Bundesliga

Lehmanns Lehren

Aachen: Neuanfang am Tivoli

Lehmanns Lehren

Matthias Lehmann

Im "Löwen"-Trikot blieb oft nur der fragende Blick: Aachens Neuzugang Matthias Lehmann. dpa

So kurios kann Fußball sein: Im Sommer 2005 profitierte Matthias Lehmann vom sportlichen Misserfolg seines Vereins mit dem persönlichen Aufstieg an die Spitze der Teamhierarchie. Ein Jahr später profitiert er vom persönlichen Abstieg im Klub mit dem sportlichen Aufstieg in die Bundesliga.

Der Reihe nach: Nach dem verpassten Wiederaufstieg von 1860 München befördert Trainer Reiner Maurer den damals 22-jährigen Lehmann zum jüngsten "Löwen"-Kapitän aller Zeiten. Nicht zuletzt aus verhandlungstaktischen Gründen: Der Emporkömmling verlängert den auslaufenden Vertrag bis 2008, seine Bezüge werden deutlich angehoben. Fortan soll der zur neuen Integrationsfigur aufgebaute U-21-Nationalspieler die "Löwen" in die regelmäßig mit mehr als 50000 Fans gefüllte Allianz Arena und in die Erste Liga führen.

Mitte August wird Lehmann in einem U-21-Länderspiel in Polen schwer am Kiefer verletzt. Der Kapitän beißt auf die teils in den Kiefer gebohrten Zähne, spielt mit Mundschutz weiter, doch die Leistung leidet. 1860, vorübergehend gar Tabellenführer, fällt zurück, hält aber bis zum Winter auf Rang vier Kontakt zur Spitze, ehe der Verein die Aufstiegsambitionen schlagartig untermauert: Maurer wird entlassen, Walter Schachner inthronisiert, Manager Stefan Reuter löst Roland Kneißl ab, von Rapid Wien kommt Spielmacher Steffen Hofmann.

Zum Thema

Der Schuss geht nach hinten los. Die "Löwen" taumeln Richtung Tabellenkeller und schaffen mit Müh und Not den Klassenerhalt. Lehmanns Verhältnis zum neuen Coach ist von Anfang an gestört, sein Spiel durch die sportlichen Rückschläge und eine Systemumstellung (von der Raute auf die "flache Vier") von Verunsicherung geprägt. Und als Kapitän gerät der vormals Gefeierte nun besonders ins Kreuzfeuer der Kritik. Vorwürfe über einen allzu lockeren Lebenswandel sowie ein von Futterneid geprägtes Verhältnis zum neuen "Löwen"-Star, Steffen Hofmann, machen die Runde. "Alles völliger Blödsinn", versichert Lehmann heute noch, "aber wenns nicht läuft, wird eben nach Angriffspunkten gesucht." So nicht ganz richtig, korrigiert Reiner Maurer, "er hatte schon etwas die Bodenhaftung verloren und phasenweise nicht unbedingt die hundertprozentig professionelle Einstellung".

Vier Spieltage vor Saisonschluss setzt Schachner Lehmann als Kapitän ab. Äußeres Zeichen der Demontage und erstes Signal einer bevorstehenden Trennung - die klammen Sechziger brauchen Geld, Lehmann einen Neuanfang - 1860 bietet Lehmann in Bremen feil. Während der U-21-EM Ende Mai in Portugal formuliert Lehmann erstmals klipp und klar seine Abwanderungspläne und präsentiert sich potenziellen Interessenten. Die Trennung ist spätestens unabwendbar, als Lehmann im Sommerurlaub seine Pulsuhr verschlampt und deshalb nicht mit der Mannschaft ins Trainingslager darf. Da kommt das Angebot von Erstliga-Aufsteiger Alemannia Aachen wie gerufen.

"Das war wie eine Befreiung", sagt Lehmann nach einem Jahr voller Turbulenzen. Komprimiert in zwölf Monaten hat der gebürtige Ulmer die Extreme des Profidaseins ausgekostet und ausgebadet. Erst "local hero", dann "total zero". "Natürlich habe ich auch Fehler gemacht", gesteht Lehmann, "aber ich habe meine Lehren aus der vergangenen Saison gezogen." Sich mehr zurücknehmen und zuweilen diplomatischer formulieren werde er, "man darf die Wahrheit manchmal erst zu gegebener Zeit sagen". Nur noch bei hundertprozentiger Fitness zu spielen, wird ebenso zu Lehmanns Leitlinien zählen wie die uneingeschränkte Sorge um die körperliche Verfassung, "vielleicht hatte ich mal ein, zwei Kilo zuviel". Vor allem aber will er sich in der Konzentration auf seine sportliche Entwicklung durch nichts mehr ablenken lassen. Wohl wissend, dass die Chance, nun nachhaltig Erstligatauglichkeit zu beweisen, womöglich einmalig ist. "Ich habe mir die Messlatte hoch gelegt, was ich zuletzt gespielt habe, war zu wenig", weiß Lehmann. Schließlich ist auch am Tivoli die Erwartungshaltung gegenüber dem mit 900000 Euro teuersten Einkauf der Vereinsgeschichte nicht eben gering.

Mit Aachen die Klasse halten, persönlich an Klasse gewinnen, so lautet der Plan. Als einer von zwei Abräumern vor Alemannias Abwehr, "das kenne ich aus der U21". Für deren Trainer, Dieter Eilts, ist bei seinem einstigen Schützling auf Basis vorhandener "Zweikampfstärke, gutem Passspiel und hoher Ballsicherheit" noch "einige Luft nach oben. Er wird sich in der Bundesliga weiterentwickeln, da ist noch einiges zu erwarten". Vor allem den "letzten Pass in die Spitze" will Lehmann künftig präziser spielen und auch selbst "entschlossener nach vorne nachstoßen". Und bei aller geplanten Zurückhaltung außerhalb - auf dem Platz will er weiter Verantwortung übernehmen. Auch beim Elfmeter, wie schon in München. "Wenn es dazu kommen sollte, trete ich an." Verstecken ist nun wirklich nicht sein Ding.

Michael Pfeifer