DFB-Pokal

Furiose DFB-Pokal-Halbfinals 1984: Wie bei Rocky

In drei Spielen fallen 26 Tore

Furiose Pokal-Halbfinals 1984: Wie bei Rocky

Uwe Rahn mitgenommen, Olaf Thon gefeiert: Szenen aus dem DFB-Pokal-Halbfinale 1984.

Uwe Rahn mitgenommen, Olaf Thon gefeiert: Szenen aus dem DFB-Pokal-Halbfinale 1984. imago images (2)

Dass das DFB-Pokal-Halbfinale 1984 besonders werden würde, das war schon vorher klar gewesen. Denn erstmals wurden die beiden Spiele der Vorschlussrunde, was vorher nur Pokalfinals oder Länderspielen gestattet war, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen.

"Zwei Spiele, die es in sich haben", freut sich auch der kicker auf die Duelle zwischen Borussia Mönchengladbach und Werder Bremen am 1. Mai 1984, einem Dienstag, auf dem Bökelberg - und zwischen dem Zweitligisten FC Schalke 04 und dem FC Bayern im Gelsenkirchener Parkstadion am Tag danach.

Grubers bitteres Schicksal

Das erste der beiden Spiele, weil sich zwei Erstligisten duellierten, hatte ursprünglich mehr versprochen, es beginnt jedoch relativ verhalten. Und tragisch. Bremens talentierter Vorstopper Rigobert Gruber kollidiert unglücklich mit dem Gladbacher Norbert Ringels und verletzt sich so schwer am Knie, dass seine vielversprechende Karriere kurz vor seinem 23. Geburtstag quasi beendet ist. Bitter für den SVW, der auch auf Bruno Pezzey (Nationalmannschafts-Abstellung), Yasuhiro Okudera (verletzt) und Torjäger Rudi Völler (gesperrt) verzichten muss.

Die Bremer Gäste sind in Mönchengladbach Außenseiter, was in den ersten 40 Minuten ersichtlich wird. Bis dieses erste Halbfinale verspätet doch noch aus den Startblöcken schnellt: Binnen vier Minuten bringt der mit seinen 23 Jahren unverschämt dynamische Lothar Matthäus Gladbach in Führung, gleicht Norbert Meier ansatzlos für Werder aus, stellt Ringels den alten Abstand wieder her. 2:1 zur Pause.

Danach bahnt sich plötzlich ein TV-Desaster an, weil aus dem Gästeblock eine Tränengasbombe aufs Feld fliegt. "Plötzlich war da dieses stechende Brennen", erinnert sich Gladbachs Torwart Uli Sude, der ebenso zu Boden geht wie sein Mitspieler Uwe Rahn und Bremens Wolfgang Sidka.

Aus 1:3 mach 4:3

"Hier droht der Abbruch", japst TV-Kommentator Heribert Faßbender. Bis sich alles auf einmal wieder beruhigt und normalisiert. Aus dem Bremer Block wird rasch ein junger Fan abgeführt, als Täter ausgemacht werden kann er nicht. Viel Rauch um Nichts. Auch auf dem Platz scheinen sich die Dinge zu klären: Eine Viertelstunde vor Schluss köpft Rahn das 3:1 für Gladbach, was nicht nur Faßbender für "mehr als eine Vorentscheidung hält". Ein Trugschluss.

Quasi im Gegenzug verkürzt Benno Möhlmann auf 3:2, keine fünf Minuten später steht es nach Toren von Sidka und Uwe Reinders 4:3 für Werder. Borussia-Trainer Jupp Heynckes errötet an der Seitenlinie, Werder-Coach Otto Rehhagel hüpft hektisch umher.

Heynckes wechselt aber auch den jungen Stürmer Hans-Jörg Criens ein, der sich bislang vor allem als guter Einwechselspieler hervorgetan hat, als sogenannter "Joker". Mit dieser Bezeichnung macht Faßbender den 2019 verstorbenen Gladbacher unsterblich.

Hans-Jörg Criens

Ekstase: Hans-Jörg Criens bejubelt sein 5:4 gegen Werder. imago/Laci Perenyi

In der fünften Minute der Nachspielzeit köpft Criens die Borussia in die Verlängerung, in dieser schießt er sehenswert das 5:4. Der nächste Wendepunkt. Der letzte in diesem atemberaubenden Spiel. Aber längst nicht der letzte in diesem Halbfinale.

DFB-Pokal 1984, Halbfinale

24 Stunden später auf Schalke führt der FC Bayern nach zwölf Minuten bereits mit 2:0, und die meisten, die mit dem zweiten Halbfinale zu tun haben, hadern womöglich damit, sich das falsche Spiel ausgesucht zu haben. Doch schon in der 19. Minute gleicht der Zweitligist zum 2:2 aus, der den FCB anrennt, als gebe es kein Morgen. Sodass er sich schon in der 20. Minute das 2:3 fängt. Zeit zum Luftholen bleibt auch am Mittwochabend vor 40 Jahren kaum einmal.

Das 3:3 fällt erst nach einer Stunde, als plötzlich ein 1,70 Meter kleiner Jungspund in der Luft steht - und schon seinen zweiten Treffer köpft. Sein Name: Olaf Thon. Schalker Spielmacher und Mittelstürmer in einem, der mehr über den Rasen wirbelt als Bayerns Rummenigge-Brüder zusammen. Seinen 18. Geburtstag hatte Thon, Bier zapfend beaufsichtigt von Schalke-Manager Rudi Assauer, erst am Vortag gefeiert.

Auch Figgemeier irrt

Thon ist das Sinnbild des mutigen Davids, der Goliath Bayern in der Betonschüssel Parkstadion mehr als nur die Stirn bietet. Sodass auch Kommentator Eberhard Figgemeier die "deutliche Überlegenheit des Zweitligisten" auffällt. In der 72. Minute köpft Peter Stichler das 4:3, Schalkes Antreiber Klaus Täuber hämmert triumphierend die Fäuste auf den nassen Rasen. Doch wenig später stellt Michael Rummenigge auf 4:4. Auch in Gelsenkirchen hat keine Führung Bestand, auch das zweite Halbfinale geht in die Verlängerung.

Das 5:4 für Bayern stochert Dieter Hoeneß, den nächsten Ausgleich besorgt Europameister-Kapitän Bernard Dietz. Die Deckung längst unten, jeder Schlag ein Wirkungstreffer: Es war ein Schlagabtausch wie in den Rocky-Filmen. Als Hoeneß in der 117. Minute auch zum 6:5 für München trifft, spricht Figgemeier betrübt von der Entscheidung. Hatte er von Faßbender denn gar nichts gelernt?

Schalkes beherzter Auftritt gegen die großen Bayern ruft nicht nur beim Kommentator Sympathien hervor. Schiedsrichter Wolf-Günter Wiesel feuert Thon in der Nachspielzeit der Verlängerung sogar an: "Komm Olaf, ein Angriff noch." Der Angriff ist ein Freistoß und der Ball auf einmal bei Thon, der die Kugel mit links volley in die Maschen drischt. Und der anschließend als Dreierpacker und Volksheld auf den Schultern durchs Parkstadion getragen wird, während das "6:6" im Hintergrund grell auf der Anzeigetafel aufleuchtet. Auch beim legendären Feld-Interview mit Reporter Rolf Töpperwien, der Thon als früheren Bayern-Fan outet. Ehe beide Protagonisten von euphorischen Schalke-Fans beinahe erdrückt werden.

DFB-Pokal 1984, Halbfinale

Das Wiederholungsspiel endet nach 90 Minuten

Thon, der noch Weltmeister und Europapokalsieger werden sollte, bezeichnete das 6:6 als Spiel seines Lebens, gar als "bestes Spiel im DFB-Pokal überhaupt". Einen Sieger hat es nicht. Denn Elfmeterschießen gibt es damals erst im Endspiel, das Gladbach gegen die Bayern verliert, weil der kommende Münchner Matthäus vom Punkt vergibt.

Im Halbfinale hatte es dann übrigens ein Wiederholungsspiel gegeben. In München, wo Schalke erneut einen 0:2-Rückstand aufholte, um erst spät mit 2:3 zu verlieren. Nach 90 Minuten. Das war ja fast schon langweilig.

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Niklas Baumgart

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