Champions League

Martin Endemann: "Die UEFA hat uns vor vollendete Tatsachen gestellt"

Interview mit Martin Endemann von den "Football Supporters Europe"

"Die UEFA hat uns vor vollendete Tatsachen gestellt"

Dortmunder Fans fordern via Banner im Heimspiel gegen Sevilla, die Champions-League-Reformen zu stoppen - vergeblich.

Dortmunder Fans fordern via Banner im Heimspiel gegen Sevilla, die Champions-League-Reformen zu stoppen - vergeblich. imago images

Am 19. April wird das UEFA-Exekutivkomitee "offiziell" über die bevorstehende Champions-League-Reform entscheiden. Unter den vielen Fans, die sich gegen die weit fortgeschrittenen Pläne positioniert haben, ist mit den "Football Supporters Europe" (FSE) auch die größte europäische Vereinigung von Fußallfans, die auch von der UEFA anerkannt ist. Im kicker-Interview spricht FSE-Sprecher Martin Endemann (44) über die Reform, das Schweigen der DFL und die "heimliche Bestimmerin" im europäischen Fußball.

Herr Endemann, die FSE lehnen die Champions-League-Reformpläne klar ab. Was genau stört Sie?

Es gibt sehr viele Faktoren, die an der vorliegenden Champions-League-Reform problematisch sind. Das wahrscheinlich Wichtigste: Sie wird die schon jetzt bestehende Ungleichheit in den europäischen Ligen noch mehr manifestieren. Das heißt, die regelmäßigen Champions-League-Teilnehmer werden im Vergleich zu allen anderen Mannschaften noch sehr viel mehr Geld zur Verfügung haben, worunter auf kurze und lange Sicht die nationalen Ligen leiden werden. Schon heute sind in Italien Juve, in Frankreich Paris, in Deutschland Bayern Abo-Meister. Das würde sich noch verschärfen.

Dazu kommt die Anzahl der Spiele. Mehr Spiele bedeuten natürlich noch mehr Gewinnausschüttung an die teilnehmenden Vereine - und mehr Belastung für Fußballfans, gerade für die, die ihrem Verein überallhin folgen wollen. Die müssen noch mal zwei Auswärtsspiele und zwei Heimspiele mehr bezahlen.

Und dann gibt es noch angeblich so kleine Änderungen wie die Möglichkeit, dass sich Mannschaften künftig durch eine Koeffizientenregelung qualifizieren können - nicht weil sie im letzten Jahr super Fußball gespielt haben, sondern weil sie in den letzten zehn Jahren in Europa am besten waren. Das geht natürlich gegen alles, was wir am Fußball lieben: dass sich sportlicher Erfolg des letzten Jahres lohnen soll, dass jeder Verein die gleiche Chance haben soll, sich für Wettbewerbe zu qualifizieren. Das wird mit solchen Neuregelungen total ausgehöhlt.

Bayern und Dortmund könnten ja sagen, wir würden bei keiner Super League mitmachen.

Laut UEFA sind die FSE "seit 2009 offizieller Ansprechpartner für Fanthemen und einer der wichtigsten Interessenträger der UEFA". Inwieweit wurden Sie in den Reformprozess einbezogen?

Wir wurden insofern einbezogen, als wir mit unter den Ersten waren, die von den schlechten Nachrichten gehört haben (lacht). Das ist natürlich genau das Gegenteil von echtem 'Stakeholder Involvement'. Man sollte die Leute, mit denen man zusammenarbeitet, nicht erst informieren, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, sondern im Voraus mit einbeziehen: Was sind denn eure Interessen? Welche Vorschläge hättet ihr? Das passiert nicht, stattdessen wird man vor vollendete Tatsachen gestellt.

Wie würde denn die Reform aussehen, wenn die FSE mit am Tisch gesessen hätten?

Das ist eine sehr gute Frage, die nicht einfach zu beantworten ist. Auch die Fanszenen sind sehr vielschichtig mit vielen Interessenslagen. Aber es ist ja kein Geheimnis, dass schon die Einführung der Champions League an sich nicht überall für Begeisterung gesorgt hat. Nun sind viele unserer Mitglieder keine Traditionalisten, die unbedingt den Pokal der Landesmeister zurückholen wollen. Aber wenn man sich mal anguckt, wer sich seit Gründung der Champions League für die Finalspiele qualifiziert hat, dann war ein Großteil dieser Mannschaften nicht mal Meister. Was für eine Champions League soll das denn überhaupt sein?

Völlig offen ist noch, wie die UEFA ab 2024 ihre Preisgelder verteilt. Glauben Sie an eine fairere Verteilung als bisher?

Inzwischen bin ich sehr pessimistisch. Wir sprechen hinter den Kulissen mit vielen Funktionären. Da sagt jeder, der Fußball muss gerechter werden, aber das, was dann abfällt, ist eine minimale Erhöhung der Solidaritätszahlung (der Europapokalteilnehmer an die nicht qualifizierten Klubs, d.Red.). Das sind Beträge, mit denen die Vereine auf keinen Fall irgendwelche Lücken schließen können. Die unfassbaren Summen, die dann durch einen neuen Fernsehvertrag und die zusätzlichen Spiele für die Großen generiert werden, werden jede Erhöhung der Solidaritätszahlung ausbooten. Das sind keine grundlegenden Maßnahmen, die irgendetwas ändern werden, sondern ein paar Brotkrumen, die hingeworfen werden.

Es ist ein absoluter Skandal, dass sich der europäische Fußball von der ECA vor sich hertreiben lässt.

Einige Fans halten inzwischen sogar die Gründung einer Super League für das kleinere Übel. Nach dem Motto: Sollen die Topklubs mal gegeneinander spielen, bis es langweilig wird, dafür sind dann die nationalen Ligen wieder spannender. Wie stehen Sie zu dieser Position?

Ich würde sie sofort unterschreiben, wollten die Vereine nicht beides haben. Sie wollen ja eine Super League, aber auch noch jedes Jahr die nationale Meisterschaft gewinnen. Solange die großen Klubs nicht Nägel mit Köpfen und komplett ihr eigenes Ding machen, ist das keine Variante. Sonst hätten diese Klubs ja noch mehr Einnahmen und könnten sich zwei, drei, vier Kader zusammenkaufen und in der Bundesliga mit dem einen, in der Super League mit dem anderen und im Pokal mit dem dritten spielen.

Fungiert bei den "Football Supporters Europe" als Projektmanager: Martin Endemann.

Fungiert bei den "Football Supporters Europe" als Projektmanager: Martin Endemann. Martin Endemann

Klingt verlockend ...

Und noch etwas zur Super League: Klar, es gab diese Bedrohung, aber ich habe noch von niemandem gehört, der gesagt hat, er würde da gar nicht mitmachen. Anstatt zu sagen, wir müssen diesen Reformen zustimmen, weil sonst die Super League kommt, könnten - für Deutschland gesprochen - Bayern München und Borussia Dortmund ja sagen, wir würden bei keiner Super League mitmachen. Dann würde diese ja auch für die Investoren sehr viel uninteressanter werden. Und auch die DFL könnte sagen: Hört zu, Bayern und Dortmund, wenn ihr bei dieser Super League mitspielt, dürft ihr nicht mehr in der Bundesliga mitspielen. Aber auch das sagt keiner.

Ein großer Treiber der Reform war die Europäische Klubvereinigung ECA, der zwar 246 Klubs angehören, die aber trotzdem als Interessensvertretung der Großen gilt und auch zwei Sitze im 18-köpfigen UEFA-Exekutivkomitee hat.

Die ECA ist in den letzten Jahren mehr oder weniger die heimliche Bestimmerin des europäischen Fußballs geworden. Das sieht man schon daran, dass die ECA-Vertreter im Club Competitions Committee der UEFA, das solche Reformen erarbeitet, die Mehrheit hat. Da muss man sich nicht wundern, dass dann solche Vorschläge kommen. Die ECA ist auch keine sonderlich demokratische Vereinigung. Sie vertritt zwar auch kleinere Klubs, aber die haben innerhalb der ECA sehr wenig zu sagen. Der ECA-Vorstand wird in der Mehrheit von den großen Klubs besetzt. Es ist ein absoluter Skandal, dass sich der europäische Fußball wieder mal von der ECA und ihrem Präsidenten Andrea Agnelli vor sich hertreiben lässt.

Ich bin 100-prozentig überzeugt, dass es in den meisten europäischen Stadien Proteste gegeben hätte. Die Pandemie kam genau zum verkehrten Zeitpunkt.

Die Reform stößt ja nicht nur bei organisierten Fans auf riesige Ablehnung. In einer kicker-Umfrage bewerten sie über 90 Prozent als "schlecht". Könnte sich die UEFA mit ihr tatsächlich verrechnen? Oder werden die Stadien trotzdem wieder voll und die Einschaltquoten hoch sein?

Das ist Spekulation. Die Frage impliziert aber ein wenig, dass der Schwarze Peter bei den Fans liegt, also, dass die Fans ja bloß nicht einschalten oder hingehen müssten. Jeder, der Fußballfan ist, weiß natürlich, wie schwer es ist, wenn der eigene Verein spielt und man dann sozusagen aus moralischen Gründen nicht einschalten oder hinfahren darf. Dabei gehört diese ganze Reform abgelehnt, die Hauptverantwortung haben die Leute im UEFA-Exekutivkomitee - unter anderem auch DFB-Vizepräsident Rainer Koch.

Wäre es für UEFA & Co. schwerer gewesen, die Reform so durchzusetzen, wenn in den letzten Monaten Fans in den Stadien gewesen wären?

Auf jeden Fall. Ich weiß, dass so was wie das Plakat der Dortmunder im Champions-League-Spiel gegen Sevilla ("Stop UCL Reforms!", d.Red.) in der UEFA wahrgenommen wird. Ich bin 100-prozentig überzeugt, dass es ähnliche Proteste in den meisten europäischen Stadien gegeben hätte, wenn Zuschauer erlaubt gewesen wären. Auch deswegen kam die Pandemie genau zum verkehrten Zeitpunkt.

Corona hat der UEFA bei der Reform also geholfen?

Auf jeden Fall.

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