Champions League

Drogba-Interview über 2012: "Wollte einen Panenka versuchen"

Zehn Jahre nach dem Triumph in München

Drogba im Interview: "Eigentlich wollte ich einen Panenka versuchen"

Didier Drogba dreht nach seinem verwandelten Elfmeter jubelnd ab.

Didier Drogba dreht nach seinem verwandelten Elfmeter jubelnd ab. AFP via Getty Images

Vieles ist seit 2012 über die Tränen des FC Bayern nach dem "Finale dahoam" am 19. Mai geschrieben und erzählt worden. Genau zehn Jahre danach spricht hier nun der Stürmer des FC Chelsea, der dieses Endspiel zugunsten der Blues entschied: Didier Drogba. Torschütze zum 1:1 und im Elfmeterschießen. Er wandelte auf einem schmalen Grat, die tragische Figur und der Held von München zu sein.

Herr Drogba, ganz ehrlich, hätten Sie Anfang 2012 für möglich gehalten, dass der FC Chelsea ein paar Monate später zum ersten Mal den Henkelpott gewinnen würde?

Unser Trainer hatte nur wenige Wochen zuvor noch André Villas-Boas geheißen, doch er war dann vom Verein entlassen worden. Roberto di Matteo wurde für ein knappes halbes Jahr als Interimscoach installiert. Wir Spieler hatten unter uns ein Teammeeting, denn wir hatten das Gefühl, dass wir für diesen Wechsel mitverantwortlich waren. Kapitän John Terry sprach, Frank Lampard ebenso, auch Petr Cech und andere Führungsspieler ergriffen nacheinander das Wort, um eine Art Pakt zu schließen nach dem Motto: "Jetzt erst recht!" Wir beschlossen, nach unserer Niederlage im Achtelfinalhinspiel in Neapel (1:3, d. Red.) alles zu geben. Wir hatten um diese Trophäe seit 2004 gekämpft, aber mehr als der Finaleinzug 2008 war uns nicht vergönnt. Alle waren sich einig, ihr Ego beiseite zu legen und alles diesem einen Ziel unterzuordnen: diesem Henkelpott. Dafür wollten wir alles in die Waagschale werfen.

Champions League, Finale 2012

Haben Sie spontan eine Anekdote parat hinsichtlich des Zusammenhalts in der Mannschaft damals?

Ja, die habe ich tatsächlich: Ausgerechnet nach diesem Meeting bat ich den damals erst 23-jährigen Juan Mata: "Bitte, Maestro, hilf mir, die Champions League zu gewinnen." Er sah mich an und meinte: "Junge, du bist verrückt! Du bist doch Didier Drogba, du wirst mir helfen, sie zu gewinnen, nicht umgekehrt." Ich habe ihm gesagt, dass ich seit acht Jahren hier bin, sie aber nie gewonnen habe. "Deshalb glaube ich, dass du derjenige bist", habe ich geantwortet, "der uns helfen wird, diesen Pott zu gewinnen." Ich hatte ihm sogar ein Geschenk angekündigt, wenn wir es schaffen. Das war Ende Februar.

Ich war völlig fertig. Auf dem Weg zum Anstoß war ich so entmutigt wie selten zuvor.

Didier Drogba

Springen wir in den Mai. Der FC Bayern ging damals als Favorit in dieses Endspiel. Waren Sie optimistisch, dass Chelsea dennoch den Coup in der Arena landen würde, trotz des Heimvorteils der Münchner?

Wir mussten einfach nach wie vor an uns glauben und wie eine Einheit auftreten: Das war die einzige Chance, gegen den FC Bayern zu bestehen. Ein Finale ist immer ein 50:50-Spiel, weil so viele Sachen passieren können, auf die man gar nicht vorbereitet ist. Es ging schlicht darum, auf unsere Möglichkeit zu warten und sobald sie kommt, sie zu nutzen, um den Henkelpott nach London zu holen.

Nachdem Thomas Müller für Bayern erst in der 83. Minute nach etlichen glasklaren Torchancen das 1:0-Führungstor erzielt hatte, war das Spiel dann für Sie im Kopf vorbei?

Ja, das dachte ich tatsächlich. Ich war völlig fertig. Auf dem Weg zum Anstoß war ich so entmutigt wie selten zuvor. Doch dann wandte sich ausgerechnet Mata zu mir und sagte: "Didi, gib bloß nicht auf, glaube weiter an uns, du musst dranbleiben." Fast unter Tränen antwortete ich, nachdem ich auf die Uhr geschaut hatte: "Woran soll ich glauben? Es ist fast vorbei."

Und dann bekam Chelsea diese eine Ecke.

Ja, es war ausgerechnet die letzte Ecke, aber auch die allererste für uns gegenüber 20 am Ende für Bayern München. Raten Sie mal, wer diesen Eckball ausgeführt hat ... Richtig: Mata. Der Rest ist Geschichte. Die Lektion dabei lautet immer: Immer daran glauben, immer!

Ich wusste vor allem, dass es in der 88. Minute unsere letzte Chance werden würde.

Didier Drogba

Sie hatten also ein gutes Gefühl, dass diese Ecke eine Riesenchance ist?

Ich wusste vor allem, dass es in der 88. Minute unsere letzte Chance werden würde. Wir hatten Standards im Training oft geübt, und als der Ball von Mata zu mir kam, hatte ich echt Angst, dass ihn Lampard mir wegschnappt, aber Frank war ein sehr intelligenter Spieler, der sich im letzten Moment weggeduckt hat, nachdem er zwei Gegner auf sich gezogen hatte, sodass ich am ersten Pfosten frei an den Ball kommen konnte.

In der Verlängerung waren Sie es, der Franck Ribery foulte - Strafstoß!

Da war ich erneut am Boden zerstört. Ich ging ja ungeschickt in diesen Zweikampf, doch als Arjen Robben scheiterte, wusste ich, dass wir das Glück definitiv auf unserer Seite hatten.

Auch dank Petr Cech.

Ohne ihn, ohne seine Klasse, hätten wir dieses Finale nie gewinnen können. Wir hätten schon vor dem Elfmeterschießen verloren. Statt der Held zu werden, wäre ich für alle Ewigkeit der böse Bube gewesen, der diesen Elfmeter verursacht hat. Jedes Mal, wenn ich an die Champions League zurückdenke und diesen Henkelpott vor Augen habe, muss ich an Cech denken. Ich habe ihm so viel zu verdanken.

Im Elfmeterschießen waren Sie dann der letzte Chelsea-Schütze.

Ursprünglich wollte ich bei diesem Elfmeter einen Panenka versuchen. Das war die ganze Zeit in meinem Kopf. Doch plötzlich dachte ich: "Didier, mach kein Sch... Es ist dafür nicht unbedingt der richtige Moment." (lacht) Vor dem Elfmeterschießen war ich fest davon überzeugt, dass wir das letzte Wort haben würden.

Didier Drogba trifft beim entscheidenden Elfmeter gegen Manuel Neuer

Didier Drogba trifft beim entscheidenden Elfmeter gegen Manuel Neuer imago sportfotodienst

Warum?

Ich war einfach guter Dinge, das Selbstvertrauen war auf einmal groß, weil die 90 Minuten extrem schwer waren und Bayern klar dominiert hat, trotzdem ist uns in der 88. Minute der 1:1-Ausgleich gelungen. Das war in meinen Augen das klare Zeichen: Das ist definitiv unser Tag. Dazu hatte ich einen Elfmeter in der Verlängerung verschuldet, und Cech konnte meinen Blackout wieder ausbügeln. Ich trat als Letzter an, nachdem zwei Münchner, Ivica Olic und Bastian Schweinsteiger, auch an Petr gescheitert waren.

Was ging Ihnen durch den Kopf, nachdem sie diesen letzten Elfmeter zum Sieg verwandelt hatten?

Ich bin einfach losgerannt, es war die pure Ekstase. Ich bin irgendwie verrückt geworden. Ich bin auf all meine Mitspieler zugelaufen, ich habe aber schnell vor allem Cech gesucht. Ich wollte besonders mit ihm feiern, weil er uns mehrfach gerettet hatte.

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