Bundesliga

Der Fall Kalou: Wo Hertha wirklich die Vorgaben missachtete

Abstände, Abstrich-Diagnostik, Schutzausrüstung, Türen

Der Fall Kalou: Wo Hertha wirklich die Vorgaben missachtete

Wurde von Hertha BSC suspendiert: Salomon Kalou.

Wurde von Hertha BSC suspendiert: Salomon Kalou. imago images

Das Informations-Handbuch der DFL zu Diagnostik und Monitoring für den Trainings- und Sonderspielbetrieb in der Bundesliga und 2. Bundesliga umfasst 42 Seiten. Die beschriebenen Abläufe seien "eine verbindliche Grundlage für alle beteiligten Klubs und Personen", schreibt die DFL. Das am Montag von Salomon Kalou live aus der Hertha-Kabine gestreamte skandalöse Video zeigt, dass die Botschaft offenbar nicht überall angekommen ist.

Nachdem Kalous Facebook-Live-Video viral gegangen war, hatte die DFL sehr zügig und sehr deutlich reagiert: "Die Bilder von Salomon Kalou aus der Kabine von Hertha BSC sind absolut inakzeptabel. Hierfür kann es keine Toleranz geben - auch mit Blick auf Spieler und Klubs, die sich an die Vorgaben halten, weil sie die Ernsthaftigkeit der Situation erfasst haben."

Hertha hatte am Montagabend mit der logischen Sanktion reagiert und Kalou, dem bis zu seinem Blackout am Montag ein tadelloser Ruf anhaftete, suspendiert. "Salomon Kalou hat mit seinem Video nicht nur Hertha BSC einen großen Schaden zugefügt, sondern vor allem in der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion über die Wiederaufnahme des Spielbetriebs und die Rolle des Profifußballs den Eindruck erweckt, dass einzelne Spieler das Thema Corona nicht ernst nehmen", ließ Manager Michael Preetz in einer Stellungnahme verlauten. "Ich möchte aber ausdrücklich betonen, dass wir alle Beteiligten intensiv auf die Hygiene- und Abstandsregeln hingewiesen haben und auf deren konsequente Einhaltung achten. Wir orientieren uns klar an den Maßgaben der für uns zuständigen Gesundheitsbehörde und den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts."

Von einer Hände-Desinfektion ist bei Kalou in der Kabine nichts zu erkennen

Das Live-Video von Kalou, der noch während des Trainings am Montag zum Rapport bei Preetz antreten musste, suggeriert etwas anderes. Konkret missachteten der ivorische Angreifer und der Hauptstadt-Klub die DFL-Vorgaben in diesen Punkten:

Abstände: Kalou begrüßt Athletiktrainer Henrik Kuchno und seinen langjährigen Sturmpartner Vedad Ibisevic per Handschlag, andere Profis wie Rune Jarstein, Per Skjelbred und Peter Pekarik offenbar mit der Faust - offenbar im Hochgefühl negativer Testergebnisse. Von der Beachtung der empfohlenen Abstände ist nichts zu sehen. In ihrem Konzept schreibt die DFL, die "Aufklärung über das Einhalten der Basishygienemaßnahmen (Händedesinfektion, Husten- und Nieshygiene, Abstand) erfolgt nach Vorgabe des Hygienebeauftragten".

Zudem solle "die Aufenthaltsdauer in der Kabine vor und nach dem Training minimiert werden, ebenso Dauer und Intensität des Kontakts zu Mitspielern und Betreuern". Und: "Nutzen der Gemeinschaftsräume (Umkleide, Duschen) nur in kleinen Gruppen mit Gewährleistung von mindestens zwei Metern Abstand." Dass das Handgeben zu unterlassen ist, wird im DFL-Papier nicht explizit erwähnt - es wird, offenbar zu Unrecht, als Basiswissen vorausgesetzt. Auffällig auch: Von einer Hände-Desinfektion ist bei Kalou in der Kabine nichts zu erkennen.

Herthas Physiotherapeut trägt lediglich eine einfache OP-Maske

Türen: Auf Seite 39 des DFL-Papiers heißt es: "Türen sollten insgesamt möglichst offen bleiben, damit keine Türgriffe benutzt werden." Das ist augenscheinlich bei Hertha nicht der Fall, Kalou betätigte mehrere Türklinken.

Schutzausrüstung: Gemäß des DFL-Konzepts soll die Abstrich-Diagnostik mit Mund-Nasen-Schutz erfolgen "und nach Möglichkeit mit Gesichtskappe". Bei asymptomatischen Personen müsse die Schutzausrüstung "nicht nach jedem Abstrich gewechselt werden", bei symptomatischen Testpersonen müsse "immer in voller persönlicher Schutzausrüstung abgestrichen werden (Schutzanzug, Maske, Gesichtsschutz)". Auf Seite 40 des DFL-Dokuments heißt es zudem: "Schützen Sie sich mittels persönlicher Schutzausrüstung (Mund-Nasen-Schutz und Visier oder Schutzbrille)." Herthas Physiotherapeut David de Mel, der - während Kalou ihn minutenlang filmt - bei Abwehrspieler Jordan Torunarigha einen Abstrich vornimmt, trägt eine einfache OP-Maske.

Abstrich-Diagnostik: Im DFL-Konzept wird ein Raum für die Abstrich-Diagnostik gefordert, "der nicht anderweitig genutzt wird". Kalou betrat den Raum und ignorierte de Mels Bitte ("Sala, bitte: Lösch' das Video, bitte!"). Übrigens: Der Abstrich muss nicht durch den Hygienebeauftragten (Arzt) erfolgen, aber der trägt die Verantwortung dafür, dass der Diagnostikbeauftragte ausreichend geschult wurde, und hat die ordnungsgemäße Durchführung des Abstriches stichprobenartig zu kontrollieren.

Noch am Wochenende hatte Nationalmannschafts-Arzt Tim Meyer, der Leiter der DFL-Taskforce Sportmedizin/Sonderspielbetrieb erklärt, von den Profis sei "extreme Disziplin" nötig, auf dem Platz und daneben: "Wenn diese Disziplin nicht eingehalten wird, dann kann das beste Konzept ins Wanken geraten."

Kalou Video: Ein unrühmlicher, bizarrer Schlusspunkt nach sechs Jahren in Berlin

Kalous Irrfahrt und die Zustände in der Hertha-Kabine - für den Klub ein GAU und für den deutschen Profi-Fußball, der sich am Mittwoch von der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten grünes Licht für den Re-Start des Spielbetriebes in der 1. und 2. Liga erhofft, ein fataler Querschuss zur Unzeit. Kalou selbst zeigte am Montagabend Reue und wurde von Klubseite so zitiert: "Es tut mir leid, wenn ich mit meinem Verhalten den Eindruck erweckt habe, dass ich Corona nicht ernst nehme. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Das Gegenteil ist der Fall, denn ich mache mir vor allem auch über die Menschen in Afrika große Sorgen, denn dort ist die medizinische Versorgung bei weitem nicht so gut wie in Deutschland."

Es ist der unrühmliche, bizarre Schlusspunkt nach sechs Jahren in Berlin. Hertha nennt Kalous Fauxpas "die Verfehlung eines einzelnen Spielers", räumt aber ein: "Die Tatsache, dass andere Teammitglieder ihn nicht auf diese Verfehlung aufmerksam gemacht haben und stattdessen den Gruß per Handschlag erwidert haben, verdeutlicht, dass die regelmäßigen Hinweise auf die Abstands- und Hygieneregeln noch intensiver ausfallen müssen." Es ist das verklausulierte Eingeständnis, bei der Aufklärung und Handlungsanweisung an die Adresse der Profis nachlässig gewesen zu sein.

Und eine der Fragen, die sich jetzt verstärkt stellt: Wie wirksam und akkurat sind die Kontrollen der Klubs durch die zuständigen Gesundheitsämter (im Falle von Hertha durch das Gesundheitsamt des Bezirkes Charlottenburg-Wilmersdorf), wenn zwar der Kleingruppen-Trainingsbetrieb auf dem Rasen regelmäßig in Augenschein genommen wird, aber hinter verschlossenen Türen selbst die Hygiene-Grundregeln ausgehebelt werden?

Lesen Sie zu Kalous Entgleisung hier den Kommentar von kicker-Chefreporter Oliver Hartmann

Michael Ebert/Steffen Rohr