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Brehme, Eckel und Hölzenbein im kicker-Interview 2012

Brehme, Eckel und Hölzenbein im kicker-Interview 2012

"Hätte ich sagen sollen, der hält sowieso alle Elfmeter?"

Weltmeister aus drei Generationen: Andreas Brehme, Horst Eckel und Bernd Hölzenbein (v. li.) im Februar 2012.

Weltmeister aus drei Generationen: Andreas Brehme, Horst Eckel und Bernd Hölzenbein (v. li.) im Februar 2012. Kunz

Herr Hölzenbein, Deutschland wird 1954 sensationell Weltmeister. Sie waren acht Jahre alt. Wie haben Sie das Endspiel erlebt?

Bernd Hölzenbein: Vor dem Fernseher. Mein Vater hatte mich Stunden vor dem Anpfiff in Dehrn in die Kneipe gesetzt, auf einen Stuhl in der ersten Reihe. Das Lokal wurde voll und einige sagten, Kleiner, verschwinde. Ich habe mich an den Stuhl geklammert, bis mein Vater kam und mich auf den Schoß nahm.

WM-Finalspiele 1954, 1974 und 1990

Wie war die Stimmung?

Hölzenbein: Wie heute. Beim 0:2 haben alle geschimpft. vor allem auf dich, Horst, weil du nicht eng genug an deinem Mann warst.

Horst Eckel: Das war ich nie! (lacht)

Hölzenbein: Nach dem 3:2 lagen sich alle in den Armen. Einige sind im Freudentaumel mit den Köpfen aneinander, schlugen sich Zähne aus.

Andreas Brehme: Ich habe Bilder von Bern erst Jahre später gesehen. Dafür im Farbfernseher …

Witzig. Wenn Sie an Ihr Endspiel denken, Herr Eckel: Was schießt Ihnen spontan durch den Kopf?

Eckel: Der Schlusspfiff. wir standen zusammen und haben uns gratuliert. Das war anders als heute. Wir Weltmeister! Damit hatte niemand gerechnet. Selbst Sepp Herberger nicht.

Zum Tod von Andreas Brehme

Was wussten Sie von Ihrem Gegenspieler Nandor Hidegkuti?

Eckel: Herberger wusste alles über die Ungarn, kannte jeden Spieler, ob einer Links- oder Rechtsfuß war. Keine Ahnung, woher er die Infos alle hatte.

Brehme: 0:2 in Rückstand, strömender Regen. Horst, ihr habt Charakter gezeigt. Hut ab vor dieser Elf!

Herr Hölzenbein, 20 Jahre später war Deutschland der Favorit.

Hölzenbein: Auch wir hatten gegen Holland nur noch den Abpfiff herbeigesehnt. Mein Glück war 1974 ausgerechnet das 0:1 gegen die DDR.

Wie profitierten Sie davon?

Hölzenbein: Ich hatte im Training meine Tore gemacht, aber an Gerd Müller kam ich nicht vorbei. Keine Chance! Nach dem DDR-Spiel sagte Helmut Schön, jetzt kriegst du deine Chance. Erst als Rechtsaußen, später bis zum Schluss als Linksaußen.

Die Wasserschlacht gegen Polen in Frankfurt war Ihr erstes Länderspiel über 90 Minuten.

Hölzenbein: Mit 28 Jahren. Ich war ein absoluter Spätstarter, hatte alles versucht, um in die Mannschaft zu kommen. Ich gehörte nicht zu denen, die nachts mal nach St. Pauli abgehauen sind. Ich bin abends brav ins Bett.

Herr Brehme, am Kalterer See 1990 ging es lockerer zu, oder?

Brehme: Wir haben von einer guten Stimmung profitiert. 4:1 gegen Jugoslawien, der Sieg gegen die Vereinigten Arabischen Emirate, im Achtelfinale das 2:1 gegen Holland. Das 1:0 gegen die CSSR war unser schlechtestes Spiel, gegen England das beste. Es ging 120 Minuten hoch und runter. Im Elfmeterschießen waren wir einfach die Glücklicheren. Unsere Elfer waren alle sehr gut geschossen.

Meine Ecke hatte ich mir vorher ausgesucht. Wenn du unterwegs nachdenkst und die Ecke wechselst, ist es vorbei.

Andreas Brehme über den Elfmeter im WM-Finale 1990

Hatten Sie geübt?

Brehme: Nein. Elfmeterschießen kann man nicht üben. Ob im Training oder vor 80.000 Zuschauern - das ist ein Riesenunterschied.

Hatten Sie im Endspiel beim Anlaufen kurz den Gedanken, was ist, wenn Sie jetzt verschießen?

Brehme: Dann hätte ich nicht antreten dürfen. Du musst selbstbewusst sein. Meine Ecke hatte ich mir vorher ausgesucht. Wenn du unterwegs nachdenkst und die Ecke wechselst, ist es vorbei.

Wie haben Sie ausgeblendet, was auf dem Spiel stand?

"Irgendwann habe ich mir das Ding geschnappt": Andreas Brehme vor dem Elfmeter im WM-Finale 1990. imago images/Sammy Minkoff

Brehme: Das größte Problem war, dass ich sieben oder acht Minuten warten musste. Die Argentinier diskutierten mit dem Schiedsrichter, schlugen den Ball weg. Irgendwann habe ich mir das Ding geschnappt. Und reingehauen.

Was wussten Sie über Torwart Sergio Goycochea?

Brehme: Alles. Argentinien hatte Jugoslawien und Italien erst im Elfmeterschießen ausgeschaltet, stand nur wegen Goycochea im Finale. Er hatte schon ein paar Elfer gehalten.

Trotzdem blieben Sie cool.

Brehme: Hätte ich sagen sollen, der ist so gut, der hält sowieso alle Elfmeter?

Eckel: Beim FCK war Fritz Walter unser Mann für die Strafstöße.

Stichwort Fritz Walter. Wie war Ihr Verhältnis zu ihm?

Eckel: Fritz war nicht nur mein Mitspieler. Er war zwölf Jahre älter. Das war ein Vater-Sohn-Verhältnis. Walter hat mich beim FCK und in der Nationalelf in die Mannschaft geholt. Er wusste, warum. Ich war der Dauerläufer, Fritz der große Fußballer.

1974 war Beckenbauer der Chef. Wie schwierig war es für Sie als Frankfurter mit "Kaiser Franz"?

Hölzenbein: Erst mal zu Fritz Walter. Er war mein Idol. Seine Bücher habe ich verschlungen. Ich wusste alles von Fritz, habe ihn verehrt, seine Gedanken verinnerlicht.

Wie war das erste Treffen?

WM-Finale 1990 - Brehme ist der Held

Hölzenbein: Als Kind war ich mit meinem Vater bei einem Spiel von Kaiserslautern in Frankfurt.

Eckel: Wir haben damals gewonnen.

Hölzenbein: Das weiß ich nicht mehr.

Eckel: Ich schon!

Mein Lebenstraum war, bei TuS Dehrn in die Erste zu kommen. Deshalb bin ich sogar mit Stollenschuhen in die Kirche gegangen.

Bernd Hölzenbein

Hölzenbein: Egal. Ich stand draußen und Fritz saß im Bus und schaute mich an. Ich dachte, weil ich so viel über ihn wusste und nachts unter der Bettdecke seine Bücher gelesen hatte, kennt er mich auch. Also habe ich ihm gewinkt - und war enttäuscht, dass er nicht zurückgewunken hat. Später als Bundesligaspieler habe ich ihn dann wirklich kennengelernt. Und war ihm nicht mehr böse.

Sie galten mal als FCK-Fan?

Hölzenbein: Wegen Fritz Walter und Horst Eckel. An die Eintracht hatte ich nie gedacht. Mein Lebenstraum war, bei TuS Dehrn in die Erste zu kommen. Deshalb bin ich sogar mit Stollenschuhen in die Kirche gegangen.

Zurück zur WM 74. Wie war es mit Beckenbauer?

Hölzenbein: Ich hatte nichts zu sagen, war in nichts involviert. Die Bayern waren sauer, weil wir sie vor der WM aus dem Pokal geworfen hatten. Es gab Spannungen.

Mit wem?

Hölzenbein: Gerd Müller machte wegen seiner Tore schon ein bisschen den Chef. Franz Beckenbauer war anfangs eher zurückhaltend.

Bis nach dem DDR-Spiel.

Hölzenbein: Da legte der Franz los, forderte Konsequenzen. Mit ihm hatte ich nicht geredet und überhaupt keine Beziehung. Es gab kein aufmunterndes Wort oder so.

Eckel: Fritz konnte auch Chef sein …

Beckenbauer forderte Sie.

Hölzenbein: Und Rainer Bonhof. Ich war nicht dabei, als bis morgens um fünf Uhr Rotwein getrunken wurde. Nach dem 0:1 gegen die DDR soll das ja so gewesen sein.

Herr Brehme, Sie waren 1990 Führungsspieler. Wurde bei Ihnen denn mehr geredet?

Brehme: Auf alle Fälle. Jürgen Kohler, Guido Buchwald, Pierre Littbarski, Lothar, Klinsi, wir hatten viele Führungsspieler. Wir waren schon älter, mussten Verantwortung übernehmen. Holz war noch ein junger Kerl.

Hölzenbein (ironisch): Klar. Es ist natürlich ein Unterschied, ob man wie du, Andi, mit fast 30 oder wie ich mit 28 Jahren Weltmeister wird.

Eckel: Ich war mit 22 der Jüngste. Damals waren auch in den Klubs nicht viele junge Spieler. Beim FCK war ich mit 18 ebenfalls der Jüngste.

Erst kurz vor dem Endspiel war klar, dass wir überhaupt etwas Geld bekommen sollten. 2000 und soundsoviel Mark.

Horst Eckel über die WM-Prämie

Wie haben Sie den Triumphzug bei der Heimfahrt wahrgenommen?

Eckel: Was in Deutschland los war, haben wir erst nach der Grenze mitbekommen. Tausende standen an der Strecke, jubelten uns zu. Erst da haben wir begriffen, dass wir wirklich Weltmeister sind.

Auf Händen getragen: Horst Eckel (li.) und Fritz Walter nach dem WM-Finale 1954.

Auf Händen getragen: Horst Eckel (li.) und Fritz Walter nach dem WM-Finale 1954. imago images/Pressefoto Baumann

Wie hoch war die Prämie?

Eckel: Erst kurz vor dem Endspiel war klar, dass wir überhaupt etwas Geld bekommen sollten. 2000 und soundsoviel Mark. Fritz und ich waren die "Großverdiener".

Und populär für alle Zeiten.

Eckel: Ich bin heute noch erstaunt, dass mich so viele Leute kennen.

20 Jahre später wurde Deutschland wieder Weltmeister. Was ging in Ihnen als Zuschauer beim 2:1 gegen Holland vor?

Eckel: Ich habe mitgefiebert, als hätte ich auf dem Platz gestanden.

Brehme: Ich habe auch gezittert, daheim vor dem Fernseher. Deutschland gegen Holland, 0:1 nach einer Minute. Da geht jeder mit. Elfmeter, das 2:1. Das war eine ganz lange zweite Hälfte. Gut, dass Sepp Maier einen Supertag hatte.

Ein Elfmeter, der Bernd bis heute verfolgt. Wie sahen Sie die Szene?

Brehme: Man konnte sich die Szene nicht fünf- oder zehnmal im Fernsehen anschauen wie heute.

Hölzenbein: Der Sprecher hat gesagt, es war Elfmeter. Und so war es!

Brehme: So ist es.

Eckel: Klar war es Elfmeter!

Hölzenbein: Zunächst hat ja keiner diskutiert, auch die Holländer nicht. Erst Monate später ist die Sache losgetreten worden.

Wie lief das ab?

Hölzenbein: Nach einem Foul an mir gab es einen Elfmeter für die Eintracht. Danach sagte mir ein Reporter, dass er mich genau beobachtet habe. Er wisse jetzt, wie ich es mache mit dem Fallen: Ich würde mich einfädeln! Dass ich ihm keine Antwort gab, war für ihn das Einverständnis, zu schreiben: "Hölzenbein gesteht. Ich lasse mich fallen."

Wie haben Sie reagiert?

Auf den Punkt gezeigt: Bernd Hölzenbein holt im WM-Finale 1974 gegen die Niederlande einen Elfmeter heraus.

Auf den Punkt gezeigt: Bernd Hölzenbein holt im WM-Finale 1974 gegen die Niederlande einen Elfmeter heraus. imago images/WEREK

Hölzenbein: Mit einer Gegendarstellung. Durch diesen Blödsinn wurde die Geschichte erst richtig groß. Plötzlich wollten die Holländer den Pokal zurück.

1954 kamen Monate nach dem Endspiel Dopinggerüchte auf. Was war dran?

Eckel: Ein Spieler soll gesagt haben, er habe etwas getrunken, was nicht einwandfrei gewesen sei. Als später einige Gelbsucht bekamen, hieß es, die Deutschen waren gedopt. Ich kann nur sagen: Im Getränk, das wir bekamen, war überhaupt nichts.

Hölzenbein: Fritz hat nichts genommen. Das stand in seinem Buch!

Eckel: Fritz Walter war immer vorsichtig beim Trinken.

Plötzlich Weltmeister. Wie veränderte sich Ihr Leben?

Eckel: Schon als ganz junger Spieler hatte ich mir geschworen: Wenn du im Fußball irgendwann etwas Großes erreichen solltest, dann bleibe mit beiden Füßen auf dem Boden. Das habe ich geschafft, auch wenn es nicht immer leicht war.

Hölzenbein: In den ersten Monaten nach dem Titel habe ich mich verleiten lassen, angeblichen Freunden zu folgen. Dass man bei dem Hype ein bisschen durchdreht, ist normal. Es dauerte ein halbes Jahr, bis ich der Alte war.

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Sie haben in Rom sogar das goldene Tor erzielt, Herr Brehme.

Brehme: Und mich auch als Weltmeister nicht viel verändert.

Warum konnte Deutschland nie den WM-Titel verteidigen?

Hölzenbein: 1978 hat es nicht gepasst in der Mannschaft. Wir hätten ja selbst bei einem Sieg gegen Österreich das Finale verpasst.

Warum hat es 1958 in Schweden nicht geklappt?

Eckel: Beim 1:3 gegen Schweden war der Schiedsrichter gegen uns. Ich glaube, es war ein Ungar (Istvan Zsolt, Anm. d. Red.). Fritz Walter schied verletzt aus, und als Juskowiak vom Platz flog, waren wir nur noch zu neunt. Da war Feierabend. Schade, wir hatten eine gute Elf.

Eine gute Mannschaft hatte Deutschland 1994 in den USA auch.

Brehme: Gegen Bulgarien hätten wir auf alle Fälle weiterkommen müssen. Aber es passte bei uns nicht. Da war mehr Theater um die Frauen. Es darf nicht sein, dass sich Spielerfrauen einmischen.

Eckel: So etwas konnte bei uns nicht passieren. Unsere Frauen wurden erst zum Endspiel eingeladen.

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Welche Fähigkeiten hätten Sie gerne vom anderen gehabt?

Eckel: Vom Andi hätte ich gerne seine Schüsse, seine Freistöße und die sehr gute Ballbehandlung gehabt.

Brehme: Ich hätte gern von beiden die Schnelligkeit gehabt.

Hölzenbein: Von Horst hätte ich gerne die Ausdauer und vom Andi die Nerven, so einen Elfmeter zu schießen. Dort zu stehen, das wäre für mich unvorstellbar gewesen.

Wie war Ihnen denn dann beim Elfmeterschießen im EM-Finale 1976 in Belgrad gegen die Tschechoslowakei zumute?

Hölzenbein: Ich habe nur gedacht, hoffentlich verschießt einer von uns, damit ich nicht ranmuss.

Uli Hoeneß tat Ihnen den Gefallen, schoss den Ball weit drüber.

Hölzenbein: Und Deutschland verlor den EM-Titel.

Wer ist für Sie der beste deutsche Spieler aller Zeiten?

Eckel: Ganz klar: Fritz Walter.

Hölzenbein: Für mich auch.

Brehme: Ich habe den Fritz nie spielen sehen. Aus meiner Generation ist es Diego Maradona. Auch Lothar Matthäus war absolute Weltklasse. Man kann die Generationen aber nicht miteinander vergleichen.

Sie arbeiteten auch als Trainer. Warum nur für kurze Zeit?

Hölzenbein: Ich war ein halbes Jahr Co-Trainer in Aschaffenburg. Nach dem ersten Spiel und einem Sieg in Kassel habe ich gesagt: Wir wollen in die 1. Liga aufsteigen. Ein halbes Jahr später waren wir Letzter und wurden entlassen. Da war mir klar: Trainer ist nichts für mich.

Brehme: Mir hat es Spaß gemacht. Es kann sein, dass ich in Kürze wieder etwas annehmen werde.

Eckel: Ich war zwei Jahre Trainer in Völklingen. Bei Waldläufen war ich vorne und meine Spieler sind hinterhergelaufen. Dazu hartes Training, das die Jungs nicht gewohnt waren. Aber: Wir waren Vorletzter, am Schluss Zweiter. Mit meinem Wechsel in den Lehrerberuf war es nicht mehr vereinbar, nebenbei Trainer zu sein.

Dieses Interview erschien erstmals in der kicker-Montagsausgabe am 6. Februar 2012

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