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Freshfields: DFB verschleierte Millionenzahlung

Keine Beweise für gekaufte WM 2006

Freshfields: DFB verschleierte Millionenzahlung

Christian Duve von der Wirtschaftskanzlei Freshfields.

Christian Duve von der Wirtschaftskanzlei Freshfields. picture alliance

Wurden vor der WM-Vergabe 2006 Stimmen gekauft?

Zumindest gibt es laut Freshfields-Ermittlern dafür bislang keine eindeutigen Beweise. Der Stimmenkauf könne aufgrund der lückenhaften Akten- und Informationslage aber auch nicht ausgeschlossen werden. Dicke Fragezeichen bleiben: Bewiesen ist die aus Deutschland initiierte Zahlung von rund 6,7 Millionen Euro im Jahr 2002 über Umwege an Mohamed bin Hammam. Der katarische Geschäftsmann und Strippenzieher saß damals im Exekutivkomitee des Weltverbands und in der FIFA-Finanzkommission. Er ist inzwischen aber wegen zahlreicher Korruptionsvorwürfe lebenslang gesperrt. Die FIFA selbst sah nichts von den überwiesenen Millionen.

Gab es das Darlehen von Robert Louis-Dreyfus und vertuschte der DFB die Rückzahlung?

Ja. Der inzwischen verstorbene Ex-adidas-Chef überwies zehn Millionen Schweizer Franken auf das Verteilerkonto. Neu ist: Auf das gingen auch sechs Millionen Schweizer Franken von einem Oder-Konto des WM-OK-Chefs Franz Beckenbauer und dessen Berater Robert Schwan. Diese sechs Millionen gingen zuerst komplett nach Katar, dann sechs der zehn Louis-Dreyfus-Millionen zurück an Beckenbauer. Die restlichen vier Millionen kamen dann ebenfalls bei bin Hammam an. Der bestreitet den Eingang der Zahlung vehement.

Wer wusste von der Verschleierung?

Das ist "teilweise strittig", sagen die Ermittler. In jedem Fall habe Ex-Generalsekretär Horst R. Schmidt von dem tatsächlichen Verwendungszweck gewusst, bei allen anderen - vor allem bei Zwanziger - gebe es Indizien in beide Richtungen. Beim im Herbst als DFB-Präsident zurückgetretenen Wolfgang Niersbach seien die Ermittler "trotz schwerwiegender Bedenken" zu dem Ergebnis gekommen, dass der 65-Jährige 2005 nicht zwingend wusste, dass das Geld an Louis-Dreyfus gehen sollte.

Es war ein völliges Versagen interner Kontrollmechanismen, sowohl im WM-Organisationskomitee 2006 als auch innerhalb der DFB-Spitze.

DFB-Interimspräsident Rainer Koch
Prof. Dr. Christian Duve (rechts) DFB-Schatzmeister Reinhard Grindel, 1. DFB-Vizepraesident Dr. Reinhard Rauball, 1. DFB-Vizepräsident Dr. Rainer Koch, DFB-Mediendirektor Ralf Koettker (v.l.).

Die Akteure auf der Pressekonferenz: Prof. Dr. Christian Duve (rechts) DFB-Schatzmeister Reinhard Grindel, 1. DFB-Vizepraesident Dr. Reinhard Rauball, 1. DFB-Vizepräsident Dr. Rainer Koch, DFB-Mediendirektor Ralf Koettker (v.l.). picture alliance

Was ist mit dem Vertrag mit Jack Warner?

Das Organisationskomitee der WM 2006 hat die Zusagen in einem Vertragsentwurf mit dem früheren FIFA-Vizepräsidenten Jack Warner "jedenfalls teilweise erbracht". Der Vertrag trat allerdings laut Angaben der Ermittler "formal wohl nicht in Kraft". Das "Beckenbauer-Dokument", ein auf den 2. Juli 2000 (vier Tage vor der WM-Vergabe) datierter Entwurf, war in den Archiven des DFB aufgetaucht. Es wurde von Beckenbauer für die deutsche und Warner (Trinidad/Tobago) für die andere Seite unterschrieben. Es enthielt erhebliche Zusagen an Warner, Beckenbauer nennt es dagegen "ein Entwicklungshilfe-Paket mit Ticketing-Möglichkeit" für den Kontinentalverband CONCACAF.

Verliert der DFB seine Gemeinnützigkeit?

Das ist zum aktuellen Zeitpunkt schwer zu sagen, auch die neue Spitze um den designierten Niersbach-Nachfolger Reinhard Grindel hat diesbezüglich "noch keine Einschätzung", wie der amtierende Schatzmeister auf Nachfrage erklärte. Geschätzte 25 Millionen Euro könnte eine solche nachträgliche Aberkennung den Verband kosten.

Welche Schlüsse zieht der DFB aus dem Gesamtvorfall?

Die Bilanz ist ernüchternd. Reinhard Rauball, der als Vize-Präsident kommissarisch gemeinsam mit Rainer Koch dem Verband vorsteht, erkannte "ein völliges Versagen der verbandsinternen Kontrollmechanismen". Grindel stellte das Weiterdenken in den Vordergrund, also Vermeidungsstrategien. Der 54-Jährige versprach für den Fall seiner Wahl Strukturveränderungen und die Schaffung einer Compliance- und Controlling-Abteilung. "Ich persönlich bin auch für die Einrichtung einer Ethikkommission", erklärte er. Wirtschaftlich soll ein öffentlicher Finanzbericht Transparenz schaffen. An diesen Worten wird sich Grindel messen lassen müssen.

Zieht der DFB Niersbach aus den Exekutivkomitees von FIFA und UEFA ab?

Franz Beckenbauer und Wolfgang Niersbach

Wurden beiden im Freshfields-Bericht belastet: Franz Beckenbauer und Wolfgang Niersbach. imago

Das ist ein wahrscheinlicher Schritt, auch wenn sich weder Grindel noch Koch oder Rauball dazu äußern wollten. Sie verwiesen darauf, dass sie den Freshfields-Bericht auch erst seit wenigen Stunden kennen und mögliche weitere Schritte direkt im Präsidium besprochen werden müssen. Dies dürfte auch für den Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Frankfurt mit Stefan Hans gelten. Der im November 2015 entlassene Vize-Generalsekretär klagt dort auf Wiedereinstellung, ein Gütetermin scheiterte. Hans habe, so der Freshfields-Bericht, Niersbach und den vor einer Woche unter Druck zurückgetretenen Generalsekretär Helmut Sandrock im Juni 2015 von fragwürdigen Zahlungsströmen informiert. Er wiederum sei von Fedor Radmann gewarnt worden, nachdem der Strippenzieher der deutschen WM-Bewerbung vom kommissarischen FIFA-Generalsekretär Markus Kattner Ende Mai in Kenntnis gesetzt worden sei. Weder Niersbach noch Sandrock oder Hans informierten den Rest des Präsidiums, sondern "ermittelten" im Geheimen selbst.

Niersbach bedauert "zutiefst"

"Den Vorwurf, im Sommer 2015 meine Kollegen im DFB-Präsidium nicht zügig über die mir bis dahin bekannten Vorgänge informiert zu haben, verstehe ich", teilte Niersbach in einer persönlichen Erklärung am Freitag mit: "Ich habe mich zum damaligen Zeitpunkt bemüht, die Hintergründe des Sachverhalts zu recherchieren und zufriedenstellende Antworten zu erhalten, bevor ich das Präsidium informiere. Dass mir dies nicht gelungen ist, bedauere ich zutiefst."

Blatter schweigt und ein Ordner fehlt

Insgesamt haben seit Oktober bis zu 42 Freshfields-Anwälte an der Untersuchung mitgewirkt. Dabei wurden 740 Aktenordner gesichtet und 128.000 E-Mails und elektronische Dokumente ausgewertet. Zudem wurden 26 Interviews geführt. "Wir konnten nicht alle Personen sprechen, die wir sprechen wollten", sagte Christian Duve von Freshfields. So habe sich etwa der frühere FIFA-Chef Joseph Blatter nicht geäußert. Auch seien nicht alle Akten verfügbar gewesen. Rund 100 Aktenordner lagern bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt, die wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall gegen Niersbach, Zwanziger und Schmidt ermittelt. Ein Ordner mit dem verdächtigen Namen "FIFA 2000" wurde im Sommer 2015 von einer Mitarbeiterin aus dem DFB-Archiv geliehen – und ist seitdem spurlos verschwunden.

Die Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer stellte die Ergebnisse ihrer monatelangen Ermittlungen am Freitag zunächst dem 45-köpfigen Vorstand des Deutschen Fußball-Bundes vor. Der DFB hatte durch den Skandal großen Schaden genommen, Niersbach trat im November zurück. Im Kern geht es um eine dubiose Zahlung von umgerechnet 6,7 Millionen Euro, die das WM-Organisationskomitee nach eigenen Angaben über den früheren Adidas-Chef Louis-Dreyfus an den Weltverband FIFA leistete.

dpa/sid/tru/bh