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Die Ununbesiegbaren: Arsenals Krise - und was Arteta mit ihr zu tun hat

Arsenals historische Krise - und was Arteta mit ihr zu tun hat

Die Ununbesiegbaren

Teuer, aber kaum Tore: Willian (l.) und Pierre-Emerick Aubameyang.

Teuer, aber kaum Tore: Willian (l.) und Pierre-Emerick Aubameyang. imago images

Sam Allardyce ist im englischen Fußball das, was man hierzulande Feuerwehrmann nennt, und deswegen kennt er sich aus. "Ja, absolut", antwortete der neue Trainer des Premier-League-Vorletzten West Bromwich am Tag vor Heiligabend auf die Frage, ob er Arsenal als Konkurrent im Abstiegskampf sieht.

Das Schmerzhafte für alle Arsenal-Fans waren dabei weniger die beiden Worte an sich; es war das ungute Gefühl, dass Allardyce Recht haben könnte. Ins "Boxing Day"-Heimspiel gegen Chelsea (Samstag, 18.30 Uhr, LIVE! bei kicker) gehen die Gunners als Tabellen-15. mit 14 Punkten nach 14 Spieltagen und mit einer Serie von sieben Ligapartien ohne Sieg.

Premier League - 15. Spieltag
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Pl. Verein Punkte
1
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2
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3
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Als Arsenal 1974/75 letztmals schlechter in eine Saison startete, wurde am Ende Derby County 15 Plätze weiter oben Meister und Europapokalstarter, Bayern Bundesligazehnter, und Arsene Wenger feierte seinen 25. Geburtstag.

Arteta hat Arsenal einen emotionalen Ruck verpasst, der nötig war

2018, als der inzwischen ergraute Franzose nach 22 Jahren Abschied nahm, schien der Klub seine Identität bereits seit längerem verloren zu haben. Die Fahndung läuft immer noch. Eine Verdächtige, die im Sommer nach den Triumphen in FA Cup (2:0 gegen ManCity im Halbfinale, 2:1 gegen Chelsea im Finale) und Community Shield (5:4 i.E. gegen Liverpool) gefasst worden war, wurde wieder laufengelassen. Man steht vor einem Rätsel.

Seit einem Jahr ist Mikel Arteta jetzt im Amt, seit September als "Manager" mit erweiterten Kompetenzen statt nur als "Trainer". Zwei Titel hat er schon gewonnen, genauso viele wie Wenger in seinen letzten drei Spielzeiten und zwei mehr als sein Vorgänger Unai Emery. Er hat es geschafft, dass Kapitän Pierre-Emerick Aubameyang verlängert und Teamarzt Gary O'Driscoll doch nicht zu Jürgen Klopp abwandert. Er hat Arsenal den emotionalen Ruck verpasst, der nötig war.

Diese Woche zog Arteta ein mysteriöses Zwischenfazit

Warum er jetzt trotzdem in diese kolossale Krise geraten ist, weiß niemand so genau. Ist Arteta vielleicht doch nicht automatisch ein Top-Top-Trainer, weil er Pep Guardiolas rechte Hand war? Ist Arsenal, der elftreichste Klub der Welt, doch nicht der passende Ort für einen Cheftrainernovizen? Oder kämpft der 38-jährige Spanier bei Arsenal immer noch mit alten Problemen, die es bei ManCity gar nicht gab?

Am Montag, dem Tag vor dem Ligapokalaus gegen Guardiola (1:4), war Arteta mit ein paar Daten zu seiner Pressekonferenz erschienen. Er wollte belegen, dass seine Elf zurzeit wegen fehlender "Qualität beim Abschluss" Spiele verliere, die sie laut Statistik eigentlich gewinnen müsste (was sich tatsächlich auch bei den "Expected Goals" zeigt). Artetas Mystery-Fazit: "Hier geht es noch um etwas anderes. Es ist nicht einfach unsere Leistung, da ist noch etwas anderes, das für uns laufen muss, und das tut es momentan nicht."

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Womöglich ist ja dieses "something else" der Grund, dass Torjäger Aubameyang (drei Saisontore) nicht wiederzuerkennen ist, seit ihn Arsenal zum Topverdiener gemacht hat; dass Arsenal kaum Tore aus dem Spiel heraus erzielt und es der 19-jährige Bukayo Saka ist, der in dieser Saison am erwachsensten wirkt; dass die Mannschaft - wie sonst nur Brighton und West Brom - schon drei Platzverweise kassiert hat und ausgebuht wird, als nach Monaten erstmals wieder 2000 Zuschauer zugelassen sind.

Arsenals Kader? Als hätte jemand ohne Einkaufszettel eingekauft

Von Anfang an hatte Arteta um Zeit gebeten, und vielleicht hatte er sich mit dem Hoch im Sommer kurz selbst überholt. "Als ich angefangen habe, wussten wir alle, dass es ganz und gar keine schnelle Reparatur werden würde", wiederholte er erst vor kurzem. "Zu viele Dinge hier mussten gelöst, zu viele Entscheidungen getroffen werden. Es wird weiterhin viele Veränderungen geben."

Ende 2020 sieht der Arsenal-Kader so aus, wie ein Arsenal-Kader in den letzten Jahren meistens aussah: als hätte jemand ohne Einkaufszettel eingekauft, und die Brille war auch noch beschlagen. Willian (32), der im Sommer nach einer starken Abschiedssaison bei Chelsea einen hochdotierten Dreijahresvertrag erhalten hatte und weiter auf sein erstes Tor wartet, ist nur ein Beispiel; Leihrückkehrer William Saliba (19), 2019 für 30 Millionen Euro verpflichtet, aktuell bei der U 23 eingesetzt und wohl bald erneut verliehen, ein anderes.

Auch auf der Führungsebene herrscht Durcheinander - mancher wünscht sich Wenger zurück

Dabei spiegelt das Durcheinander auf dem Rasen nur das in der Führungsebene wieder. Raul Sanllehi, 2019 nach dem Abgang von Geschäftsführer Ivan Gazidis zum "Head of Football" aufgestiegen, machte (statt Sven Mislintat) Ex-Profi Edu zum neuen Technischen Direktor, ist seit diesem Sommer aber selbst Arsenal-Geschichte. Seitdem verantwortet Edu mit Arteta Arsenals Fußball- und Transferpolitik.

Und das läuft so reibungslos, dass es inzwischen schon Gerüchte gibt, Wenger höchstpersönlich könnte zur Unterstützung zurückkehren. "Mein Einfluss ist heute null, ich bin für nichts mehr verantwortlich!", sagte der Franzose gerade der "Zeit". Einige Fans wünschen sich offenbar, es wäre wieder anders, jetzt da aus den einstigen "Invincibles" das Gegenteil geworden ist.

Arteta zu entlassen wäre wie die Entlassung der todgeweihten, strahlungsbenebelten Wissenschaftler bei der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl.

"The Guardian"

Arteta verzweifelt gerade daran, das, was ihm zur Verfügung steht, mit dem, was er sich vorstellt, irgendwie in Einklang zu bringen. Ihn zu entlassen, dichtet der "Guardian", "wäre wie die Entlassung der todgeweihten, strahlungsbenebelten Wissenschaftler bei der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl". Es würden nur "andere sterbende Wissenschaftler" folgen, "vielleicht mit etwas dickeren Laboranzügen". Auch Guardiola sagt, es wäre ein "großer Fehler", über Artetas Rauswurf auch nur nachzudenken.

Arteta selbst will als "Kämpfer" vorangehen. Dass seine Beziehung zu einigen Führungsspielern gelitten haben soll, dementiert er vehement, spricht von einer "Einheit" und "guter Atmosphäre". Währenddessen twittert Mesut Özil, wie sehr er der Mannschaft "gerade jetzt helfen" wollte.

Der Technische Direktor Edu sieht "eine wunderschöne Zukunft"

Kurzfristig ist eine gute Nachricht, dass das 19-jährige Sturmtalent Gabriel Martinelli (Arteta: "Er spielt das Spiel anders als alle anderen Spieler") nach seiner Knie-OP wieder fit ist und am 2. Januar das Transferfenster öffnet. Eine schlechte, dass für die von Edu und Arteta geplante Verstärkung im kreativen Mittelfeld Inter-Reservist Christian Eriksen (28) im Gespräch ist.

"Mikel macht einen großartigen Job", hatte Edu vor knapp zwei Wochen gesagt. "Alles hier läuft richtig, alles funktioniert", und auch wenn das derzeit "sehr komisch" klinge: "Ich kann eine große, wunderschöne Zukunft sehen." Wie recht er doch hat: Das klingt wirklich sehr komisch.

Jörn Petersen

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