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Chelsea: Der unwirkliche Aufstieg des Marc Cucurella

Wer ist der neue Chelsea-Profi - und warum ist er so teuer?

Der unwirkliche Aufstieg des Marc Cucurella

Marc Cucurella - 2014 als U-16-Nationalspieler, bei seinem Chelsea-Debüt und als Liebling eines Brighton-Fans (v.li.).

Marc Cucurella - 2014 als U-16-Nationalspieler, bei seinem Chelsea-Debüt und als Liebling eines Brighton-Fans (v.li.). Getty Images/imago/picture alliance

Es ist schon verrückt, dass Brighton & Hove Albion, ein Mittelklasseklub der Premier League, einen Verteidiger, der international noch kaum in Erscheinung getreten ist, für rund 60 Millionen Euro nach London verkauft hat. Verrückter ist nur, dass es ein Jahr später schon wieder passiert ist.

Marc Cucurella, der im Alter von 24 Jahren bislang ein A-Länderspiel für Spanien absolviert hat und das auch nur, weil im Juni 2021 so viele Nationalspieler in Quarantäne mussten, dass U-21-Akteure nachrückten, ist plötzlich der teuerste Linksverteidiger der Welt.

Vor einem Jahr - als Brighton bereits Ben White für eine fabelhafte Summe zu Arsenal verkauft hatte - hatten noch Burnley und Brighton Cucurella gejagt, in diesem Sommer waren es auf einmal Manchester City und Chelsea. Die Blues zahlten schließlich die Summe, die selbst ManCity zu hoch war, und verpflichteten Cucurella für eine Sockelablöse von etwa 65 Millionen Euro (zusätzlich bekam Brighton noch Chelsea-Eigengewächs Levi Colwill auf Leihbasis).

Barça verleiht Cucurella zweimal - mit einem großen Unterschied

Nun sind das Zahlen, die in der Premier League schon lange niemanden mehr schocken, aber vielleicht schocken sie ja den FC Barcelona. Die Katalanen hatten Cucurella von Stadtrivale Espanyol geholt, als er fast 14 war (und schon lange Locken trug), und weiter ausgebildet, ihm aber einen solchen Sprung offenbar nie zugetraut.

2018 verlieh Barça Cucurella nach Eibar, ein Jahr später zu Getafe, doch es gab einen gravierenden Unterschied: Als Eibar die Kaufoption über zwei Millionen Euro zog, konnte Barça mit einer doppelt so hohen Rückkaufoption kontern; als Getafe die Kaufoption über sechs Millionen Euro zog, war Cucurella endgültig weg. Nur ein einziges Profispiel hatte er im FCB-Trikot absolviert, im Oktober 2017 wurde er in einem bereits entschiedenen Copa-del-Rey-Spiel in der Schlussphase eingewechselt.

Zumindest 40 Prozent an einem Weiterverkauf ließ sich Barça zusichern, und der erfolgte schon ein Jahr später, kurz nachdem Cucurella gerade Olympisches Silber in Tokio geholt hatte. Obwohl er sich schon genauer in Burnley umgesehen und laut "The Athletic" sogar ein Trikot des damaligen Premier-League-Klubs in der Hand gehabt hatte, entschied er sich für das angeblich etwas schlechter dotierte Angebot aus Brighton, dessen Fußball ihm mehr zugesagt haben soll (was kein Wunder ist, wenn die Alternative Burnley heißt).

In seiner einzigen Brighton-Saison räumt Cucurella zwei Preise ab

Während Burnley abstieg, legte Cucurella eine Saison hin, nach der ihn sowohl die Fans als auch die Teamkollegen zum Brighton-Spieler des Jahres kürten. Er ergatterte zwar "nur" eine Vorlage und ein Tor - nach dem er in Tränen ausbrach -, gehörte aber immer wieder zu den Auffälligsten seiner Mannschaft. Sein aggressives Vorwärtsverteidigen, sein Stellungsspiel, sein Tempo waren unübersehbar.

Dass gerade ManCity um Pep Guardiola auf ihn aufmerksam wurde, war deshalb nur auf den ersten Blick überraschend, dass Cucurella als La-Masia-Schüler gerne zu diesem Trainer gewechselt wäre, ganz und gar nicht. Doch aus bislang unerfindlichen Gründen hatte der Meister erstens eine finanzielle Schmerzgrenze und ließ sich zweitens nicht über diese locken.

Durchbruch auf Mykonos - Chelsea-Fans haben schon ein Lied gedichtet

Dafür trat Chelsea auf den Plan, das schon 2020 mit Cucurella in Verbindung gebracht worden war und - vielleicht getrieben vom bis dahin so schwerfällig verlaufenen Transferfenster - nicht lange zauderte: Bei einem Treffen in einer Villa auf Mykonos, wo der neue Chelsea-Boss Todd Boehly mit seiner Familie urlaubte, wurde dem Vernehmen nach der Durchbruch erzielt. Wie bei White war Brighton knallhart geblieben.

So wurden aus zwei (Eibar, 2019), sechs (Getafe, 2020) und 18 Millionen Euro Ablöse für Cucurella (Brighton, 2021) binnen drei Jahren 65. Und aus einem - zumindest abseits des Rasens - schüchternen jungen Mann, der sich die Locken angeblich nicht wegen Carles Puyol, sondern auf Bitten seiner Mutter wachsen ließ, damit diese ihn auf dem Fußballplatz besser erkennt, wurde ein Chelsea-Profi, den die Fans schon bei seiner ersten Einwechslung mit einem eigenen Lied besangen.

"Cucurella, Cucurella, he eats paella, he drinks Estrella, his hair is f***ing massive", schallte es bei Chelseas Premier-League-Auftaktspiel gegen Everton (1:0) aus dem Gästeblock, der offenbar detailreich recherchiert hatte. Doch was hat Thomas Tuchel mit dem teuersten Linksverteidiger der Welt vor?

Der neue Rüdiger? Tuchel zieht noch einen anderen Vergleich

Einen solchen gibt es in dessen 3-4-2-1-System zwar nicht, doch der amtierende Welttrainer des Jahres hat genau beobachtet, dass sein Kollege Graham Potter Linksfuß Cucurella in Brighton trotz dessen Körpergröße von 1,72 Meter zunehmend auch als linken Part der Dreierkette einsetzte; unter anderem an der Stamford Bridge Ende Dezember, als er den 1:1-Endstand vorbereitete.

Diese Position ist bei Chelsea seit Antonio Rüdigers Abgang unbesetzt. Gleichzeitig kann Tuchel nun gelassener abwarten, bis sein linker Schienenspieler Ben Chilwell nach dessen Kreuzbandriss wieder in Topform ist.

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Cucurella könnte also vieles werden bei Chelsea: der Rüdiger-Nachfolger, der Chilwell-Vertreter, der neue David Luiz, den er in jungen Jahren angeblich noch mehr verehrte als Puyol (Frisuren jeweils sicher Zufall). Oder ein ganz anderer? "Ich will nicht zu euphorisch sein", sagte Tuchel nach Cucurellas Verpflichtung, "aber ich habe das Gefühl, wir haben den neuen Azpilicueta geholt."

Tuchel sieht "in Sachen Mentalität, Einstellung, sogar in Sachen Position, nur mit dem linken Fuß", zahlreiche Parallelen zum amtierenden Chelsea-Kapitän, der sich gegen den FC Barcelona entschieden hat und lieber in seine elfte Saison an der Stamford Bridge geht. Auch Cucurella, schwärmt Tuchel, "ist ein sehr netter, bodenständiger Typ". Nur eben auf einmal 65 Millionen Euro schwer.

Jörn Petersen