezes von Dezember 2013 an als Scout und Marktanalyst für Rogon - und von 2014 an in gleicher Funktion beim Barra FC. Barra-Präsident Sobrinho war zudem Chef der mittlerweile geschlossenen Gesellschaft Tricolor Esporte Clube/Somar Assessoria Esportiva Eireli - deren Gesellschafter war die Sports Media Rights AG aus Zürich.

Offensichtlich wird die Nähe zwischen Rogon und dem Klub direkt vor Ort. Denn die offizielle Anschrift des Barra Futebol Clube lautet: Balneario Camboriu, Rua 901, n. 400, sala 804. Was so viel bedeutet wie: 901. Straße, Nr. 400, Raum 804. Direkt im Raum nebenan, sala 805, weisen zwei Online-Auskunfteien den Sitz eines Ablegers der 2011 in Porto Alegre gegründeten Firma Rawi Investimentos Ltda. aus. Deren Gesellschafter sind Christian Rapp und Roger Wittmann.

Unklar ist die Rolle des Geschäftsführers von Rogon-Brasil

Die Daten der Auskunfteien scheinen nicht mehr aktuell. Die Adresse der Rawi-Tochter in Balneario Camboriu lautet gemäß brasilianischem Finanzregister: Avenida do Estado Dalmo Vieira 2425, Sala 401. Offenbar teilt sich die Firma von Rapp und Wittmann in dem schick verglasten Hochhaus nun ein Büro mit einer Unternehmung, als deren Gesellschafter die Hobra Verwaltungs-GmbH fungiert. Braho Administracao de Bens Ltda. heißt diese am 6. November 2019 gegründete Firma. Sie sitzt in der Avenida do Estado Dalmo Vieira 2425, Sala 401 B - und übernahm kürzlich die Rolle des Gesellschafters am Barra FC anstelle der Bogardus AG. Als Vertreterin der Braho fungiert Keila Pereira Benigno. Auf dem Papier also sind die Bande gelöst von den Schweizer Gesellschaften Bogardus und SMR, die auf eine Nähe zu Rogon-Vertretern schließen lassen.

Die Frage ist, wie das in der Praxis aussieht. Die Braho-Repräsentantin Keila Pereira Benigno, eine Juristin, trat schon in einem älteren, dem kicker vorliegenden Transfervertrag als Vertreterin des Barra FC auf, weit vor der Übernahme durch die Braho. Unklar ist die Rolle des Geschäftsführers von Rogon-Brasil, Brunno Cesar Alves Ramos. Im Sommer 2020 soll er noch den Transfer eines Innenverteidigers namens Neris von Barra zu Al-Wasl mitverhandelt haben - den Eindruck erweckt ein Facebook-Post einer ebenfalls involvierten Vermittleragentur. Es wäre nach Sobrinho und Menezes die nächste Doppelrolle zwischen Beratungsagentur Rogon und Barra FC. Und letztlich aufgrund der Firmen Hobra und Braho auch eine Frage für die TSG Hoffenheim und deren Gesellschafter Hopp.

Dietmar Hopp

Dietmar Hopp im Stadion bei der TSG Hoffenheim. imago images

Dessen Nähe zur Agentur von Roger Wittmann sorgte schon 2012 für Kritik. Damals lud der Milliardär Fans zu einer Aussprache ein. Der Rhein-Neckar-Zeitung sagte er kurz darauf mit Blick auf seinen Freund Wittmann: "Oft entstehen Freundschaften aus Geschäftsbeziehungen, die man dann doch nicht abbricht. Ich bin davon überzeugt, dass man sehr wohl, auch im Fußball, mit Freunden Geschäfte machen kann. Und im Übrigen haben wir eine Zusammenarbeit mit sehr vielen Spielerberatern."

Doch die Sache mit Barra hätte eine andere Dimension. Auf den ersten Blick wäre sie eine Art Kopie des Modells Red Bull: Über einen Satellitenklub werden Talente gebunden und entwickelt. Auf den zweiten Blick aber institutionalisiert sie die Zusammenarbeit eines Bundesligisten mit einem Klub, der mutmaßlich von einer Berateragentur gegründet und geführt wurde.

"Es handelt sich um eine Form des modernen Sklaventums

Seit die FIFA 2015 die Third Party Ownership (TPO) verboten hat, versuchten sich Spielervermittler wiederholt an Umgehungsmodellen. "Vereinbarungen zwischen einem Verein und einer dritten Partei, wie zum Beispiel einer Sportagentur, einem Investmentfonds oder privaten Investoren, mit dem Ziel, dass die dritte Partei eine wirtschaftliche Beteiligung an künftigen Transfers eines Fußballers erhält, degradiert einen oft noch sehr jungen Spieler zu einem Quasi-Leibeigenen verschiedener Beteiligter", kritisiert Hans-Joachim Eckert. "Es handelt sich um eine Form des modernen Sklaventums und ist ethisch und moralisch verwerflich." Der frühere Staatsanwalt, Richter und Vorsitzende der FIFA-Ethikkommission sieht in "derartigen Praktiken Merkmale von Menschenhandel, die durch die Verwendung des Wortes Spielertransfer nur verschleiert werden". Für Eckert besteht "grundsätzlich die Gefahr, dass Vereine aller Art zum Spielball von Finanzinteressen und als Renditeobjekt betrachtet werden. Damit würde der Sport jegliche Glaubwürdigkeit verlieren".

Die alten Strukturen und die Personen hinter Barra erweckten den Eindruck einer solchen TPO-Umgehung. Neben Yann Rolim oder Matheus Biteco wäre da noch der bereits genannte Neris. Laut dem Portal transfermarkt.de seit 2013 bei Barra, siebenmal verliehen, zwischen 2018 und 2020 mit 56 Einsätzen für Boavista Porto in Portugals 1. Liga, im Sommer verkauft an Al-Wasl in Dubai. Wellington Melo oder Luis Salazar haben ähnlich bewegte Leih-Karrieren hinter sich. Auch Gabriel Silva wurde seit 2015 sechsmal verliehen, unter anderem an den brasilianischen Spitzenklub Gremio Porto Alegre und später den FSV Frankfurt, damals noch Zweitligist. Der Verteidiger hatte sich im Februar 2015 Barra angeschlossen.

Wie kreativ man im Kraichgau in Sachen TPO war, zeigt der Deal mit Roberto Firmino, beraten von Rogon. Laut Football Leaks kaufte die Transfair der TSG 85 Prozent der Rechte an dem 2011 nach Hoffenheim gewechselten Brasilianer im Dezember 2014 für 20 Millionen Euro ab. Wenige Monate bevor die FIFA TPO verbot. Die anderen 15 Prozent soll Transfair bereits zuvor von zwei Gesellschaften in Brasilien erworben haben. Als Firmino im Sommer 2015 für 41 Millionen Euro zum FC Liverpool wechselte, hätten laut Football Leaks rund 70 Prozent von der TSG an Transfair weitergereicht werden müssen. Tatsächlich wies die Spielbetriebs-GmbH der TSG zum 30. Juni 2016 18,2 Millionen Euro Verbindlichkeiten gegenüber Transfair aus. Ein Jahr später waren es knapp 9 Mio., 2018 wurde der Posten im Jahresabschluss nicht mehr erwähnt.

Mit Wittmanns Brasilianern machte die TSG auch glänzende Geschäfte

Verdiente Rogon bei den Geschäften mit der Transfair? Ob Alexander Rosen 2017 einen Seitenhieb landen wollte? Damals sagte der Hoffenheimer Manager: "Durch so surreale Geschichten im Hintergrund wie etwa Transferbeteiligungen von Beratern im achtstelligen Bereich entsteht eine immer größer werdende Distanz. Das verstört die Menschen zu Recht, und es entfernt sie vom ursprünglichen Kern, nämlich dem Spiel an sich."

Joelinton

Einst bei der TSG Hoffenheim unter Vertrag: Joelinton. imago images

Ein früherer Vereinsmitarbeiter beschrieb den Einfluss der Transfair auf die Personalplanung der TSG so: "Da lagen dann zehn Brasilianer auf dem Tisch, wir haben uns gesagt: Verhindern können wir das nicht, lass uns den Besten nehmen." Zur Wahrheit gehört jedoch ebenso: Mit Wittmanns Brasilianern machte die TSG auch glänzende Geschäfte. Firmino, davor Carlos Eduardo und Luiz Gustavo, zuletzt Joelinton. Der Stürmer kam für 2 Millionen Euro von Recife Sport und ging 2019 für 45 Millionen Euro zu Newcastle United.

Joelinton war in dem Sommer in den Kraichgau gekommen, in dem Firmino an die Anfield Road gewechselt war. Außer Joelinton brachte Rogon mit In-Hyeok Park, Christoph Martschinko, Felipe Pires, Marko Maric und Toni Colak 2015 gleich fünf weitere Klienten in Hoffenheim unter. Ihre Bilanz: diverse Ausleihen, null Pflichtspiele. Pires schaffte es immerhin zweimal in den Bundesliga-Kader. Colak, mittlerweile bei PAOK Saloniki unter Vertrag, brachte es im November 2020 zum Nationalspieler Kroatiens.

Eine Anfrage des kicker an die TSG und Hopp, bei welchen Personalien neben Firmino, Guilherme Biteco, Romario (kam 2013 von EC Vitoria), Junior Ponce Pardo (2013 von Alianza Lima) oder Luis Advincula (2013 von Simferopol) Hoffenheim außerdem noch mit der Transfair zusammenarbeitete, blieb ohne Antwort. Advincula kam zumindest auf 75 Bundesligaminuten, Ponce Pardo und Romario schafften es nie in den Spieltagskader.

Wie Ponce Pardo und Romario erging es auch Guilherme Biteco, Bruder des verunglückten Matheus Biteco, der 2016 eine Reha bei der TSG absolvierte. Guilherme jedenfalls, gekommen im Januar 2013, hatte die Hoffenheimer nach diversen Leihgeschäften zu diesem Zeitpunkt schon wieder verlassen. Im Januar 2016 kehrte er zurück nach Brasilien. Zum Barra Futebol Clube.

Benni Hofmann