Bundesliga

Gruev im Interview: "Man muss immer Mensch bleiben"

Werder-Profi über Privilegien, seinen Vater und Keita

Gruev im Interview: "Man muss immer Mensch bleiben"

Spricht im kicker-Interview über seine Position bei Werder, seine Träume und Naby Keita.

Spricht im kicker-Interview über seine Position bei Werder, seine Träume und Naby Keita. IMAGO/Nordphoto

Aus dem Bremer Trainingslager in Zell am Ziller (Österreich) berichtet Tim Lüddecke

Herr Gruev, sind Sie der nächste Marco Friedl?

Jetzt muss ich überlegen… Wie kommt die Frage zustande?

Qua Ihrer Position.

Ach so, wegen der Nationalmannschaft.

In den zwei zurückliegenden Länderspielen im Juni liefen Sie jeweils als linker Verteidiger einer Dreierkette auf.

Ja, richtig. Aber nee, nee. Ich musste da nur aushelfen. Es ist ja gut, wenn man vielseitig einsetzbar ist, nur ich glaube nicht, dass ich dort langfristig gesehen werde.

Ein Mitspieler ist also ausgefallen?

Anton Nedyalkov von Ludogorets ist eigentlich gesetzt, er hat sich leider schwerer verletzt. Und dann hat der Trainer mich gefragt, ob ich da spielen kann - ich sagte, das kriege ich hin. Ich wurde ja schon beim Ligaspiel in Freiburg 75 Minuten auf diese Position zurückgezogen, als Marco Rot bekommen hatte.

Friedl fällt nun wegen einer Bauchmuskelverletzung aus. Ist bei Werder auch schon jemand auf Sie zugekommen?

Bis jetzt noch nicht - obwohl es ganz gut funktioniert hat. Aber ich sehe mich schon weiter vorn.

Wo?

Die Sechs.

Weil sie die aus Ihrer Sicht interessanteste Position im Fußball ist?

Für mich schon: Man muss viel dirigieren, viel lenken. Hat sowohl Offensiv- wie Defensivaktionen und ist Bindeglied. Ich spiele die Position am liebsten, alleine oder als Doppelsechs. Man muss sich aber auch der Verantwortung bewusst sein.

Es ist schwierig, das schlechtzureden.

Ilia Gruev über die Bremer Diskussion auf der Sechser-Position

Gerade in Bremen, wo die Sechs ja fast traditionell schon als Problemposition gilt.

Ich glaube, seitdem ich 2015 in die Werder-Jugend gekommen bin, besteht dieses Thema in der Öffentlichkeit, vielleicht sogar schon länger. Ich will dazu nicht immer wieder etwas sagen. Wenn man Erfolg hat, ist es doch schwierig, das schlechtzureden: Wir sind aufgestiegen, wir sind in der Liga geblieben, haben es ordentlich gemacht. Es gibt schon genug Kritik im Fußball; wenn das einen dann auch noch beschäftigten würde, wäre das nicht gut.

Das Original:

Bedarf eine solche Haltung besonderer Stärke, gerade mental?

Vieles hat damit zu tun, wie man gegen Widerstände angeht. Ich hatte bei Werder ja auch schwierige Zeiten, habe zwei Jahre gar nicht gespielt - und dennoch weiter Gas gegeben, bin geduldig geblieben. Weil ich denke: Am Ende setzt sich Qualität durch. Wann es so weit ist - ob in ein, zwei, drei oder fünf Jahren - kann niemand in diesem Geschäft sagen.

Bei Werder verweist man schon jetzt auf Sie als Lösung dieser angeblichen Problematik.

Es ist ein gutes Gefühl und spricht für die Wertschätzung. Das möchte ich zurückgeben, will mich weiterentwickeln - all das ist ein Prozess im Fußball. Ich werde aber bestimmt noch Fehler machen in meinem Alter.

...sonst macht einen das kaputt.

Ilia Gruev

Spüren Sie dennoch eine Verpflichtung?

Wo Verantwortung ist, ist auch Verpflichtung. Aber den meisten Druck mache ich mir schon selbst. Man muss nicht alles lesen und sich nicht jedes Wort zu Herzen nehmen - sonst macht einen das kaputt. Ich selbst bin der Einzige, dem ich es beweisen will.

Wie macht man das mit sich aus?

Schwierig. Es ist auf jeden Fall wichtig, dass man sich richtig einschätzen kann. Das Gute ist: Ich habe einen Vater, der sich damit auch gut auskennt und mit dem ich vieles analysiere - auch außerhalb des Werder-Kosmos.

Den gleichnamigen Ex-Bundesliga-Profi Ilia Gruev - eine außergewöhnliche Vater-Sohn-Konstellation.

Ja, gibt es selten. Die Dardais fallen mir sonst nur noch ein. Gegen Palko habe ich beispielsweise oft in der Jugend gespielt und Pal war damals auch der Hertha-Trainer dieser Mannschaft… Ich selbst weiß das wirklich zu schätzen: Mein Vater guckt jedes Spiel von mir, im Nachgang reden wir dann über einzelne Szenen. Er macht das sehr ausgewogen, kann mich gut kritisieren, aber gibt auch positives Feedback - er versucht da relativ objektiv zu bleiben, und das ist auch wichtig.

Gruev Junior vs. Senior: "Mittlerweile besiege ich ihn"

Stärkt das Ihre gemeinsame Verbindung?

Auf jeden Fall. Ich habe auch relativ viel Zeit mit meinem Dad im Urlaub in Sofia verbracht. Er wird bald 54 und wir können immer noch zusammen kicken, fünf gegen fünf, spielen Tennis, Padel-Tennis, Volleyball - alles gegeneinander. Er ist fit, aber zum Glück besiege ich ihn jetzt mittlerweile auch. Vor drei, vier Jahren war das noch anders: Da hatte ich nie eine Chance.

Zum vergangenen Jahresende zierten Sie das bulgarische "Forbes"-Cover, als eine der 30 spannendsten Persönlichkeiten unter 30 Jahre. Wie viele Exemplare hat Ihr Vater besorgt?

Bei uns zu Hause liegen jetzt zwei. Die restliche Familie hat sich auch noch ein paar gesichert: Großeltern, Cousins und Cousinen. In Bremen habe ich gar keins.

Ist das nicht etwas, was man in seiner Wohnung auslegen würde?

Schon, aber ich bin da eher der Schubladen-Typ - leider. Das Interieur bei mir ist nicht wirklich gut, daran fehlt es ein bisschen. (lacht)

Wie haben die Mitspieler reagiert?

Wie die halt so sind… Forbes verbindet man sofort mit Geld, sie meinten dann, ich sei jetzt einer der reichsten Bulgaren.

Geld bedeutet Freiheit.

"Forbes"-Coverboy Gruev

Was bedeutet Ihnen denn Geld?

Als Fußballer ist man natürlich privilegiert, aber ich kann von mir behaupten, ich mache das nicht fürs Geld. Es ist ein Bonus, und bedeutet auch ein Stück weit Freiheit.

Die Sie wie ausleben?

Ich war etwa bei den French Open in Paris, habe Alexander Zverev gegen Grigor Dimitrov geguckt - das war ein cooles Event. Dass man da für zwei Tage einfach dabei sein kann, ist für mich ein solches Privileg. Ich hatte aber Glück, habe über den bulgarischen Tennisverband Tickets für den Normalpreis bekommen: 80 Euro - völlig normal.

Sie sind ebenfalls Zweiter bei der Wahl zum "Fußballer des Jahres" in Bulgarien geworden: Woran lässt sich der gewachsene Stellenwert in Ihrer Heimat am besten bemessen?

Während der zwei Wochen in Sofia gab es jetzt schon mehr Blicke - das war vorher gar nicht so. Aber ich kann unbehelligt durch die Straßen gehen; meinen Vater kennen immer noch viel mehr Leute. Wenn ich in Bulgarien die Wohnung verlasse, sind die Menschen jedoch generell total warmherzig zu mir - unabhängig davon, ob ich ein Fußballer bin.

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Kam die deutsche Nationalmannschaft eigentlich mal für Sie infrage?

In der Jugend - bis zur U16, als ich mich für Bulgarien entschieden habe. Ich bin dort geboren, meine Eltern sind Bulgaren. Ich bin dankbar, in Deutschland aufgewachsen zu sein - aber meine Wurzeln sind 100 Prozent bulgarisch.

Ihr Trainer in der Nationalmannschaft ist aktuell Mladen Krstajic, Werder-Meisterspieler von 2004.

Ich spiele sehr gerne unter ihm und erfahre viel Zuspruch. Natürlich reden wir ab und an über Werder und ich habe Frank Baumann (Krstajics Ex-Mitspieler, jetzt Werder-Sportchef, d. Red.) auch schon mal Grüße von ihm ausgerichtet. Er wiederum hat von der Schnelligkeit Ailtons erzählt.

Wie haben Sie Naby Keita in den ersten Einheiten bis zu seiner Verletzung erlebt?

Leider waren es nur zwei Trainings. Er hat eine sehr gute Vororientierung, weiß, wie er sich zwischen den Linien bewegen soll. Man merkt, dass er das Auge dafür hat. Er hebt die Qualität einfach an.

Es ist wichtig, diese Denke abzustellen

Ilia Gruev über Naby Keita

Wie groß darf der Respekt, vielleicht die Ehrfurcht, solch einem erfolgreichen neuen Mitspieler gegenüber ausfallen?

Der Mann kommt von einem Topklub, hat die Champions League gewonnen, die Premier League gewonnen. Aber ich finde es auch wichtig, diese Denke abzustellen: Naby ist jetzt ein Spieler von uns. Und mein Eindruck ist, dass er ganz bodenständig ist. Daraus kann man auch lernen: Egal, für welchen Klub man spielt - man muss immer Mensch bleiben.

Was wäre aus Ihnen geworden, wenn nicht Fußballer?

Ich hätte auf jeden Fall studiert, Richtung Management und Finanzen. Vielleicht auch Politik.

Gruevs "Top-Jungs": Busquets, de Jong, Rodri

Im Winter-Trainingslager haben Sie das Buch "Die 1-Prozent-Methode" gelesen - wie bilden Sie sich aktuell?

Zur Biografie von Roger Federer bin ich im Trainingslager ehrlicherweise noch nicht gekommen, wobei ich die auch schon einmal gelesen habe. Mittlerweile muss ich sagen, dass viele Jungs bei uns lesen, wir tauschen uns da öfter mal aus. Und sonst höre ich Podcasts oder gucke mir auch fußballspezifische Videos an, mit Szenen der absoluten Top-Jungs: Sergio Busquets, Frenkie de Jong oder Rodri. Ich glaube, das hilft einem enorm weiter.

Sie sind also ein Optimierer?

(lacht) Komisches Wort, aber ja, schon. Perfektion wird man nie erreichen - doch man kann danach streben.

Sehen Sie sich als Teil einer Generation, die all die unerschöpflichen Möglichkeiten heutzutage gezielt zu nutzen versucht? Stichwort: High Performance.

Ja, viele Sachen können einem helfen, doch man darf es auch nicht übertreiben und denken, dass man dadurch zwangsläufig besser wird. Am Ende geht es darum, klar zu bleiben. Man muss ausprobieren, was einem hilft und was nicht - muss die goldene Mitte finden.

Weniger Zeit am Handy: "Ich habe Instagram einfach gelöscht"

Was hilft Ihnen nicht?

Ich habe gewisse Routinen abgestellt, um pünktlich schlafen zu gehen und weniger Zeit am Handy zu verbringen und nicht zu oft auf gewissen Plattformen zu sein. Instagram habe ich deshalb einfach gelöscht.

Welche Fernziele als Profi haben Sie, irgendwann mal?

Die größte Vorfreude als kleiner Junge hatte ich, wenn ich die Champions-League-Hymne gehört hab - dann bekam ich Gänsehaut, und das ist auch heute noch teilweise so, wenn ich ehrlich bin. Ein weiterer Traum wäre, mit meinem Heimatland an einem Turnier teilzunehmen.

Champions League? Vorjahres-Teilnehmer Ajax Amsterdam war in der vergangenen Saison an Ihnen interessiert.

Das hat mich schon gefreut, muss ich sagen. Ajax ist ein Topklub im europäischen Fußball, der viele Topspieler hervorgebracht hat. Ist aber Vergangenheit.

Ihre Zukunft liegt erst mal in Bremen?

Ja, klar. Ich habe noch lange Vertrag, will mich komplett etablieren.

Worum geht es jetzt für Sie: Stammspieler zu werden - oder waren Sie das schon?

Um Stammspieler zu sein, muss man schon - wenn man fit ist - um die 25 Spiele von Anfang an bestreiten. Ich hatte 18. Doch das kommt hoffentlich dieses Jahr, es ist mein Ziel.

Es gibt Stimmen, die sagen, Werder-Coach würde lieber auf arrivierte als junge Spieler setzen. Ihr Hauptkonkurrent der Vorsaison, Christian Groß, ist 34. Er stand 23 Mal in der Startelf.

Ich persönlich finde, dass das Alter keine Rolle spielen darf - sondern nur die Fähigkeiten. Wenn jemand besser ist, dann sollte er es auch verdient haben aufzulaufen.

Interview: Tim Lüddecke

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