2. Bundesliga

Hertha BSC - Marius Gersbeck: Mentor statt Bubi

Herthas Rückkehrer soll viel Verantwortung übernehmen

Gersbeck: Mentor statt Bubi

Nach vier Jahren zurück bei der Hertha: Marius Gersbeck.

Nach vier Jahren zurück bei der Hertha: Marius Gersbeck. IMAGO/Nordphoto

Aus Herthas Trainingslager in Zell am See berichtet Steffen Rohr

Auf den Karlsruher SC lässt er nichts kommen, gar nichts. "Das war ein gesicherter Stammplatz, ein wunderschönes Zuhause. Ich kann an Karlsruhe überhaupt nichts aussetzen", sagt Marius Gersbeck. "Der Kopf zeigt einem auf, was man hatte." Aber: "Es gibt einen Verein und eine Stadt, die über dem steht, und das ist Berlin. Das ging für mich vor, deshalb hat der Kopf gesagt: Mach’s."

Der Bauch hat ohnehin "von Anfang an Ja" gesagt zu Hertha, also gab er dem Werben seines Heimat- und Herzensklubs im Juni nach und zog die in seinem Vertrag in Karlsruhe verankerte Rückkehr-Klausel. 300.000 Euro Ablöse hat sich Hertha die Heimkehr des verlorenen Sohnes kosten lassen, der verwurzelt ist in der aktiven Fan-Szene der Blau-Weißen und der diesen Klub auch im Exil nicht nur verfolgt, sondern gelebt und "mit ihm gelitten" hat.

Die Jahre auf Wanderschaft - ein halbes Jahr in Chemnitz, zwei in Osnabrück, vier in Karlsruhe - haben Gersbeck reifen lassen. "Ich bin als Bubi gegangen, als kleiner Junge aus der Kurve", sagt er. "Seitdem hat sich einiges getan. Ich bin meinen sportlichen Weg gegangen, das waren sportlich erfolgreiche Zeiten, auch wenn mich einige Verletzungen zurückgeworfen haben. Chemnitz muss ich da außen vor lassen, das lief nicht ganz so gut. Aber Osnabrück war hervorragend, ein geiles Sprungbrett. Nach Karlsruhe bin ich auch nicht als Nummer 1 gegangen, das hat mich einiges gelehrt. Trotzdem bin ich drangeblieben, habe drei Jahre am Stück gespielt und 100 Spiele gemacht. Das ist eine Zahl, bei der man sagen kann: Da kommt einiges zusammen. Ich bin älter geworden, privat hat sich auch etwas entwickelt. Ich komme als gestandener Zweitliga-Spieler zurück."

Konkurrenzkampf im Hertha-Tor

Als jemand, der im jungen Hertha-Kader Verantwortung schultern soll und will, auch wenn seine sportliche Perspektive einstweilen noch nicht restlos klar ist. Sechs Torhüter beschäftigt Hertha zurzeit, vier sind im Camp in Zell am See im Salzburger Land dabei, und so lange Stammkeeper Oliver Christensen nicht verkauft ist, droht Gersbeck die Bank.

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Die Keeper nennt er " eine sehr gute Einheit, wir ergänzen uns, jeder ist anders", über den Konkurrenzkampf sagt der Rückkehrer: "Jeder weiß, wie die Situation ist. Das ist bei jedem im Hinterkopf. Trotzdem harmonieren wir sehr gut. Das ist auch wichtig, weil wir uns jeden Tag sehen." Am Ende entscheide "nicht ich die Konstellation", sondern Torwart- und Cheftrainer. Gersbecks Credo: "Ich habe von Anfang an gesagt, dass mir der Wechsel hierher sehr viel bedeutet. Ich versuche einfach, dem Verein so gut es geht zu helfen. Egal, auf welcher Position."

Mehrere Knieverletzungen gefährdeten Gersbecks Karriere

Er hat die Gelassenheit eines Profis, der über den Tellerrand schaut - und der am eigenen Leib gespürt hat, wie zerbrechlich das Glück sein kann. Mehrere schwere Knieverletzungen gefährdeten vor Jahren die Fortsetzung seiner Karriere. Der Meniskus war mehrfach betroffen, der Kreuzbandriss im April 2018 der Tiefpunkt.

"Ich wurde in der Zeit davon geprägt, diese Rückschläge zu verkraften", sagt der Familienvater. "Das macht schon was mit einem, weil man die Übersicht behält übers gesamte Leben und nicht sagt: Es gibt nur Fußball. Sondern man weiß, es kann auch früh vorbei sein, und dann muss man was anderes machen. Es ist sehr wichtig, dass man nicht nur in der Blase ist, sondern sich auch bewusst ist, dass es die ganze Zeit vorbei sein kann."

Aktuell ist er zwar wegen einer Kapselverletzung am Daumen gehandicapt, das Knie aber hält seit mehr als vier Jahren. "Ich hoffe, dass das so bleibt - und gehe auch davon aus", sagt Gersbeck. "Darüber macht man sich keine Gedanken, in keinem Training, in keinem Spiel." Er kräftigt das Knie und den gesamten Körper, "man achtet überall ein bisschen mehr drauf". Auf sich - aber auch auf die Mitspieler. Gersbeck hat den Blick fürs große Ganze, er war im Testspiel gegen den BFC Dynamo (2:0) Kapitän und ist ein aussichtsreicher Anwärter auf einen Platz im neuen Mannschaftsrat.

Wir sind abgestiegen, aber es herrscht keine Depression, sondern Aufbruchsstimmung.

Marius Gersbeck

Das Team, dem bis Ende August mutmaßlich noch etliche Abgänge und einige Zugänge bevorstehen, will er nicht überfrachten mit Erwartungen für die in zwei Wochen beginnende Zweitliga-Spielzeit. "Uns steht echt eine geile Saison bevor", sagt Gersbeck. "Es sind unfassbare Namen mit drin. Die Liga ist wirklich sehr, sehr anspruchsvoll. Ich hoffe, dass wir sie so erfolgreich gestalten können, wie es für uns möglich ist und wir das Beste rausholen. Man kann nicht sagen, wir wollen unbedingt aufsteigen, sondern wir müssen schauen, wo wir stehen - auch im Vergleich zu den anderen. Ich hoffe, dass es Richtung oben reichen könnte, dass wir da irgendwo mitspielen."

Die Atmosphäre lobt er, "wir sind abgestiegen, aber es herrscht keine Depression, sondern Aufbruchsstimmung. Das ist sehr wichtig. Man sieht den Zuspruch der Fans. Es ist enorm wichtig zu wissen, dass man die Leute im Rücken hat und nicht gegen sich. Es liegt an uns, dass es so bleibt."

Einer wie Gersbeck wird bei Hertha doppelt gebraucht

Den Empfang, den einige Ultras Neuzugang Toni Leistner am Montag wegen dessen Union-Vergangenheit auf der Zufahrtsstraße zum Trainingsgelände via Banner ("Leistner, verpiss dich!") bereitet haben, hat Gersbeck registriert. Man dürfe das Thema "nicht zu hochpushen, es ist alles noch ganz entspannt", meint der Torhüter. "Es wird sicher Gespräche geben, und dann wird das alles laufen." Generell könne er "vermitteln, das wird angenommen und hilft allen".

Das Berufliche und das Private trennt er an dieser Stelle allerdings voneinander: "Das sind für mich nicht die Ultras, sondern meine Freunde, mit denen ich groß geworden bin. Das wird sich auch nicht ändern, sondern bleibt so. Egal, ob und wo ich Fußball spiele." Jetzt tut er’s wieder bei Hertha, mindestens bis 2026, und einer wie er wird doppelt gebraucht: als Anker für die jungen Torhüterkollegen - und als Identifikationsfigur für die Ostkurve, die in Jessic Ngankam, Kevin-Prince Boateng und Maximilian Mittelstädt gerade ein paar ihrer Helden verloren hat.

"Ich gehöre bei dieser Truppe zu den Älteren, habe schon Erfahrung gesammelt und bin nicht der leiseste Typ", sagt Gersbeck über Gersbeck. "Ich bin umgänglich, aber trotzdem lautstark auf und neben dem Platz. Ich sage gern meine Meinung." So einen wollten sie, so einen haben sie jetzt, und auch wenn Marius Gersbeck gerade weit weg von Berlin im österreichischen Zell am See mit den Kollegen schuftet, lässt sich ohne Zweifel feststellen: Da ist einer wieder zu Hause.

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