Handball

Handball-WM: Warum die DHB-Frauen von einer Medaille träumen

Vor WM-Auftakt gegen Japan

Abwehr, Playbook, Wunderkind: Was die DHB-Frauen von einer Medaille träumen lässt

Hoffnungsträger bei der Frauen-WM: Bundestrainer Markus Gaugisch (li.) mit Top-Talent Viola Leuchter.

Hoffnungsträger bei der Frauen-WM: Bundestrainer Markus Gaugisch (li.) mit Top-Talent Viola Leuchter. imago images (2)

Die Augen von Markus Gaugisch beginnen sofort zu leuchten, als der kicker ihn auf die Weltmeisterschaft in Dänemark, Norwegen und Schweden (29. November bis 17. Dezember) anspricht. Es ist seine erste als Frauen-Bundestrainer. "Meinetwegen kann es sofort losgehen", erklärt er strahlend.

Dass Gaugisch in den vergangenen Wochen in gewisser Weise mit den Hufen scharte, ist mehr als verständlich. Von April 2022 bis Sommer 2023 betreute der 49-Jährige noch die SG BBM Bietigheim und die deutsche Nationalmannschaft in herausfordernder Doppelfunktion. Seit einigen Monaten kann sich Gaugisch nun ausschließlich auf die DHB-Auswahl fokussieren. "Es ist schon ein Vorteil, wenn man mehr Ruhe hat, um Dinge anzugehen", verrät der gebürtige Göppinger. Die Vorbereitung auf Spiele sowie Spielerinnen könne "wesentlich zielgerichteter" ablaufen.

Markus Gaugisch

Gaugisch erklärt die Vorteile als Vollzeit-Bundestrainer

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Während Gaugisch in der Vergangenheit häufig unmittelbar von Champions-League-Partien zur Nationalmannschaft weiterreiste, vermisste er es zuletzt beinahe schon, den Hallenboden unter den Füßen zu spüren. Die hinzugewonnene Zeit hilft Gaugisch aber auch, so zu arbeiten, wie Gaugisch es eben leidenschaftlich gerne tut. Analytisch und mit klarem Plan. "Ich will, dass auf dem Spielfeld dem Zufall möglichst wenig die Tür geöffnet wird", stellt er klar: "Wir wollen die Ausschläge nach unten geringhalten und eine Aneinanderreihung von Fehlern verhindern. Eine klare Idee hilft da, um nach Fehlern nicht hektisch zu werden."

Unter der Führung des einstigen Bundesliga-Profis des VfL Pfullingen führt das DHB-Team sogar ein sogenanntes Playbook. Darin enthalten sind Abläufe, die offensiv wie defensiv bei der Problemlösung helfen sollen. Nichts wird dem Zufall überlassen: "Wann brauchen wir einen Wurf? Wann brauchen wir ein Eins-gegen-eins? Gegen wen wollen wir ein solches Eins-gegen-eins gezielt einsetzen?"

Bei der Lösungsfindung hilft eine "wahnsinnige Datenbank"

Gaugisch kann auf eine "wahnsinnige Datenbank" zurückgreifen, die Besonderheiten seiner und die gegnerischer Spielerinnen führt. Verschiedenste Auftakthandlungen sollen helfen, um stets "die richtige Idee zu entwickeln". Das Playbook gibt es in Schriftform, als Video oder auch mit Zeichnungen. "Wir wollen alle Kanäle nutzen, um möglichst alle Spielerinnen zu erreichen", begründet Gaugisch.

16 an der Zahl hat der Bundestrainer für die WM-Endrunde berufen. Den Kader hält Gaugisch ganz bewusst klein: "So können wir unsere Vorbereitung sehr kompakt gestalten, mit den Spielerinnen noch enger zusammenarbeiten und diese gezielt schulen." Die acht Reservistinnen, die auf Abruf bereitstehen, seien bei vergangenen Lehrgängen ausreichend für den Fall der Fälle vorbereitet worden. "Und Dänemark ist nicht aus der Welt, da können wir noch nachnominieren", sagt Gaugisch.

Eine von Gaugischs auserwählten 16 ist Viola Leuchter. Die Linkshänderin von Bayer Leverkusen ist zarte 19 Jahre alt, gilt allerdings als aktuell wohl größtes Talent im deutschen Handball. Dass so mancher Experte in ihr bereits die junge Grit Jurack, WM-Torschützenkönigin von 1999 und 2007, sieht, schiebt Leuchter von sich weg.

"Ich bin ein Mensch, der sich gar nicht so unfassbar viel Druck machen lässt", verrät sie dem kicker ihr Erfolgsgeheimnis und schiebt lächelnd hinterher: "Es hilft, wenn man sich nicht zu viel selbst googelt." Selbst ein Platz in Gaugischs erster Sieben wird Leuchter zugetraut.

Ihre älteren Mitspielerinnen hat die junge Halbrechte längst überzeugt. "Ich bin begeistert von ihr", sagt beispielsweise die 35-jährige Antje Döll. "Sie bringt eine Qualität in den rechten Rückraum, die wir so noch nicht hatten. Ihr Wurf ist Wahnsinn. Sie zu blocken, ist fast unmöglich." Diese Einschätzung der Linksaußen von der SG BBM Bietigheim teilt auch ihr ehemaliger Vereinstrainer. "Viola hat eine Abwurfhöhe, die sonst niemand hat. Das ist außergewöhnlich", staunt Gaugisch.

Leuchter: "Das Ziel ist es schon, eine Medaille zu holen"

Leuchter, die sich mit der WM-Teilnahme einen "Kindheitstraum erfüllt", strahlt trotz der riesigen Erwartungshaltung an ihre Person Gelassenheit und Lockerheit aus. Für sie ein Schlüssel zum mannschaftlichen Erfolg: "Wenn wir Spaß haben, ist echt viel möglich. Das Ziel ist es schon, eine Medaille zu holen."

Nach einem überaus erfolgreichen Kalenderjahr hat sich bei der deutschen Frauen-Nationalmannschaft ein neues Selbstverständnis entwickelt. "Wir wollen uns unbedingt an die Top fünf rankämpfen und gerne an die Weltspitze anklopfen", gibt auch Döll die Marschrichtung vor. Nicht nur für die Rechtshänderin ist die deutsche Abwehr aktuell das "Prunkstück", mit dem die Basis für die gesteckten Ziele gelegt werden soll.

Viola Leuchter

"Extrem aufregend": Auf Deutschlands Top-Talent wartet die erste WM

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Mindestens das Viertelfinale peilt der EM-Siebte des Vorjahres an. Dann wären die DHB-Frauen für ein Olympia-Qualifikationsturnier gesetzt. Das Großereignis in Paris im nächsten Jahr bezeichnet Gaugisch als "Riesenziel". Eine Teilnahme an Olympia könne den deutschen Frauen-Handball "aus einer Nische führen und einer breiteren Masse zugänglich machen", ist der Bundestrainer überzeugt.

Dafür braucht es aber fraglos auch deutsche Leistungsträgerinnen in Top-Form. Vier der 16 nominierten Spielerinnen stehen aktuell im Ausland unter Vertrag, wo sie "Woche für Woche auf höchstem Niveau geprüft werden", wie Gaugisch hervorhebt.

Beispielhaft dafür steht Kapitänin Emily Bölk, die seit 2020 in Budapest spielt und mit Ferencvarosi im Juni 2023 sogar ein Champions-League-Finale bestritt. Leuchter beschreibt Bölk als "Aushängeschild des deutsches Handballs" und eine "Figur, zu der man aufgeschaut hat". Der erste gemeinsame Lehrgang mit der linken Rückraumspielerin habe sich für Leuchter sogar "ein bisschen surreal" angefühlt. Mit Bölk sei das Kapitänsamt ideal besetzt: "Sie ist super professionell, auf dem Feld, neben dem Feld, dazu extrem abgeklärt und sie kümmert sich um alle. Sie ist auch diejenige, die sich mal vor die Mannschaft stellt oder den Kopf hinhält."

Gaugisch fordert: "Simpel spielen, Stempel aufdrücken"

Qualitäten, die auch im deutschen WM-Auftaktspiel gegen Japan am Donnerstag (18 Uhr) gefragt sein werden. Gaugisch, der bereits intensives Videostudium betrieben hat, sieht bei den Asiatinnen "eine besondere Art Handball". Die Japanerinnen zeichne eine "hohe taktische Disziplin" aus, speziell körperlich sieht der Bundestrainer aber deutliche Vorteile bei seiner Mannschaft. "Wir müssen simpel spielen und unseren Stempel aufdrücken", fordert Gaugisch. Dies dürfte auch für die anderen beiden Vorrundenspiele der DHB-Frauen gegen den Iran (2. Dezember) und Polen (4. Dezember) gelten.

Drei WM-Siege zum Start wären ein Anfang, um die Augen von Gaugisch am Leuchten zu halten.

Maximilian Schmidt

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