eSport

"Es ist einfacher, Fan von Werder zu sein als von 'Megabit'"

VBL-Champion Michael Bittner im ausführlichen Interview

"Es ist einfacher, Fan von Werder zu sein als von 'Megabit'"

In der VBL-Saison 2019 eine Klasse für sich: Michael 'Megabit' Bittner.

In der VBL-Saison 2019 eine Klasse für sich: Michael 'Megabit' Bittner. picture alliance

Du spielst seit August 2018 für Werder Bremen, hast in der vergangenen Saison mitgeholfen, die VBL Club Championship zu gewinnen. Hast Du auch schon mal aktiv mit den Bremer Bundesliga-Profis gespielt?

Noch nicht, denn noch wohne ich in Bochum, da es hier das beste Internet in Deutschland gibt. Wenn ich zu Terminen vor Ort in Bremen bin, ist das meistens an Spieltagen oder während Trainingseinheiten der Mannschaft.

Parallel zum eSport studierst Du auch noch.

Mein Studium habe ich momentan auf Eis gelegt. Es ist gerade im letzten Jahr alles im E-Sport so professionell geworden, da hatte ich keine Zeit. Ich lege mir allerdings einen Plan zurecht, wie ich das Studium in den kommenden Jahren weiterführen kann. Ich studiere BWL und würde gerne später meinen Master in der Richtung Sportmanagement machen.

Hast Du Dir schon überlegt, wie lange Deine Karriere als professioneller E-Sportler gehen soll?

Das ist eine gute Frage. Wir wissen noch nicht, was die Altersgrenze ist, weil es professionellen eSport noch nicht so lange gibt. Es gibt ein paar Spieler, die knapp über 30 sind, zum Beispiel Kai 'deto' Wollin von Leverkusen. Er spielt mit 31 Jahren eine sehr gute Saison. Vermutlich muss man dann einfach von Jahr zu Jahr schauen. Ich bin jetzt 21, mein Ziel ist es, mit 30 Jahren spätestens ein Studium abgeschlossen zu haben, um dann kurzfristig entscheiden zu können.

Gibt es bei Dir spezielle Trainingsformen, um sich auf diese mentalen Herausforderungen vorzubereiten?

Das hat sich über die Jahre entwickelt. Als ich in den eSport reingekommen bin und mich aus dem Nichts für die WM qualifiziert habe, habe ich mich selbst auf dieses Niveau gebracht. Das verlagert sich jetzt, weil die Szene professioneller wird. Ich arbeite mit einem Coach zusammen und analysiere meine Spiele. Außerdem befasse ich mich über Werder mit Mentaltraining und habe auch schon mit Trainern in diesem Bereich zusammengearbeitet. Es geht darum, wie man immer höchstkonzentriert sein kann und sich in den wichtigen Momenten nicht ablenken lässt. Diese mentale Stärke wird in Zukunft noch viel wichtiger werden.

Würdest Du Dir im eSport einen stärkeren Dachverband wünschen, der in der Gesellschaft als Sprachrohr für die Szene auftritt?

Das ist im eSport ganz schwierig, denn wir sprechen von zig Disziplinen mit verschiedenen Spielen. Es wäre vielleicht gut, einen Dachverband zu haben, der aber aus klaren Unterverbänden besteht. Momentan denke ich, dass wir erstmal diese Verbände für die einzelnen Disziplinen brauchen und entwickeln müssen.

Vielleicht muss es noch ins breitere Verständnis kommen, dass die klassischen Sportarten nicht die einzigen sind, die man mit dem Sportbegriff verbinden kann.

Immer wieder kommt die Diskussion auf, ob eSport Sport ist. Würdest Du Sportschießen oder Tischfußball als Sport bezeichnen?

Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Wichtig ist, dass man sich zusätzlich zu solchen Mentalsportarten, die den Kopf fordern, bewegt. Da sehen wir uns auch in der Verantwortung. Grundsätzlich, egal ob an der Konsole oder am Handy: Die Zeit, die man vor den Bildschirmen verbringt, wird immer größer. Da muss man eben klare und attraktive Angebote schaffen. In Bezug auf Tischfußball oder Billard: Wenn man das stundenlang betreibt, ist das auch durchaus anstrengend. Vielleicht muss es noch ins breitere Verständnis kommen, dass die klassischen Sportarten nicht die einzigen sind, die man mit dem Sportbegriff verbinden kann und das auch beim Darts, beim Billard oder dem Tischfußball nicht nur um das eigentliche Spiel geht. Denn wenn man es professionell betreiben möchte, dann gehört sehr viel mehr dazu.

In der aktuellen VBL-Saison hat auch Diego Demme aus der Bundesliga-Mannschaft von RB Leipzig mitgespielt. Sascha Mockenhaupt vom SV Wehen Wiesbaden hat ebenfalls angekündigt, VBL-Spiele bestreiten zu wollen. Was hältst Du davon, dass Fußballprofis mitmischen?

Das ist durchweg positiv, weil es nochmal Aufmerksamkeit schafft. Ich fand es zum Beispiel beeindruckend, dass Julian Nagelsmann Diego Demme während des Spiels über die Schulter geschaut hat. Interessant ist dabei, dass Fußballer dieses totale Spielverständnis haben. Die wissen, wie Fußball funktioniert. Die sitzen am Controller, können vielleicht nicht so gut damit umgehen, machen es einem durch ihr Spielverständnis aber schwer. So kam es zustande, dass ich mal gegen Nuri Sahin verloren habe, sogar verdient. Ich habe inzwischen meine Revanche bekommen und gewonnen - um dann gegen Tim Wiese zu verlieren (lacht).

Wie ist das umgekehrt: Hast Du durch den eSport ein anderes taktisches Verständnis bekommen, wenn Du ein Fußballspiel in der Bundesliga siehst?

Bei mir war das eine Entwicklung. Ich habe selbst Fußball gespielt und unfassbar viel Fußball geschaut. Und dann eben FIFA gespielt. Es gab eine Wechselwirkung. Auf dem Platz habe ich beobachtet, was auch abseits des Balls passiert, wie sich Spieler verhalten. Das konnte ich auch auf FIFA übertragen. Ich glaube, es ist sehr wichtig, sich auch abseits von FIFA mit Fußball zu beschäftigen, denn das Spiel nähert sich immer mehr der Realität an.

Wer ist der beste Fußballprofi, gegen den Du schon mal gespielt hast?

Das war Sahin, der mich vor einem Turnier in Istanbul geschlagen hat. Vielleicht war ich auch etwas nervös. Ich erzähle die Geschichte aber ganz gerne, weil ich später das Turnier der Profis gewonnen habe.

Es läuft jetzt das zweite Jahr in der VBL: Was ist anders im Vergleich zum ersten?

Dieses Jahr ist die zeitliche Aufteilung deutlich besser. Wir spielen von November bis März, außerdem ist die Struktur angenehmer. Man weiß als Fan und Spieler, wann die Spieltage sind. Letztes Jahr überschnitt sich der Spielplan außerdem mit dem internationalen Kalender. Mein damaliger Teamkollege Mohammed Harkous und ich haben uns für jedes internationale Turnier qualifiziert und mussten dann zwischen einem Turnier in Atlanta und Singapur an einem Tag vier Spieltage nachholen. Das war sehr anstrengend. Es wird also auch in dem Bereich sehr viel professioneller.

Zur VBL CC gehört auch das Doppel. Wie kommst Du damit zurecht?

Das Team steht im Vordergrund, das ist etwas ganz Neues und ein super Gefühl. Wenn man zu zweit einen Erfolg verbuchen kann, kommen auch die Emotionen viel besser rüber. Es ist für die Fans authentischer. Irgendwie ist es ja auch einfacher, Fan von Werder Bremen zu sein als von 'MegaBit'.

Letztes Jahr hast Du mit 'MoAuba' gespielt, jetzt mit Erhan 'DrErhano' Kayman. Wo liegen die Unterschiede?

Erhan war letztes Jahr auch bei der WM und nach Mo der zweitbeste Deutsche auf der Playstation. Er ist ein super Kerl, wir kommen gut miteinander klar. Ansonsten habe ich jetzt höchstens etwas mehr Aufwand. Mo hat in Bochum gewohnt und wir konnten uns einfach für die Spieltage treffen. Erhan wohnt aber noch in Stuttgart. Da wir für das Doppel physisch nebeneinandersitzen müssen, ist das mit Reiseaufwand verbunden. Er hat sich außerdem vielleicht noch etwas mit dem VBL-Modus schwergetan, aber ich bin mir sicher, dass er seine Form findet und wir vielleicht noch die Titelverteidigung für Werder angehen können.

Im Einzelwettbewerb bist Du Titelverteidiger. Wie hat sich der Wettbewerb verändert?

Es ist alles professioneller geworden. Ich glaube, der erste Gewinner der VBL hat noch ein Paar Schuhe bekommen. Das ist jetzt anders. Auch allgemein hat sich die Aufmerksamkeit und die Teilnehmerzahl deutlich erhöht.

Wer sind die größten Konkurrenten im Kampf um den Titel?

Auf jeden Fall Gladbach und Leverkusen. Richard 'Der_Gaucho10' Hormes und Yannick 'Jeffryy95' Reiners (eSport-Profis bei Gladbach, d. Red.) sind sehr konstant im Einzel. Mit ihnen ist wirklich zu rechnen. Leverkusen hat mit 'Deto' einen der erfahrensten Spieler überhaupt und sein Teamkollege Fabian "B04_Dubzje" de Cae hat die meisten Punkte im Einzel geholt.

Und im Einzel?

Es gibt in Deutschland viele gute Spieler. Wir sind in der Breite die stärkste FIFA-Nation. Ich bin vielleicht der Konstanteste der letzten Jahre, aber Dylan 'DullenMIKE' Neuhausen hat zum Beispiel ein Major-Turnier geholt. Mo hat letztes Jahr mehr oder weniger aus dem Nichts all seine Leistungen gesprengt, die WM schlechthin gespielt und völlig verdient den Titel gewonnen, Niklas 'NRaseck' Raseck einen FUT Champions Cup gewonnen. Allerdings müssen sie sich im Gegensatz zu mir über die Play-offs qualifizieren. Das wird nicht leicht.

Fokussiert auf neue Ziele: Michael Bittner hat die WM im Visier.

Fokussiert auf neue Ziele: Michael Bittner hat die WM im Visier. imago images

Was sind insgesamt Deine persönlichen Ziele für das Jahr?

Ich möchte an der WM teilnehmen, die Ende der FIFA-Saison stattfindet. Die Qualifikation dafür basiert auf einem Weltranglisten-System, bei dem man über verschiedene Wege Punkte sammeln kann. Und letztes Jahr habe ich gesagt, dass ich national angreifen möchte. Dass ich jetzt sowohl die Klub- als auch die Einzelmeisterschaft gewonnen habe… damit war nicht zu rechnen. Ich möchte wieder bei beiden Turnieren weit oben spielen. Aber ich mache mich nicht abhängig von Titeln, denn darüber entscheiden Nuancen und Tagesform.

In Bezug auf die Turniere: Wie stehst Du dem 85er-Modus gegenüber?

Das Problem ist nicht der 85er-Modus an sich, sondern was er hergibt. Ich sehe vor allem die Beweglichkeit der Spieler kritisch. Flügelspieler und Stürmer haben immer noch eine Balance von unter 80. Die Spieler sind damit deutlich unbeweglicher als in FUT, die Dynamik des Spiels verändert sich und man muss andere Wege finden, um zum Erfolg zu kommen. Man muss sich außerdem immer wieder umstellen. In der VBL spiele ich den 85er-Modus, dann fliege ich nach Atlanta und spiele bei einem Turnier im Ultimate-Team-Modus. Ich hoffe, dass es da künftig noch Veränderungen gibt.

Gutes Stichwort: Wie zufrieden bist Du mit FIFA 20 im Vergleich zu den Vorgänger-Editionen?

Es ist wieder realistischer. Bei FIFA 19 gab es Volleyschüsse oder Flanken, die unnatürlich besser waren. Das widerstrebt meiner Idee, mit Passspiel vor das Tor zu kommen und klare Chancen zu erspielen. Dieses Jahr gibt es aber das Problem, dass die Beweglichkeit zu behäbig ist. Dadurch ist die Defensive stärker als die Offensive, das merkt man gerade auf Profiniveau, weil wenige Chancen herausgespielt werden.

Wenn ich kein Profi wäre, würde ich kein Geld in FIFA investieren.

Nicht nur deshalb steht FIFA immer wieder in der Kritik. Kürzlich hat Mirza Jahic aufgerufen, kein Geld mehr in FIFA zu investieren. Wie siehst Du das?

'Pay to win' ist eine ganz schwierige Angelegenheit aus eSportler-Sicht: Es war wichtig, dass EA Sports den kompetitiven Modus in den Ultimate-Modus geführt hat, weil das einfach jeder spielt. Es war früher langweilig, immer dieselben Teams zu sehen, die gegeneinander angetreten sind. Jetzt ist es etwas individueller geworden. Aus Profisicht muss man momentan mehr oder weniger Geld in die Hand nehmen und meiner Meinung ist das für uns Profis noch okay. Wir zahlen etwas ein, vielleicht auch mit einem Budget vom Verein, und wenn ich meine Leistung bringe, bekomme ich auch etwas zurück. Aber normalen Leuten würde ich niemals raten, zusätzlich Geld zu investieren. Ich muss klar sagen: Wenn ich kein Profi wäre, würde ich kein Geld in FIFA investieren. Selbst wenn man Cristiano Ronaldo zieht, was sehr selten vorkommt, ist das alles nach zwölf Monaten wieder wertlos, weil ja ein neuer FIFA-Ableger erscheint.

Was 'Megabit' außerdem über sein Trainingspensum, die ewige eSport-Debatte (Stichwort Gemeinnützigkeit) und über die Herkunft seines Nicknames sagt, erfahrt ihr in der aktuellen Montagsausgabe des kicker

Interview: Christoph Laskowski/Frederik Paulus