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Beispielloses Chaos in Lyon: Wird Bosz der Leidtragende?

Verein denkt offenbar über Trainer-Nachfolge nach

Beispielloses Chaos in Lyon: Wird Bosz der Leidtragende?

Tief durchatmen: Seine erste Saison bei Olympique Lyon hat sich Peter Bosz anders vorgestellt.

Tief durchatmen: Seine erste Saison bei Olympique Lyon hat sich Peter Bosz anders vorgestellt. Getty Images

Die Spekulationen rund um die Zukunft von Peter Bosz sind derzeit ein Spiegelbild der gesamten Saison: Hoch und runter, hin und her. Am Samstag, kurz nach dem Aus in der Europa League gegen West Ham United, berichtete die französische Sportzeitung "L'Equipe", dass Olympique Lyon bereits über die Nachfolge des Niederländers berate, falls die bislang unzufriedenstellende Saison sich in ihrer Endphase fortsetze.

Julien Stephan, Erfolgstrainer von Racing Straßburg, stehe demnach ganz oben auf der Liste, auch Ex-Nationaltrainer Laurent Blanc und der zuletzt in Troyes entlassene Laurent Batlles sollen ein Thema sein. Dazu passte, dass Vereinsbesitzer und Präsident Jean-Michel Aulas vorsichtige Töne angeschlagen und lediglich verkündet hatte, man "hoffe, die Zusammenarbeit in der kommenden Saison fortsetzen zu können".

Peter Bosz wird nächste Saison bei uns sein.

OL-Präsident Jean-Michel Aulas

Nicht einmal 48 Stunden später klang das schon wieder ganz anders: Nach dem 6:1 über den Tabellenvorletzten Bordeaux, einem der wenigen überzeugenden Auftritte der inkonstanten OL-Saison, garantierte der für seine Stimmungsschwankungen bekannte Aulas: "Peter Bosz wird nächste Saison bei uns sein."

Ob nun ein einziger Kantersieg gegen ein Kellerkind gereicht hat, um Bosz' Job zu retten oder ob Aulas - es wäre nicht das erste Mal - nicht hält, was er verspricht? Unklar. Aber Verwirrung steht in dieser chaotischen OL-Saison ohnehin auf der Tagesordnung.

Bereits nach dem zweiten Saisonspiel hatte Bosz - in Dortmund und Leverkusen eigentlich als äußerst ruhig und besonnen bekannt - eine veritable Brandrede gehalten, im März sah der vom DFB 2021 noch mit dem Fair-Play-Preis geehrte Coach im Spiel gegen Reims gar die Rote Karte. Die angespannte Situation des Champions-League-Halbfinalisten von 2020 manifestierte sich vor allem in den teils ungewohnt dünnhäutigen Aussagen des Chefcoaches.

Zugutehalten muss man Bosz jedoch, dass sich der Verein um ihn herum quasi selbst sezierte: Die Abgänge der Schlüsselspieler Memphis Depay (im Sommer nach Barcelona) und Bruno Guimaraes (im Winter nach Newcastle) wurden nicht annähernd aufgefangen, stattdessen zum Ende der Transferphase die beiden Routiniers Jerome Boateng und Xherdan Shaqiri verpflichtet. Der eine, Boateng, wurde zwischenzeitlich suspendiert und fiel durch unbeständige Leistungen auf. Der andere, Shaqiri, suchte nach nicht einmal sechs Monaten schon wieder das Weite.

Suspendierungen, Punktabzug, Schiedsrichter-Bedrohung: Lyon sezierte sich selbst

Dass Führungsspieler Marcelo nach einem Zerwürfnis mit den Verantwortlichen bereits nach dem 2. Spieltag aus dem Kader gestrichen wurde und Sportdirektor Juninho im Winter seinen Abgang vorzog, passt ins Bild eines Klubs, der in der vergangenen Saison noch lange im Rennen um die Meisterschaft vertreten war und nun nur noch Außenseiterchancen auf das internationale Geschäft hat.

Diese wären zumindest ein wenig höher, wäre OL nach dem Flaschenwurf auf Dimitri Payet nicht ein Punkt abgezogen worden. Und wäre das nicht schon schlimm genug für den ehemaligen Serienmeister, stellte sich im Nachhinein noch heraus, dass Klubpräsident Aulas in den Katakomben offenbar die Schiedsrichter mit Hilfe von Drohungen von einer Fortsetzung der Partie hatte überzeugen wollen. Er wurde für fünf Spiele gesperrt. Aus dem Coupe de France schied der Verein am Grünen Tisch aus, weil das Spiel gegen Zweitligist Paris FC wegen massiver Ausschreitungen auf den Rängen ebenfalls abgebrochen werden musste. 

Alles in einer Saison.

Vielleicht ist sich der als Provokateur bekannte Teambesitzer Aulas der Tatsache bewusst, dass er und sein Verein dem Trainer das Leben nicht gerade leicht gemacht haben. Doch angesichts der Transferentscheidungen der Vergangenheit und einem drohenden Abgang von Spielmacher Lucas Paqueta drängt sich die Frage auf: Tut sich Bosz mit einer zweiten Saison in Lyon überhaupt noch einen Gefallen?

mib