Nationalelf

Der Generation 95/96 läuft die Zeit davon: "Riesenchance mit der Heim-EM"

Kimmich zieht Vergleich mit Argentinien

Der Generation 95/96 läuft die Zeit davon: "Riesenchance mit der Heim-EM"

Konnte seinen Ehrgeiz beim DFB bisher nicht stillen: Joshua Kimmich.

Konnte seinen Ehrgeiz beim DFB bisher nicht stillen: Joshua Kimmich. IMAGO/Sven Simon

Am frühen Donnerstagabend gab der DFB über seine offiziellen Kanäle bekannt, dass Joshua Kimmich am nächsten Tag mit Bundestrainer Hansi Flick zusammen an der Abschlusspressekonferenz vor dem Test gegen Peru teilnehmen werde. Es war eine unspektakuläre Meldung. Kimmich war in seiner Rolle als Kapitän - in Abwesenheit des verletzten Manuel Neuer - die logische Wahl. Brisanz aber erhielt sich durch das Trainerbeben beim FC Bayern, das sich in den folgenden Stunden entwickeln sollte.

Als Kimmich am Freitagmittag auf dem Podium Platz nimmt, ist die Trennung der Münchner von Julian Nagelsmann noch nicht offiziell kommuniziert, ebenso wenig logischerweise die Verpflichtung von Thomas Tuchel als Nachfolger Nagelsmanns. Kimmich will daher lieber gar nichts sagen, lässt aber klar erkennen, dass ihm das Timing nicht wirklich gut gefällt: "Solche Diskussionen beschäftigen einen natürlich, wenn es um die Trainerposition im eigenen Verein geht. Das ist der Trainer, mit dem man tagtäglich zusammenarbeitet", sagt der Mittelfeldspieler des DFB, der als enger Vertrauter Nagelsmann galt. Im Training und beim Spiel dürfe das zwar keine Rolle spielen, "aber es gibt genügend Leerlauf auf dem Zimmer, da liest man Dinge und bekommt es mit".

Abschlusstraining A-Nationalmannschaft Deutschland Hans-Dieter Flick (Trainer Deutschland) Abschluss

Flick über Neulinge: "Ich verstehe, warum man das anzweifelt"

alle Videos in der Übersicht

Es ist eine Ablenkung, die ganz und gar nicht in Kimmichs Sinne ist. Wie kaum ein zweiter Nationalspieler hatte er nach dem frühen Aus bei der WM in Katar Einblick in seine Seele gewährt und die Angst geäußert, "dass ich in ein Loch falle". Der Misserfolg werde auch mit seinem Namen verbunden. "Das ist nichts, wofür man stehen möchte." Seine Frau und seine drei Kinder fingen ihn anschließend auf, sorgten für Zerstreuung und die Rückkehr positiver Gedanken. Irgendwann im Laufe des langen Nach-WM-Urlaubs sei die Motivation schließlich zurückgekehrt, sagt er am Freitag und wird dann deutlich.

Gerade bei den Turnieren und in der Nations League - das war schlecht.

Joshua Kimmich

Sehr gut habe seine Zeit in der Nationalmannschaft angefangen: Die Euro 2016 war für ihn persönlich ein Erfolg, ein Jahr später folgte der Triumph beim Confed Cup in Russland mit einer stark verjüngten deutschen Elf. "Wir wissen aber auch, dass es danach nicht mehr so viel war. Gerade bei den Turnieren und in der Nations League - das war schlecht." Die deutsche Mannschaft sei ihrem Anspruch nicht gerecht geworden. "Das sollte uns ärgern." Er jedenfalls wolle nicht "in 15 Jahren auf meine Karriere zurückschauen und denken: Wir hatten eine geile Truppe, aber wir haben nichts gerissen".

Kimmich läuft die Zeit davon: "Riesenchance mit der Heim-EM"

Kimmich ist inzwischen 28 Jahre alt. Die Chancen auf einen Sieg bei einem großen Turnier werden auch für ihn weniger. Es ist ein Schicksal, dass er mit anderen Spielern aus dem DFB-Kader teilt. Mit Leon Goretzka etwa, Ilkay Gündogan, Serge Gnabry oder den diesmal nicht nominierten Leroy Sané und Nikas Süle. Aus dem als golden angekündigten Jahrgang 1995/96 könnte eine "Generation Blech" werden. Kimmich treibt das um - und an. "Wir haben jetzt eine Riesenchance mit der Heim-EM", blickt er am Freitag voraus und nimmt seine Mitspieler in die Pflicht: "Das sollte für uns Motivation genug sein. Ich hoffe, wir haben unsere Lehren gezogen."

Unabhängig von seinem derzeitigen Amt als Kapitän, das er mindestens bis zu einer möglichen Rückkehr Neuers in die Nationalelf innehaben dürfte, will er vorangehen. Mit seinen Fähigkeiten auf dem Platz. Aber auch mit seiner Erfahrung und seiner Persönlichkeit.

Bundestrainer Hans Dieter Hansi FLICK (GER), Einzelbild,angeschnittenes Einzelmotiv,Portraet,Portrai

Flick spricht über Torwartfrage - und kündigt Doppelspitze an

alle Videos in der Übersicht

Ganz genau hat er die Kader-Nominierung durch Bundestrainer Hansi Flick beobachtet. Ganz genau hat er registriert, wie sich die vielen Neulinge in der bisherigen Trainingswoche eingebracht haben. Äußern wollte er sich zu den einzelnen Personalentscheidungen am Freitag nicht. "Die trifft der Trainer", sagt er zunächst nur. Einen Nachsatz aber erlaubt er sich dann doch: "Es ist ein Balanceakt: Auf der einen Seite tut es uns gut, wenn man ein gewisses Stammpersonal hat, das vorneweggeht. Auf der anderen Seite ist es die Verantwortung, dass wir in der Breite gut aufgestellt sind." Das Wichtigste aber sei, dass endlich wieder die Ergebnisse stimmen.

Argentinien soll als Beispiel dienen

Als Vorbild zieht Kimmich bei seinen ausführlichen Ausführungen den amtierenden Weltmeister heran. In Argentinien habe bereits vor der WM eine Euphorie geherrscht, weil die Mannschaft ihre Spiele gewonnen hätte. "Es steht und fällt am Ende alles mit den Siegen", bilanziert er und hat genau darin ein Manko beim deutschen Team erkannt: "Wir müssen da wiederhinkommen. Denn wir hatten zu viele Spiele, die wir nicht gewonnen haben. Dann können wir auch nicht erwarten, dass die Leute jubelnd zuhause sitzen."

Der Startschuss zur Serie soll am Samstag gegen Peru fallen. Dass die DFB-Elf bis zur EM in 15 Monate nur Testspiele bestreiten wird, will er nicht als Ausrede gelten lassen. Überhaupt: Testspiele? "Vorbereitungsspiele", stellt Kimmich zum Ende der Pressekonferenz klar, dann hat er den Pflichttermin eines deutschen Kapitäns hinter sich gebracht. Die Bestätigung des Trainerwechsels beim FC Bayern indes ließ zu diesem Zeitpunkt weiter auf sich warten.

Matthias Dersch

Nationalmannschaft - Training

kicker-Reporter stellen vor: Das sind die sechs Neuen bei der Nationalelf

alle Videos in der Übersicht