Die Mannschaft des Gastgebers Katar und die Nationalelf Ecuadors bestreiten das Eröffnungsspiel der 22. Fußball-Weltmeisterschaft. Am Sonntag. Das alleine ist symptomatisch für das umstrittene Turnier, denn diese Partie war ursprünglich wie drei weitere für den Montag vorgesehen und da nicht als klassischer Auftakt.
Nachjustieren als Standard
Nachträglich wurde der Spielplan zurück auf "Normalität" gestellt. Noch mal nachjustieren galt ja schon für das gesamte Programm dieser Wüsten- und Winter-WM, die zunächst wie üblich, diesmal jedoch auf fahrlässige Weise, in den Sommer vergeben worden war.
Hier liegt die Wurzel allen Übels, für das die FIFA-Exekutive und ihre im Jahr 2010 führenden Köpfe die Verantwortung tragen. Die World Cups 2018 und 2022 hätten niemals im Doppelpack an Russland und Katar vergeben werden dürfen. Finanzielle Interessen und Machtpolitik spielten eine größere Rolle als ernsthafte Gedanken an Menschenrechte oder die Nachhaltigkeit beim Bau der Stadien und der Infrastruktur in dem schwerreichen Emirat.
Wohlgemerkt: Das flächenmäßig kleine Katar ist ein wichtiger, potenter Partner für westliche Regierungen und Konzerne nicht nur in Sachen Flüssiggas. Heute noch mehr als zu Zeiten der WM-Vergabe, insbesondere auch für Deutschland, dessen Wirtschaftsminister Robert Habeck angesichts der Energiekrise bei Emir Tamim bin Hamad al-Thani vorsprach. Außenministerin Annalena Baerbock bestätigte unterdessen eine Waffenlieferung an Saudi-Arabien.
Wo Fortschritte enden
In der gesamten Golfregion machen sich die Staaten den Sport zunutze, um sich politisch und wirtschaftlich noch stärker aufzustellen. Aber auch, um Modernisierungsprozesse im eigenen Land anzustoßen. Dem WM-Gastgeber werden in diesem Kontext von unabhängigen Organisationen bedeutende Fortschritte bescheinigt. Doch diese reichen offenkundig nicht aus, wenn die Religion angeblich die Diskriminierung Homosexueller gebietet.
kicker-Chefredakteur Jörg Jakob
Wenn der Fußball bei seinem größten Wettbewerb für Toleranz, Fairplay, Weltoffenheit stehen will, muss er - mit Respekt allen Kulturen gegenüber - für diese Werte eintreten. Aber müssen Spieler und Trainer rausreißen, was FIFA-Technokraten längst verbockt haben? Es droht ein Jo-Jo-Spiel aus Protestversuchen und Protestverboten, Kritik und Kritik an der Kritik.
"Dazwischen" - ein schwieriger Spagat
Doch Schweigen kann nicht die Lösung sein. Englands Nationaltrainer Gareth Southgate sagte, die Sportler befänden sich wohl "dazwischen". Zwischen dem Anspruch, den Titel zu gewinnen, und dem Urteil darüber, was sie für die Gesellschaft beitragen. Diese Einschätzung trifft sicher ebenso auf die deutsche Nationalmannschaft zu.
Diese WM ist ein einziges Dilemma. Das bleibt sie, auch wenn nun der Sport in den Vordergrund rückt.