Bundesliga

"Realo" im "Ländle": So lief Labbadias erste VfB-Amtszeit

Ein "Realo" im "Ländle"

Das Gegenteil von Messi: So lief Labbadias erste VfB-Amtszeit

Vier Monate später entlassen: Bruno Labbadia jubelt im April 2013 über den Finaleinzug im DFB-Pokal.

Vier Monate später entlassen: Bruno Labbadia jubelt im April 2013 über den Finaleinzug im DFB-Pokal. IMAGO/Sportfoto Rudel

Es ist Dezember, und der VfB Stuttgart ist akut abstiegsgefährdet. Also tut er das, was er in dieser Situation meistens tut: Er wechselt den Trainer. Bruno Labbadia, seit einigen Monaten weg von der Bundesliga-Bildfläche, wird der bereits dritte in dieser Hinrunde, obwohl das Umfeld ihn mit großer Skepsis empfängt: Ist das wirklich der richtige Nachfolger für Jens Keller?

"Wir werden den Abstieg verhindern", verspricht Labbadia im kicker-Interview, als er kurz vor Weihnachten 2010 beim VfB übernimmt. Dreieinhalb Jahre nach Meisterschaft und wenige Monate nach dem letzten Champions-League-Spiel beim FC Barcelona klingt das nicht unbedingt vollmundig. Doch erstens ist der VfB Vorletzter und zweitens Labbadia Realist. Dass ihm das eines Tages auf die Füße fallen wird, ahnt er da noch nicht. Viel wichtiger ist erst mal etwas anderes: Er hält Wort.

Auch dank der Winterneuzugänge Tamas Hajnal und Shinji Okazaki holt der VfB 30 Punkte in der Rückrunde und wird noch Zwölfter. Labbadia, in Leverkusen als DFB-Pokal-Finalist und in Hamburg als Europa-League-Halbfinalist entlassen, beweist: Er kann nicht nur starke Hinrunden anleiten (die dann in schwache Rückrunden münden), er kommt auch im Abstiegskampf zurecht.

Labbadia macht aus dem "Wettbewerbsnachteil" etwas Gutes, vielleicht sogar das Beste

Labbadia hat die Skeptiker zum Schweigen gebracht, 2011/12 macht er sie mundtot. Der VfB, im Sommer mit William Kvist ("Ich bin das Gegenteil von Messi") und im Winter mit Vedad Ibisevic verstärkt, stürmt mit 31 Rückrunden-Punkten auf den sechsten Platz. Martin Harnik trifft 17-, Ibisevic in der Rückrunde achtmal. Am 34. Spieltag macht der VfB innerhalb von sechs Minuten aus einem 0:2 gegen den VfL Wolfsburg ein 3:2. Labbadia verlängert bis 2013.

DFB-Pokal-Finale 2013

Euphorie aber kommt nicht auf, dazu waren die Fehler nach der Meisterschaft zu groß. Sportdirektor Fredi Bobic muss den Personaletat weiter senken und geht im Sommer 2012 kompromisslos vor: Nur 300.000 Euro investiert er in neue Spieler. "Wir haben einen klaren Wettbewerbsnachteil gegenüber unseren Konkurrenten, und wir müssen aufpassen, dass der Abstand zu diesen Vereinen nicht zu groß wird", warnt Labbadia im kicker und hält wenige Monate später seine berühmte "Mülleimer"-Wutrede, in der er mehr Respekt für sich und seine Berufskollegen fordert: "Als normaler Bundesliga-Trainer muss man sich die Frage stellen: Gehe ich einen schweren Weg mit? Oder sage ich: Am Arsch geleckt! Das Fass ist absolut voll."

Dass der VfB mehr Qualität verkaufen als hinzuholen kann, kennt er bereits ("Es ist doch schon die ganze Zeit so"), doch wieder macht er zumindest etwas Gutes daraus, im Nachhinein vielleicht sogar das Beste. Heute weiß man: Es ist das letzte Jahr, in dem der VfB ein Europapokal-Achtelfinale (0:2/1:3 in der Europa League gegen Lazio) und ein DFB-Pokal-Endspiel (2:3 gegen Bayern) erreicht.

Es wächst tatsächlich etwas - dummerweise ist es ein Graben

In der Liga dagegen wird der VfB mit der drittschlechtesten Tordifferenz Zwölfter, wobei man nicht immer merkt, dass Labbadias Schützlinge "den Gegner jagen" und dann "schnell und mutig nach vorne spielen" sollen. Lange überlegt Labbadia, ob er seinen auslaufenden Vertrag verlängern soll, er vermisst die Wertschätzung: Warum merken denn nicht alle, dass er hier nahezu das Maximum herausholt? "Hier ist etwas am Wachsen", wird er dann im Januar 2013 vom VfB zitiert: Er hat bis 2015 unterschrieben.

Auch Trainer haben Groupies: Bruno Labbadia - hier sichtlich wertgeschätzt von zwei VfB-Fans.

Auch Trainer haben Groupies: Bruno Labbadia - hier sichtlich wertgeschätzt von zwei VfB-Fans.  imago sportfotodienst

Der 22. Juli 2013 zeigt schließlich, dass wirklich etwas am Wachsen ist, ein Graben. Während Bernd Wahler mit "kommunistischen" (Bobic) 97,4 Prozent zum neuen Präsidenten gewählt und gefeiert wird und Aufsichtsratschef Joachim Schmidt den VfB schon bald wieder in der "Spitzengruppe" der Liga sieht, üben einige Mitglieder auf der Versammlung Kritik an Labbadia. Und auch Bobic macht Druck: "Der VfB soll Spaß machen. Das ist auch ein klarer Auftrag an den Trainer."

"Realo" Labbadia aber bleibt sich treu. Er weigert sich, die Aufbruchstimmung mitzutragen. "Man hat manchmal das Gefühl, wir hätten Messi und Neymar geholt", sagt er und muss am 26. August 2013 schließlich gehen. Drei Niederlagen zum Ligastart haben in dieser Gemengelage genügt. Labbadia erreiche die Mannschaft nicht mehr, stellt Bobic fest.

Drei Tage später feiert "Vollblut-VfBler" (Wahler) Thomas Schneider ein unglückliches Debüt: Goran Mujanovic, heute 39 und immer noch aktiv, schießt Rijeka nach dem 2:1-Sieg eine Woche zuvor im Rückspiel der Europa-League-Play-offs in der 94. Minute zu einem 2:2 in Stuttgart. Es ist das bis heute letzte Europapokalspiel der VfB-Geschichte.

Jörn Petersen

Labbadia Letzter: Die Punkteschnitte der VfB-Trainer seit 2010