Bundesliga

Fischer: "Möller hat Eier, ganz viele haben keine"

Aufarbeitung der NS-Zeit: Gramlich nicht mehr Ehrenpräsident

Fischer: "Möller hat Eier, ganz viele haben keine"

Präsident Peter Fischer.

Präsident Peter Fischer.

Die Versammlung begann mit guten Nachrichten. Präsident Peter Fischer berichtete stolz von 88.100 Mitgliedern und nahm die 100.000-Marke ins Visier: "Ich bin absolut zuversichtlich und hoffnungsvoll, nächstes Jahr 100.000 Mitglieder oder mehr in unserem Verein begrüßen zu dürfen. Das ist sicherlich eine spektakuläre Zahl." Weltweit gehöre die Eintracht gemessen an den Mitgliederzahlen schon jetzt zu den 25 größten Klubs der Welt. Neue Rekorde wird es auch beim Umsatz der Fußball AG geben. Vorstand Axel Hellmann berichtete in seiner Rede von 280 bis 300 Millionen Euro Umsatz, die der Klub für die laufende Spielzeit erwartet.

Fischer streifte in seiner über zweistündigen Rede viele Themen, blickte auf das vor allem international aufregende Jahr mit dem Einzug ins Halbfinale der Europa League zurück und kritisierte die Stadt Frankfurt für fehlende Sportplätze und Hallen: "Frankfurt behauptet immer, Sportstadt zu sein, aber dafür muss die Politik noch einiges tun." Er berichtete von einer 80 Kinder umfassenden Warteliste für die Leichtathletik und forderte: "Wir brauchen neue Hallen, neue Sportplätze und Möglichkeiten, Sport von den Kleinen bis zu den Großen auszuüben."

Für besondere Aufmerksamkeit sorgten im Verlauf der fünfstündigen Versammlung indes drei weitere Themen: Die Aberkennung der Ehrenpräsidentschaft des früheren Präsidenten Rudolf Gramlich, die Installation von Andreas Möller als Leiter des Nachwuchsleistungszentrums und die Fanausschlüsse in der Europa League. Der kicker fasst die wichtigsten Aussagen zusammen.

Rudolf Gramlichs Nazi-Vergangenheit: Vor einem Jahr beauftragte die Eintracht das in Frankfurt ansässige Fritz Bauer Institut, Gramlichs Rolle während der Zeit des Nationalsozialismus zu untersuchen. Der 1988 im Alter von 79 Jahren verstorbene Gramlich war Spieler bei der Eintracht, deutscher Nationalspieler und Kapitän der DFB-Auswahl, Vorsitzender des Bundesligaausschusses -und Nationalsozialist, als Mitglied bei der NSDAP sowie der SS. Die Ergebnisse der Untersuchungen des Instituts wird die Eintracht in den kommenden Monaten veröffentlichen, doch schon jetzt fiel in Beratungen des Ehrenrats und des Präsidiums die Entscheidung: Gramlich wird posthum die Ehrenpräsidentschaft aberkannt. "Der Privat- und Geschäftsmann Rudolf Gramlich hat von der nationalsozialistischen Herrschaft profitiert", berichtete Fischer. Zwar gäbe es keine Belege für ein "gesteigertes politisches Interesse während des dritten Reiches", allerdings hätte Gramlich keine Schwierigkeiten gehabt, sich "dem Nationalsozialismus anzudienen, als es für ihn persönlich, ökonomisch und sportlich opportun war". Fischer fuhr fort: "Die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus nahm er billigend in Kauf. Wir sind der Überzeugung, dass diese Fakten, die bei der Ernennung zum Ehrenpräsidenten dem damaligen Zeitgeist folgend keine Rolle gespielt haben, heute anders bewertet werden müssen. Ein Ehrenpräsident muss auch moralisch und ethisch ein Vorbild sein. Das Präsidium und der Ehrenrat sind zu dem Ergebnis gekommen, die Ehrenpräsidentschaft posthum abzuerkennen." Vom DFB wurde Gramlich 1968 mit der Silbernen und 1974 mit der Goldenen Ehrennadel ausgezeichnet, 1975 wurde er zum Ehrenmitglied ernannt. Der Verband will nun beraten, ihm die Ehrenmitgliedschaft abzuerkennen.

Die Kontroverse um Andreas Möller: Dreimal spielte Möller für Eintracht Frankfurt, zweimal sorgten seine Transfers - zu Borussia Dortmund und Juventus Turin - für einigen Wirbel. Für viele, aber längst nicht alle Eintracht-Fans ist der Welt- und Europameister bis heute ein rotes Tuch. Entsprechend verursachte Möllers Ernennung zum Chef des Nachwuchsleistungszentrums Anfang Oktober reichlich Wirbel in der Fanszene und zahlreiche Protestaktionen. Der Weg zum Sitz des e.V. im Frankfurter Stadtteil Riederwald ist "gepflastert" mit Aufklebern, auf denen Möller als "Persona non grata" bezeichnet wird. Es überrascht, dass der Verein diese Aufkleber nicht längst entfernen ließ. Denn Fischers Plädoyer für Möller, dessen Verpflichtung Sportvorstand Fredi Bobic vorantrieb, hätte kaum flammender ausfallen können. "Andreas Möller verfügt über eine extrem hohe Expertise und eine große Affinität zum Nachwuchs. In den Gesprächen hat Andy alle Verantwortlichen mit seinen Konzepten inhaltlich überzeugt. Er ist national und international gut vernetzt, sein Blick geht weit über den Tellerrand hinaus", führte Fischer noch in ruhigem Tonfall auf das Thema hin. Verhaltener Applaus, vereinzelte Unmutsäußerungen. Anschließend wurde der Präsident deutlich. "Vielleicht hätten wir frühzeitig mit manchen historischen Lügen aufräumen müssen, die immer mal wieder zu hören waren. Leute, ihr habt so viel Scheiße geschrieben, von der ihr keine Ahnung habt. Viele waren damals noch überhaupt nicht auf der Welt. Da erzählen mir 17-, 18- oder 19-Jährige Mythen und Räubergeschichten von Andreas Möller. Das passt überhaupt nicht in diesen Verein mit seiner Willkommenskultur und Toleranz."

Spätestens nach dieser Äußerung wurde die Spaltung unter den Fans deutlich, neben Applaus waren auch deutliche Buhrufe zu vernehmen. Fischer, sichtlich von den Emotionen gepackt, betonte: "Logischerweise ist Andreas hier, der hat nämlich Eier. Ich kenne ganz viele, die gar keine Eier haben, die nur ganz viel dummes Zeug erzählen oder Schildchen malen. Wir grenzen niemanden aus." Das Resümee der bisherigen Zusammenarbeit fällt positiv aus. "Andy ist ein sympathischer Arbeitskollege, morgens der Erste und abends der Letzte, hochakzeptiert, hochengagiert und dynamisch", so Fischer. Mit diesen Worten überzeugte er jedoch längst nicht alle anwesenden Mitglieder, die Fronten sind verhärtet. Das wurde besonders deutlich, als der Anhänger Fabian Böker das Wort ergriff und "für die gesamte aktive Frankfurter Fanszene" eine gut siebenminütige Rede gegen Möller hielt. Unter anderen sagte der 35-Jährige: "Andy Möller war dreimal da, hatte dreimal einen Vertrag und hat diesen Vertrag in keinem der drei Fälle erfüllt. Bei all seinen Vereinswechseln hat er - nicht nur in Frankfurt - verbrannte Erde hinterlassen. Warum wird jemand in die Familie aufgenommen, der sie in der Vergangenheit mehrfach verraten hat? Gerade für die Älteren unter uns ist das ein Schlag ins Gesicht." Möller sei wie Lothar Matthäus und Jupp Heynckes in Frankfurt eine "Persona non grata", seine Verpflichtung passe nicht zu den Werten des Vereins. Außerdem bemängelte er, dass es die zuvor von Fischer gemachten Gesprächsangebote ("offene Türen") nicht rund um Möllers Verpflichtung gegeben hätte. Bökers Ausführungen wurden mehrfach von lautem Applaus unterstützt.

Im Anschluss ergriff der Abteilungsleiter Fußball, Ottmar Ulrich, das Wort und kritisierte - ebenfalls von Applaus begleitet - die Möller-Kritiker: "Jungs, ihr redet von Andy Möllers Verfehlungen, aber was macht ihr denn in der Kurve? Was ist denn bei euch schon schiefgelaufen? Und wir verzeihen euch immer. Gebt ihm doch eine Chance!" Das letzte Wort, so viel scheint klar, ist in der Causa Möller noch nicht gesprochen. Es liegt nun an dem früheren Weltklasse-Mittelfeldspieler, die Masse der Fans mit guter Arbeit in den nächsten Jahren zu überzeugen. Alle Anhänger wird er wohl nie für sich gewinnen können, dafür ist zu viel Porzellan zerbrochen.

Fan-Ausschluss und Pyrotechnik: Das Hantieren mit kleineren und größeren pyrotechnischen Gegenständen ist in Frankfurt seit vielen Jahren ein heikles Thema. Seit dem Spiel bei Lazio Rom im Dezember 2018 hat sich die Problematik verschärft, Warnungen der Verantwortlichen und von der UEFA verhängte Fan-Ausschlüsse zur Bewährung verpufften wirkungslos. Die Konsequenz: Bei den Europa-League-Spielen in Lüttich und bei Arsenal durften keine Eintracht-Fans ins Stadion. "Das Thema Pyrotechnik lässt uns nicht los. Wir haben die Folgen bei Arsenal erlebt, das wäre ein unglaubliches Highlight für unsere Fangemeinde gewesen. Wir hätten London überlaufen, überrannt, überrollt - und durften das nicht", sagte Fischer und erhielt für diese Worte lauten Applaus. Der 63-Jährige bekräftigte: "Für mich ist es schlicht nicht nachvollziehbar, dass einige den Bogen immer wieder überspannen, obwohl wir schon mit harten Sanktionen belegt sind.

Wo soll der stimmungsstrahlende Effekt sein, wenn die Verwendung von Pyrotechnik ganz offensichtlich die Fanszene spaltet und auf eine Zerreißprobe stellt?" Seine Vermutung: "Vielleicht passt es dem einen oder anderen auch nicht, dass die Eintracht in den letzten Jahren ein so positives Bild abgegeben hat. Einige wollen offensichtlich nicht als die lautstarken, positiven Fans wahrgenommen werden, die die Mannschaft bedingungslos unterstützen und für ihre Choreografien und ihre Stimmung weltweit gefeiert werden." Fischer betonte zwar, Rufen nach Kollektivstrafen eine "klare Absage" zu erteilen, mahnte aber: "Allen muss klar sein: Wenn wir weiter die Grenzen überschreiten, wird es weitere Zuschauerausschlüsse auswärts und zu Hause geben. Das müssen wir alle hier verhindern."

Julian Franzke