Nationalelf

"Kitzel gesucht - und gefunden"

Interview mit Nationalmannschaftskapitän Michael Ballack

"Kitzel gesucht - und gefunden"

Michael Ballack

"Es geht um die Quali, nicht um Experimente": DFB-Teamkapitän Michael Ballack. imago

kicker: Herr Ballack, haben Sie sich im Kino bei "Deutschland. Ein Sommermärchen" amüsiert? Oder taten die Bilder vom Halbfinal-Aus gegen Italien wieder weh?

Michael Ballack (30): Wie heißt es doch so schön: Die Zeit heilt Wunden. Die WM liegt gefühlsmäßig schon wieder lange zurück. Es bleibt eine schöne Erinnerung.

kicker: Das heißt, Sie haben die WM für sich verarbeitet?

Ballack: Eigentlich schon. Wenn wir Weltmeister geworden wären, wäre es eine ganz andere Geschichte. Dann hätte man etwas, das bleibt. Aber so: Das Feeling, dass wir bei der WM hatten, verschwimmt langsam, je länger die WM zurückliegt.

kicker: Hatten Sie seitdem mal Kontakt zu Jürgen Klinsmann?

Ballack: Wir haben uns einmal kurz unterhalten, als wir mit Chelsea in Amerika im Trainingslager waren. Aber da war die WM noch zu frisch in Erinnerung, um das in Ruhe zu analysieren. Ich habe ihn nur daran erinnert, dass er noch seinen Ausstand bei uns geben muss.

kicker: Sieben Spieler im aktuellen Aufgebot waren nicht bei der WM.

Ballack: Das zeigt, dass Löw Klinsmanns Weg weitergeht. Er will vielen jungen Spielern eine Chance geben und so die Mannschaft weiterentwickeln. Mal sehen, ob diese Spieler auch langfristig dabeibleiben.

kicker: Warum so skeptisch?

Ballack: Es wird für die Jungen nicht so einfach wie vor der WM, als man nur Testspiele hatte. Jetzt geht es um die Quali, nicht um Experimente.

kicker: Zu Ihnen: Durch die Rote Karte in der Premiere League sind Sie ausgeruht.

Ballack: Ungewollt, umso mehr freue ich mich auf die Länderspiele.

Ungewollte Ruhepause: Michael Ballack sah Rot in der Premier League.

Ungewollte Ruhepause: Michael Ballack sah Rot in der Premier League. imago

kicker: Beeinträchtigt die Sperre den Integrationsprozess bei Chelsea?

Ballack: Es war natürlich nicht optimal. Aber ich denke, ich bleibe trotzdem fester Bestandteil des Teams. Das hat der Trainer auch gezeigt, indem er mich in der Champions League aufgestellt hat.

kicker: Ist der Leistungsdruck bei Chelsea und Bayern vergleichbar?

Ballack: Von der Klasse der Spieler ist es nochmal eine Stufe höher. Da sind 21 absolute Top-Spieler, die eins zu eins austauschbar sind. Das ist eine Riesenkonkurrenz, in der man sich in jedem Training neu beweisen muss.

kicker: Was beim FC Bayern nicht der Fall war?

Ballack: Ich hatte mir in Deutschland meine Position erarbeitet, hatte ähnlich wie Oliver Kahn einen gewissen Stellenwert im Verein. Da führt kein Weg an einem vorbei, auch nach einem schlechteren Spiel. In Chelsea muss ich mir alles neu erarbeiten, bin einer wie jeder andere, dazu ein Ausländer. Da muss ich um den Platz kämpfen.

kicker: Jens Lehmann sagte, Sie müssten zwei Gänge höher schalten, um in England mithalten zu können. Hat er recht?

Die Zuschauer wollen sofort eine Aktion sehen.

Michael Ballack

Ballack: Man muss sich umstellen, ganz klar. Es wird schneller nach vorn gespielt. Die Zuschauer wollen sofort eine Aktion sehen, man muss höheres Risiko gehen auch auf die Gefahr, einen Fehler zu machen. Es gibt nicht das Ballhalten und Positionsspiel wie in der Bundesliga.

kicker: Wird in Chelsea besser trainiert?

Ballack: Es wird sehr intensiv und viel mehr mit Ball trainiert, auch im konditionellen Bereich. Wir machen keine langen Läufe, und es gibt nicht so viel Krafttraining.

kicker: Was würde in Chelsea passieren, wenn Sie nacheinander bei zwei Mannschaften aus dem Tabellenkeller verlieren würden?

Ballack: Sie spielen auf die Niederlagen der Bayern in Bielefeld und Wolfsburg an. Die Kritik wäre sehr groß. Man müsste schleunigst zusehen, dass man wieder gewinnt.

kicker: Ist es eine Genugtuung zu sehen, dass Sie doch nicht so leicht zu ersetzen sind wie die Bayern-Bosse es anfangs darstellten?

Ballack: Es ist zumindest besser als anders herum. Aber es bringt nichts, wenn man immer wieder meine Person ins Spiel bringt. Ich denke, dass der Anspruch bei den Bayern geblieben ist, auch wenn sie ihre Zielsetzung verbal nach unten geschraubt haben. Schon aus der Tradition heraus hat man bei Bayern den Anspruch, Meister zu werden und immer zu gewinnen.

kicker: Dem Anspruch werden sie aber derzeit nicht gerecht.

Ballack: Aber damit habe ich nichts mehr zu tun. Wenn der FC Bayern merkt, dass etwas nicht funktioniert, dann werden sie handeln. In welcher Form auch immer.

Beim Training in Berlin: Michael Ballack und Bundestrainer Joachim Löw

Beim Training in Berlin: Michael Ballack und Bundestrainer Joachim Löw. imago

kicker: Sind Sie froh über den Wechsel nach England?

Ballack: Absolut, es ist das, was ich wollte: Ich habe den Kitzel gesucht und gefunden. Sich neu beweisen zu müssen, ist eine große Herausforderung. Das Leben drumherum ist jetzt genauso spannend wie das auf dem Platz.

kicker: Ist ein Bastian Schweinsteiger schon reif für das Ausland?

Ballack: Schwer zu sagen. Er ist Leistungsträger beim FC Bayern und in der Nationalmannschaft ein wichtiger Bestandteil. Mit seinen 22 Jahren ist er da ähnlich wie Podolski viel weiter als ich es damals war. Für die Beiden kommt der Schritt ins Ausland früher in Frage als für mich. Aber ich glaube, Schweinsteiger täten noch einige Jahre bei den Bayern gut.

kicker: Warum?

Ballack: Da kann er zur absoluten Führungsperson reifen. Wenn er später ins Ausland geht, ist es immer noch früh genug. Ich habe mit 25 auch überlegt, gehe ich zu Real Madrid oder zu Bayern. Ich fühlte mich damals noch nicht so weit. Jetzt habe ich mich durchgesetzt und mit der Bundesliga abgeschlossen.

Interview: Oliver Hartmann