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"Papa wäre jetzt stolz auf mich"

Verteidiger Lukas Sinkiewicz steht vor seinem Debüt in der A-Nationalmannschaft

"Papa wäre jetzt stolz auf mich"

"Lukas II." startet durch: Kölns Verteidiger Lukas Sinkiewicz.

"Lukas II." startet durch: Kölns Verteidiger Lukas Sinkiewicz. Kicker

Eigentlich müsste der Kölner Boulevard ja ihn als "Lukas I." ausrufen. Auch wenn Lukas Sinkiewicz (19) das bescheiden abwehrt: "Der Poldi hat doch überall die Nase vorn, das geht schon in Ordnung."

Früher in Bergheim, diesem 64 000-Einwohner-Städtchen vor den Toren Kölns, das nun voraussichtlich den zweiten deutschen A-Nationalspieler hervorbringt, sah das freilich anders aus: Da traten Lukas und Lukas mit Nachbarjungs in Straßenmannschaften gegeneinander an. Podolskis Truppe, erinnert sich Sinkiewicz, wurde meist niedergerungen, "obwohl das immer Super-Fußballer waren". Eines dieser Turniere dauerte mal von früh um 10 bis Mitternacht, Sinkiewiczs Vater Zdzislaw, ein ehemaliger polnischer Zweitliga-Stürmer, musste mit seinem Motorroller die Straße ausleuchten. Nach dem verlorenen Finale wollten Podolski und Co. plötzlich noch ein Rückspiel – statt den ausgelobten Siegerpokal und die zehn Mark "Teamprämie" herauszurücken. "Wir dachten, die spinnen wohl", erinnert sich Sinkiewicz, "mein Bruder hat den Pokal geschnappt und wir sind los." Die zehn Mark sind bis heute offen.

So sah sie also aus, die Kindheit in Bergheim, das vor "Poldi" und "Sinke" vor allem wegen seiner hohen Ausländer- und Arbeitslosenquote bekannt war: "Eine tolle Zeit, die leider, leider nicht mehr wiederkommt", sagt Sinkiewicz. Er und Podolski kennen sich seit 1996, als sie gemeinsam in der D-Jugend beim FC anfingen und der Fahrdienst des Klubs sie zum Training kutschierte. Zwei verrückt normal gebliebene Straßenfußballer, die in ihrer Freizeit bis heute mit ihren alten Kumpels bolzen gehen.

Zwei gebürtige Polen, die sich abwechselnd auf Deutsch und in ihrer Muttersprache unterhalten, je nachdem wer den Gesprächsinhalt gerade mitbekommen soll. Sinkiewicz: "Wir verstehen uns blind." Dabei sind die Typen in vielem ganz verschieden. Anders als der fast immer fröhliche, vor flotten Sprüchen sprudelnde Podolski kommt der vier Monate jüngere Sinkiewicz ernsthaft und nachdenklich daher: "Ich mache schon auch meine Späße. Aber dazu muss ich erst Vertrauen fassen."

Diese Zurückhaltung, glaubt Sinkiewicz selbst, liege schon in seiner speziellen Aufgabe auf dem Fußballfeld begründet: "Als Abwehrspieler wirst du und dein Team für jeden Fehler sofort bestraft. Da käme es nicht so gut, dauernd Faxen zu machen."


Daten und Fakten zu Lukas Sinkiewicz


Noch weitaus stärker als seine Spielposition prägte Sinkiewicz der plötzliche Tod des Vaters vor drei Jahren: Beim gemeinsamen Joggen, nur unweit der eigenen Haustür, brach Zdzislaw zusammen und starb vor den Augen des Sohnes – mit nur 38 Jahren. Die Welt des 16-jährigen Lukas hatte sich schlagartig verändert: Von heute auf morgen rückte er für Mutter und Bruder in die Rolle des Ernährers und Familienoberhaupts. Mit ein Grund dafür, dass Sinkiewicz im Sommer 2004 ein Jahr vor dem Fachabitur die Schule abbrach, um sich voll auf die Profi-Karriere zu konzentrieren. Vater Zdzislaw spielt weiterhin eine wichtige Rolle: Jede Woche vor der Abfahrt zum Spiel betet der gläubige Katholik Sinkiewicz am Grab des Verstorbenen. Und nach der Nominierung in die A-Nationalmannschaft galten ihm die ersten Gedanken: "Papa wäre jetzt bestimmt stolz auf mich.“

Stolz sind sie auch beim FC alle auf "Lukas II.", wie Podolski eine Entdeckung des Ex-Trainers Marcel Koller (44). Mit ihm halten beide Jungstars nach wie vor telefonischen Kontakt, nach Jürgen Klinsmanns (41) Anruf bedankte sich Sinkiewicz prompt noch einmal ausdrücklich beim heutigen Bochumer Coach. Einen Mangel an Identifi kation mit seinem Klub wird man Sinkiewicz nicht vorhalten können, der zeit seiner Kindheit als Fan das stete Auf und Ab der Geißböcke durchlitt. "Als Jugendspieler bekamen wir Sitzplatzkarten, aber Poldi und ich sind immer auf die Südtribüne, um das Feeling dort zu erleben."

Sinkiewicz kann nachfühlen, dass ein Fan für kein Geld der Welt den Verein wechseln würde. Als Profi sagt er: "Die Fans müssen realistisch sein, auch wenn Köln in drei bis fünf Jahren eine Top-Adresse werden kann." Ihm selbst, dessen Vertrag bis 2007 läuft, wird sich wohl schon früher die Gelegenheit bieten, für einen Spitzenklub aufzulaufen. Dass er sie wahrnehmen wird, ist nicht auszuschließen. Die Ziele des "kompletten Verteidigers“ (Trainer Rapolder), "einer von mehreren Führungsspielern" beim FC ( Sinkiewicz), sprechen eher dafür: "Meisterschaft, Champions League, WM-Titel - in meiner Karriere will ich nach Möglichkeit alles erreichen.“

Thiemo Müller