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Emre Can: "Wir fahren nach München, um zu gewinnen"

Der Dortmunder ist der große Profiteur des März-Lehrgangs

Can: "Wir fahren nach München, um zu gewinnen"

Im Topspiel am Wochenende erbitterte Gegner: Die Nationalmannschaftskollegen Emre Can (li.) und Joshua Kimmich.

Im Topspiel am Wochenende erbitterte Gegner: Die Nationalmannschaftskollegen Emre Can (li.) und Joshua Kimmich. Getty Images

Emre Can zögerte am Dienstagabend nicht, sondern lief zum Ball und schnappte ihn sich. Es sah ganz so aus, als wolle der erst wenige Minuten zuvor eingewechselte Sechser in der 44. Minute den von Niclas Füllkrug herausgeholten Handelfmeter schießen. Dann jedoch schritt der Dortmunder auf seinen Kollegen zu, drückte ihm den Ball in die Hand und flüsterte ihm noch ein paar aufmunternde Worte zu. Wenige Sekunden später zappelte der Ball im Netz und Deutschland war beim Test gegen Belgien in Köln beim Zwischenstand von 1:2 wieder im Spiel.

Can ballte die Faust zum Jubel, dann peitschte er seine Mitspieler weiter an. Nach dem Spiel war er es dann, der die 2:3-Niederlage klar analysierte: "Wir waren nicht gut. Wir lagen verdient 0:2 hinten. Wir waren einfach zu passiv und nicht präsent genug in den Zweikämpfen. Wir haben nicht dagegengehalten", sagte er und wehrte jedes persönliche Lob ab: "Es geht nicht um mich, es geht immer um die Mannschaft." Und die habe es, "wenn man die erste halbe Stunde vergisst", gut gemacht, insbesondere in der zweiten Hälfte. Es waren Worte und Gesten eines etablierten Führungsspielers, nicht die eines Rückkehrers, der seinen Platz in der Mannschaft erst noch finden muss.

Flick hält sein Versprechen

Can gehört fraglos zu den wenigen Profiteuren des deutschen März-Lehrgangs. Erstmals in dessen Amtszeit hatte ihn Bundestrainer Hansi Flick nominiert und damit ein Versprechen eingelöst, das er dem 29-Jährigen vor der WM gegeben hatte: Damals hatte es für Can, der bei seinem Klub in Dortmund nur unregelmäßig zum Einsatz kam und dessen Leistungen stark schwankten, nicht zur Teilnahme gereicht. Doch Flick hielt ihm die Tür für eine Rückkehr offen, sollten Form und Fitness zurückkehren. Der Bundestrainer verfolgt Cans Weg seit 2013, er gilt als Förderer des Defensivspezialisten und wollte ihn in seiner Zeit als Bayern-Coach nach München lotsen.

Can hörte offenbar gut zu bei den Worten Flicks, denn als die Bundesliga im Januar ihren Spielbetrieb wieder aufnahm, trat er wie ausgewechselt auf. In Dortmund schwang sich der gebürtige Frankfurter zum Führungsspieler auf, indem er sich auf die Basics seines Spiels konzentrierte - Wille, Leidenschaft, Zweikampfstärke -, anstatt durch Tricks und Täuschungen auf dem Rasen aufzufallen. Als Solo-Sechser in Libero-Manier spielte sich Can fest und war zuletzt einer der maßgeblichen Faktoren dafür, dass der BVB am Samstag als Tabellenführer in München gastiert.

Auch beim Nationalteam benötigte er keine Anlaufzeit. Vom ersten Trainingstag an ging Can auf dem DFB-Campus vorweg. Es folgten am vergangenen Samstag zunächst 45 gute Minuten gegen Peru (2:0), ehe er am Dienstagabend die deutsche Elf gegen Belgien vor dem Untergang bewahrte. Nachdem ihn Flick in der 32. Minute eingewechselt und die Formation auf ein 4-3-3 umgestellt hatte, beruhigte sich das deutsche Spiel. "Emre war der aggressive Leader, den wir in diesem Spiel gebraucht haben. Er hat die Mannschaft wachgerüttelt", lobte Flick den Dortmunder, der den Fokus auf Zweikämpfe und Balleroberungen legte - und den Belgiern damit zunehmend den Nerv raubte.

"Emre hat uns viel Präsenz gebracht", sagte auch Serge Gnabry, am Dienstag Mitspieler, am kommenden Samstag beim Ligagipfel zwischen München und Dortmund Gegner von Can. Thilo Kehrer ergänzte: "Emre ist ein Spieler, der immer über die Tugenden kommt, über Zweikampfstärke, übers Auftreten. Das ist etwas, das wir als Mannschaft auch in den kommenden Spielen gut gebrauchen können." Man konnte das durchaus als Plädoyer für Can verstehen, für den es in den kommenden Monaten darum gehen wird, seine Leistungen zu konservieren. Die Chance jedenfalls scheint groß wie nie, sich im DFB-Team festzusetzen - auch wenn die Konkurrenz um Joshua Kimmich und Leon Goretzka prominent ist.

Das nächste Ausrufezeichen im DFB-internen Wettstreit um die Startpositionen bei der Heim-EM 2024 kann Can bereits am Samstag im direkten Duell in München nachlegen. "Es wird extrem schwer", blickte er am Dienstagabend zu später Stunde voraus, "aber wir glauben an uns. Wir fahren da hin, um zu gewinnen." Angesichts der Körpersprache von Can an diesem Kölner Abend glaubte man ihm das aufs Wort.

Matthias Dersch

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