Bundesliga

Pal Dardai im Interview: "Ajax kann für Hertha ein Vorbild sein"

Ungar spricht auch über seine persönliche Zukunft

Dardai im Interview: "Ajax kann für Hertha ein Vorbild sein"

Kennt sich nicht nur bei Hertha aus: Pal Dardai.

Kennt sich nicht nur bei Hertha aus: Pal Dardai. imago images/Contrast

Wie geht es Ihnen mit etwas Abstand zum Profifußball, Herr Dardai?

Schon gut. Ich kenne das ja (grinst).

Wie blicken Sie auf Ihre Zeiten als Cheftrainer zurück?

Als ich damals Hertha BSC zum ersten Mal übernommen hatte, war kein Cent in der Kasse. Ich kam als Nachwuchskoordinator, von der U 9 bis zur U 23 habe ich alles mitgemacht, das war eine schöne Zeit. Bei meiner zweiten Amtszeit handelte es sich um eine Rettungsaktion. Alles in allem habe ich es gut verarbeitet. Jetzt drücke ich Hertha natürlich weiterhin die Daumen. Und langweilig wird es mir sicher nicht, ich habe drei Söhne, die alle Fußball spielen. Manchmal werde ich zur Nationalmannschaft als Gast eingeladen, darüber hinaus halte ich bei der Trainerlizenzierung in Ungarn Vorträge.

Klingt nach einem neuen Alltag. Wo sehen Sie sich als nächstes: in der Bundesliga, im Jugendbereich?

Wenn du als Trainer ein Angebot bekommst, muss ich das Gefühl haben, dass es passt. Ich bin nicht der Typ, der einfach nur einen Job annimmt. Ich muss motiviert sein. Egal, ob Bundesliga, 2. Liga oder Jugend. Ich brauche ehrliche Menschen um mich herum. Sollte das gegeben sein, würde ich mich damit beschäftigen - und im besten Fall auch gleich loslegen. Der finanzielle Teil ist zweitrangig, ich verhungere nicht, habe mein Geld nicht im Casino ausgegeben.

Für so manchen ehemaligen Cheftrainer in der Bundesliga mag der Schritt zurück zur Jugend schwierig bis nicht vorstellbar sein. Was gab für Sie damals den Ausschlag, in den Nachwuchs zurückzukehren?

Ich habe mich nie angeboten - weder für die ungarische Nationalmannschaft noch für den Trainerposten bei Hertha. Ich hatte auch immer gute Experten in meinem Team, keine Ja-Sager, das war mir wichtig. Jede Station hat Spaß gemacht. Auch im Nachwuchs. Da hatten wir die Möglichkeit, etwas aufzubauen. Das gefiel mir. Ähnlich war es im ungarischen Verband, als wir strukturell vieles verändert haben.

Welche Unterschiede sehen Sie zwischen Ungarn und Deutschland?

Vor allem die Infrastruktur. Und: In Deutschland, einem fußballverrückten Land, gibt es über 80 Millionen Menschen. Da sollte es einfacher sein. Aber Ungarn hat hart gearbeitet und es geschafft, wenn man das Spiel bei der Europameisterschaft 2021 nimmt, mit Deutschland mitzuhalten. Da sieht man die Arbeit, die dahintersteckt.

Wovon handeln Ihre Vorträge beim Ungarischen Verband?

Ich habe eine Präsentation, mit der ich zeige, wie man etwas aufbaut und nachhaltige Strukturen schafft. Wie gibt man den Jugendlichen Vertrauen? Wie binde ich sie bei den Profis ein? Ich habe da vieles erlebt und kann aus der Praxis erzählen. Nicht nur, was den Trainerjob betrifft.

Zurück zu Hertha …

… ja, bei Hertha war es immer mein Traum, ein System und Prinzipen wie bei Ajax Amsterdam zu schaffen. Ajax kann für Hertha ein Vorbild sein. Wir waren erfolgreich, sehr stabil und waren eine sehr attraktive Adresse für Top-Jugendspieler. Mit Mitchell Weiser, Valentino Lazaro oder Niklas Stark. Die Jungs haben davor mit 17 Jahren vieles gewonnen. Sie haben dann direkt mit den Profis trainiert und gespielt, davon haben die Spieler enorm profitiert. Wenn junge Spieler keine Fehler machen, bringt es sie nicht weiter. Sie müssen Fehler machen und lernen. Leider ist es oft schwierig, sie frühzeitig im Profibereich zu installieren, weil die Trainer meistens enormen Druck haben.

War der Schritt zurück in die Jugend eine große Umstellung für Sie? Und haben Sie lange darüber nachgedacht?

Ich habe im Jugendbereich mit großer Freude gearbeitet. Jeder Jahrgang hat seine Eigenheiten. Mit 12, 13, 14 Jahren geht es um Kreativität, zumindest sollte es das. Später zählen dann andere Dinge wie Mentalität, taktisches Verhalten, Fitness und Athletik.

Mentalität ist nicht einfach zu scouten.

Pal Dardai

Welche Rolle spielt das Scouting?

Ich bin eher ein Fan davon, im Nachwuchs gut zu arbeiten, weil man die Spieler dann in- und auswendig kennt. Einen Spieler langfristig zu entwickeln und an die Profimannschaft heranzuführen sollte die Herausforderung sein. Ein gutes Scouting ist natürlich notwendig und hilft, aber es gibt viele Merkmale, die sehr schwierig zu beurteilen sind. Scouting ist wichtig, keine Frage, aber Mentalität zum Beispiel ist nicht einfach zu scouten. Von daher ist es ganz normal, dass es gute und schlechte Einkäufe gibt. Ich könnte theoretisch ein Video von einem Spieler, der ein schwaches Spiel gemacht hat, so zusammenschneiden, dass es am Ende aussieht, als wäre es ein gutes gewesen - und andersrum genauso. Das ist immer auch ein bisschen Manipulation, wenn man den Spieler nicht gut kennt. Anhand der Videos könnte man meinen, da spielen nur Weltmeister.

Worin kann sich die Jugendarbeit in Deutschland am meisten weiterentwickeln?

Ich würde mit den kleinen Kindern bis 14 Jahren nicht so viele Analysen machen, sondern viel mehr die Zeit für kleine Spiele auf engem Raum nutzen. Zwei-gegen-zwei, Drei-gegen-drei. Da müssen die Kinder viele Entscheidungen treffen, Dinge, die ich zwar in einer Analyse zeigen kann, aber die die Jugendlichen besser lernen, wenn sie es machen. Da sind auch die Ex-Profis gefragt, ihre Erfahrung im Nachwuchs einzubringen.

Bobic-Aus bei Hertha: Bernstein erklärt die Entscheidung

alle Videos in der Übersicht

Weg von der Theorie, hin zur Praxis?

Bei vielen Vereinen sehe ich, dass Kinder in diesem Alter schon pressen, auf Taktik achten. Das ist okay, aber so lernst du nicht, kreativ Fußball zu spielen. Zwei entscheidende Elemente sind das Stellungsspiel und der Pass. Diese spielerischen Elemente braucht es. Die Kinder müssen lernen, viele Tore zu machen, von hinten sauber herauszuspielen, viele Ballkontakte, auch auf kleine Tore - dabei sollten die Trainer immer wieder direkt eingreifen, coachen. Nicht erst danach analysieren. Zudem gibt es noch einen anderen Punkt.

Und der wäre?

In Frankreich gibt es eine Talente-Liga. Davon halte ich sehr viel. In Deutschland spielen viele U-23-Mannschaften in der 4. Liga, der Regionalliga. Das ist ein ganz anderer Fußball. Da lernst du, Schläge zu verarbeiten. Die Talente brauchen aber bessere Gegner, um selbst zu wachsen und sich zu entwickeln.

Wie steht es um die Engländer?

England war weit hinter Deutschland. Beim U-15-Turnier des 1999er Jahrgangs waren alle englischen Mannschaften eingeladen, auch Real Madrid und weitere Top-Nachwuchsvereine. Die Engländer haben uns interviewt, heute würde ich sagen ausgefragt, wie das alles funktioniert. Die genialste Sache in England ist: Sie arbeiten mit biologischem Alter. Als Beispiel: Ein großer Innenverteidiger in der U 17 wird in England schneller zur U 19 geschickt, weil die Mitspieler und Gegner auch größer sind. Der große U-17-Spieler braucht das, sonst bleibt seine Entwicklung auf der Strecke, weil er sich auf seine körperlichen Vorteile verlassen kann. Damit würde er sich auf die falschen Automatismen konzentrieren, die später nicht mehr helfen. Das biologische Alter spielt da auch eine große Rolle.

Dadurch wird auch die Messlatte immer höher gesetzt.

Genau. Wenn ein Fußballer zufrieden ist, war es das. Zufriedenheit heißt Stillstand.

Interview: Georg Holzner

"Ich bin Berliner, durch und durch": Webers Dienstantritt bei der Hertha

alle Videos in der Übersicht