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Brett Favre: verachtet, vergöttert, verhasst - und am Ende doch wieder gefeiert - Quarterback-Legende der Green Bay Packers und Mitglied der Hall of Fame wird 50 Jahre alt

Quarterback-Legende der Green Bay Packers wird 50 Jahre alt

Brett Favre: verachtet, vergöttert, verhasst - und am Ende doch wieder gefeiert

Ist der Vorgänger von Aaron Rodgers (links) - und hat den Namen "Gunslinger" in Green Bay etabliert: Brett Favre.

Ist der Vorgänger von Aaron Rodgers (links) - und hat den Namen "Gunslinger" in Green Bay etabliert: Brett Favre. imago images

"Wer hätte gedacht, dass ein Typ aus Gulfport/Mississippi einmal alle möglichen Passing-Rekorde der NFL zu einem Zeitpunkt halten würde?" Worte, die Brett Favre einmal im Nachgang an seine fast 20-jährige Profi-Karriere (1991-2010) in der National Football League sagte. Die Antwort: zu Beginn seiner Laufbahn wohl niemand. Genauso wenig hätten die Tag-eins-Beobachter daran geglaubt, dass Brett Favre eine unfassbare Serie von Spielen absolvieren würde, schier unverletzlich war sowie einmal sogar trotz Schicksalsschlag groß in Erscheinung treten würde. Und kein Fan der Green Bay Packers hätte wohl gedacht, dass Brett Favre der gesamten Cheesehead-Community im August 2010 einen Dolchstoß ins Herz verpassen würde. Doch das alles der Reihe nach, diese Geschichte braucht Chronologie.

1991: Favre wird verachtet

In Hattiesburg an der University of Southern Mississippi entwickelt sich Favre, Sohn zweier an der Hancock County School unterrichtender Lehrer (Mutter ist Französin), zu einem NFL-Kandidaten. Unter anderem mit 7695 erreichten Yards sowie 52 Touchdowns macht der 1,88 Meter große Spielmacher auf sich aufmerksam - und wird im Draft des Jahres 1991 von den Atlanta Falcons in der 2. Runde an 33. Stelle gezogen.

Brett Favre

Aller Anfang ist schwer: Brett Favre und die Falcons haben nicht zusammengepasst, im Anschluss sollte es aber laufen. picture alliance

In Georgia erhält Favre einen Dreijahresvertrag, muss sich als Backup hinter dem verletzungsanfälligen Chris Miller anstellen und genießt allgemein unter Head Coach Jerry Glanville, der im Draft eigentlich Browning Nagle von Louisville (geht zu den New York Jets) präferiert, keinen guten Ruf. Und zwar wirklich überhaupt keinen guten. Einmal soll Glanville während des Trainings knallhart gesagt haben, dass es schon einen Flugzeugabsturz brauche, damit er Favre auch nur in Erwägung als Starting Quarterback ziehen würde. Das Desaster ist damit vorprogrammiert - und das Desaster folgt: Insgesamt kommt Favre für die Falcons auf vier Passversuche, wobei der erste direkt als Interception zurück zum Touchdown getragen wird. Am Ende sieht die Horror-Bilanz so aus: zwei Incompletions, zwei Interceptions (darunter der eben erwähnte Pick-Six) und noch ein Snap, der in einen Sack für minus elf Yards mündet. Wenig überraschend folgt das Ende der Liaison.

Trainer Glanville sagt später: "Ich habe alles mit Brett probiert. Er musste wachsen, weil er noch so jung war - und ich bin sogar zu seinen Eltern geflogen, um ihm zu helfen. Aber ich habe es nicht geschafft, ihn zum Laufen zu bringen. Ich hätte am Ende wohl noch härter mit ihm arbeiten müssen." Versöhnliche Worte, zu denen Favre später im Jahre 1995 berichtet: "Ich kannte ihn nicht gut, er mich nicht. Wir haben wenig Zeit miteinander verbracht. Ich habe außerdem vieles verpasst, kam zu spät zu Meetings, war nicht präsent. Deswegen hat es mich überhaupt überrascht, warum es so lange gedauert hat, bis sie mich tradeten."

1992: Favre kommt im "Paradies" unter

Brett Favre

Kommt 1992 bei den Green Bay Packers unter: Brett Favre. Getty Images

Qualitäten hat der Spielmacher, hat dies schließlich auf dem College nachgewiesen. Er ist groß (1,88), robust, wenig verletzungsanfällig und verfügt über einen starken Arm. Gründe genug also, Favre eine zweite Chance in der NFL zu geben. Diese erhält der mit vollem Namen Brett Lorenzo Favre heißende Spieler vom NFL-Rekordchampion aus Wisconsin, den Green Bay Packers (inzwischen 13 Titel, vier Super Bowls). General Manager Ron Wolf, der Favre schon zuvor noch als Teil der New York Jets holen will und aufgrund des Vorzugsrechts der Falcons im Draft leer ausgeht, greift nun zu. Es ist die goldrichtige Entscheidung, obwohl eingangs noch Ärzte nach einer Untersuchung eine Osteonekrose (eine Art Gewebsuntergang des Knochens mit Absterben des betroffenen Knochens) feststellen. Doch Manager Wolf vertraut auf sein Gefühl, weist die ärztlichen Befürchtungen eines möglichen schnellen Karriereendes zurück und hält an seinem an Land gezogenen Schützling fest.

Bereits im zweiten Spiel der Regular Season 1992 ersetzt Favre dann Stammspieler Don Majkowski bei einem 0:17-Halbzeitrückstand gegen die Tampa Bay Buccaneers. Favres erster Pass wird dabei - eine kleine Parallele zu seiner Zeit in Atlanta - von einem Verteidiger abgewehrt, allerdings nicht als Interception zurückgetragen - sondern von Favre selbst direkt gefangen und gesichert. Das Spiel endet 3:31. Überzeugen kann Favre einen Spieltag später. Erstmals geht sein Stern auf, als er nach einer Verletzung von Majkowski eingewechselt wird. Das Spiel gegen die Cincinnati Bengals verläuft für die Packers zwar zäh, doch bekommen die Käsestädter nur 1:07 Minuten Restspielzeit auf der Uhr die Chance, das 17:23 aufzuholen. 13 Sekunden vor Schluss findet Favre Kitrick Taylor mit einem Touchdown-Pass, die Packers gewinnen durch den Extrapunkt das Spiel.

1997: Der große Wurf

"A Star is born", heißt es fortan. Denn vom dritten Spieltag der Saison 1992 an bis zu seinem Rücktritt nach der Saison 2007 bestreitet der schwer zu Boden zu bringende Quarterback, der immer wieder aus schier ausweglosen Situationen entkommt, präzise Bogenlampen in die Endzone oder brachiale Bullets über mittlere Distanzen zu seinen Anspielstationen anbringt, unglaubliche 253 Regular-Season-Spiele (ohne Preseason und Play-offs) in Folge als Starting Quarterback der Green Bay Packers. Außerdem betritt Favre, dessen Devise immer lieber der furiose Action-Pass als die Sicherheitslösung ist, am 26. Januar 1997 die Bühne von Super Bowl XXXI (31) - und fährt nach einer konzentrierten Leistung (246 Yards, zwei Touchdowns, keine Interception) mit einem 35:21 über die New England Patriots seinen ersten und am Ende auch einzigen Super-Bowl-Titel ein.

Brett Favre

Fingerzeig: Brett Favre gewinnt im Louisiana Superdome im Jahre 1997 den Super Bowl gegen die New England Patriots. Getty Images

Insgesamt spielt er in diesem Zeitraum gar 297 Spiele in Folge von Beginn an, was einen Rekord in der NFL darstellt. Verletzungen? Nicht Fehlanzeige, doch Favre blickt darüber hinweg (auch mit Schmerzmitteln). Sein Nachfolger und jetziger Star-Spielmacher Aaron Rodgers, der wie Favre vor ihm "Gunslinger" getauft wird, gibt einmal an, von Favres Widerstandsfähigkeit unfassbar viel gelernt zu haben sowie deswegen Verletzungen ausblenden zu können - und überhaupt zu wissen, dass man in der NFL nicht einfach aufgeben kann.

2003: Ein schwieriger Moment

Das tut Favre, der im Mai 1996 auf einer Pressekonferenz seine Abhängigkeit vom Schmerzmittel Vicodin bzw. Hydrocodon gesteht und sich im Anschluss in eine 46-tägige Entziehungskur begibt, nämlich nie. Der Junge aus Gulfport/Mississippi erscheint sogar am 22. Dezember 2003 auf dem Platz im Zuge des Monday Night Games gegen die Oakland Raiders, obwohl am Tag vorher sein Vater Irvin Ernest Favre, der sein High-School-Trainer und lebenslanger Berater gewesen ist, verstirbt. Favre läuft auf, "weil es mein Dad so gewollt hätte, er ist bei jedem Spiel seit der fünften Klasse dabei gewesen" - und wirft allein in der ersten Hälfte vier Touchdown-Pässe und im gesamten Spiel für 399 Yards. Anschließend gewinnt er den Titel des besten offensiven Spielers der Woche in der NFC. Und nach der Beerdigung des Vaters kehrt er rechtzeitig zurück, um mit einem weiteren Sieg den Gewinn der NFC North zu sichern.

2008: Am Ende?

Am 4. März 2008 verkündet Favre, der elfmal mit dem Team in die Play-offs einzieht, einmal den Super Bowl gewinnt und einmal verliert (24:31 gegen Denver am 25. Januar 1998), schließlich sein Karriereende - zumal die Organistion aus Wisconsin den seit 2005 im Team stehenden Favre-Lehrling Aaron Rodgers (späterer Super-Bowl-Champion mit einem 31:25 gegen die Pittsburgh Steelers am 6. Februar 2011) als neuen Richtungsweiser auserkoren hat. Obwohl ein kleiner Hickhack entsteht, Favre von Unstimmigkeiten mit dem Management berichtet, sich fit für die neue Saison fühlt und auflaufen möchte, ist nach einem Gespräch mit Head Coach Mike McCarthy und General Manager Ted Thompson im August 2008 das Ende in Green Bay besiegelt. "The Pack" teilt dann mit, dass die Rückennummer 4 nicht mehr vergeben werden soll - und hält die Pläne plötzlich zurück, als Favre, der bis zum Ende der Saison 2007 Pässe für 61.655 Yards und 442 Touchdowns wirft (NFL-Rekorde zu diesem Zeitpunkt), sein Comeback in der National Football League verkündet.

2008 und 2009: Überraschung - und Entsetzen

Favre revidiert also seinen Entschluss ("Ich weiß, dass ich noch weiterspielen könnte, und ich werde die Jungs und das Spiel vermissen - aber bin mental müde"), sich aus der NFL zu verabschieden. Für Packers, Fans, Medien eine Überraschung. Doch es kommt genauso: Am 7. August 2008 unterschreibt der Marathonmann, der zwischenzeitlich acht Jahre lang an einer Verletzung des Daumens der Wurfhand laboriert und dessen Daumengelenk einmal auf Hühnereigröße anschwillt, einen Einjahresvertrag bei den New York Jets. Dort zeigt er sich anfangs präsent, erreicht in Week 4 gegen die Arizona Cardinals zum Beispiel ganze sechs TD-Pässe (persönliche Bestleistung). Nach einem Start mit 8:3 Siegen verpasst N.Y. am Ende aber die Play-offs, auch wegen Favre-Blessuren - und so teilt der Quarterback am 11. Februar 2009 erneut mit, dass er nun nach 18 NFL-Spielzeiten Schluss machen würde.

Aaron Rodgers (links) und Brett Favre

Aus Sicht von Packers-Fans leider kein Scherz: Brett Favre taucht plötzlich im Vikings-Trikot auf und spielt gegen seinen ehemaligen Lehrling und "Gunslinger"-Nachfolger Aaron Rodgers. picture alliance

Doch auch das soll es nicht gewesen sein. Und Fans der Green Bay Packers wissen, was jetzt passiert: Plötzlich heißt es schon wieder, dass Favre zurückkehrt - und man sieht Bilder von einem Flugzeug in Minneapolis, wo der inzwischen 40-jährige Spielmacher aussteigt, um einen Zweijahresvertrag bei den Minnesota Vikings zu unterschreiben. Also ausgerechnet bei einem direkten und nicht sonderlich geschätzten Konkurrenten der NFC North, was die Cheeseheads zur Weißglut treibt. Die Anhänger zertrümmern überall in der Stadt im Anschluss Autos mit Favre-Beschriftungen, äußern vor laufenden Kameras ihre Verachtung, verbrennen Trikots ihrer lange Zeit geliebten Nummer 4 und organisieren sogar auf makabere Art und Weise Leichenwägen, die unter anderem Favres Ego zu Grabe tragen.

Sportlich führt Favre den ungeliebten Rivalen im Anschluss mit teils überragenden Auftritten bis ins NFC-Finale (Niederlage gegen die New Orleans Saints), schlägt außerdem bei einem Monday Night Game mit einem 30:23 unter Pfiffen gegen seine ehemaligen Packers zu - und steigt damit zum ersten Quarterback der Geschichte auf, der gegen alle 32 Teams ein Spiel gewinnt. Dieses Spiel sehen damals 21,84 Millionen Amerikaner (Rekord zu diesem Zeitpunkt) - und in Sportsbars sitzen Anhänger der Packers und Vikings nebeneinander, haben dabei teilweise jeweils Favre-Trikots mit der 4 an. Es sind skurrile Bilder, die noch getoppt werden: Am 1. November 2009 kehrt Favre als Vikes-Spielmacher in sein altes Wohnzimmer Lambeau Field zurück und gewinnt auch dort (38:26, vier Touchdowns).

2011: Das Ende - und die Versöhnung

Während seiner 19-jährigen NFL-Laufbahn (1991-2010) hält Favre übrigens alle relevanten Rekorde, wirft für 71.838 Yards und 508 Touchdowns, erreicht 6300 Completions, startet 297-mal in Folge ein Spiel der Regular Season (mit Play-offs sind es sogar 321), fährt 186 Quarterback-Siege und elf Pro-Bowl-Nominierungen ein - und sagt am 17. Januar 2011 endgültig Lebewohl zum American Football. Auch mit der Gewissheit, mit Abstand die meisten Interceptions der Geschichte geworfen zu haben (336, auf Platz zwei folgt George Blanda mit 277).

Brett Favre

Die große Versöhnung: Im November 2015 im Zuge eines Spiels gegen die Chicago Bears wird Brett Favre im Lambeau Field geehrt. Getty Images

Es vergeht Zeit, Favre lässt sich hin und wieder zum Beispiel im NFL Network blicken - und genießt das Leben. In dieser Zeit wächst auch Gras über seinen "Verrat", sodass im Juli 2015 die sicherlich mehr als verdiente Aufnahme in die Hall of Fame der Green Bay Packers doch noch folgt und seine Nummer 4 im Lambeau Field aufgehängt wird. Er selbst steht dabei an einem regnerischen Abend im Stadion, verneigt sich, winkt den Fans zu - und erntet Applaus. In die Hall of Fame der NFL wird er obendrein aufgenommen (2016) - und feiert nun am 10. Oktober 2019 seinen 50. Geburtstag. Das darf Brett Favre mit dem Wissen tun, die NFL-Geschichte maßgeblich geprägt zu haben. Auch mit Sätzen wie diesen: "Vielleicht gehe ich mit schwierigen Situationen anders um als andere Menschen. Ich habe mir immer gesagt: Ich werde dieses Spiel gewinnen - oder beim Versuch dabei sterben."

"Das ist erschreckend"

Bereuen tut er seine Entscheidung, von Gulfport/Mississippi in Richtung der großen, bunten und harten National Football League ausgebrochen zu sein, nicht: "Ich würde das nicht eintauschen wollen." Und trotzdem hat er kurz vor seinem runden Geburtstag im Gespräch mit "NBC Sports" tiefe Einblicke gewährt und dabei auch die immer wiederkehrenden Schattenseiten dieses Sports glasklar angesprochen: "An einige Geschichten, die heutzutage immer wieder auf den Tisch kommen, kann ich mich nicht mehr erinnern. Und es hat einen Punkt in meinem Leben gegeben, an dem ich mich immer an alles erinnert habe. Das plagt mich. Das verwundert mich. Es heißt, wenn man ein Klingeln in den Ohren vernimmt und Sterne sieht, dann ist das eine Gehirnerschütterung. Wenn das stimmt, dann habe ich hunderte oder vielleicht tausende in meiner Karriere gehabt. Das ist erschreckend."

Markus Grillenberger

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