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"Sklavenzeit" oder "Parade der Eliten": So wurde die Bundesliga gegründet

Kölns "Boss" Franz Kremer als Vater der umstrittenen Liga

"Sklavenzeit" oder "Parade der Eliten": So wurde die Bundesliga gegründet

Die DFB-Kommission tagt Anfang Januar 1963 über die Einführung der Bundesliga: Franz Kremer (Mi.), rechts davon   der Ausschuss-Vorsitzende Ludwig Franz, Walter Baresel und Hermann Neuberger.

Die DFB-Kommission tagt Anfang Januar 1963 über die Einführung der Bundesliga: Franz Kremer (Mi.), rechts davon der Ausschuss-Vorsitzende Ludwig Franz, Walter Baresel und Hermann Neuberger. picture-alliance

Neun Stunden lang hatten die 129 Delegierten auf dem außerordentlichen DFB-Bundestag im Goldsaal der Westfalenhallen in Dortmund hitzig diskutiert. Gegen 17 Uhr wurde an diesem Samstag, der 28. Juli 1962, beschlossen, die Entscheidung für oder gegen die Einführung der Bundesliga per Hammelsprung herbeizuführen. Dann erhoben sich die Delegierten, verließen geschlossen den Goldsaal und kehrten einzeln zurück. Durch die vordere Flügeltür, die für "Ja" stand, durch die hinter Tür, die für "Nein" stand. 103 Männer passierten "Ja", 26 liefen durch "Nein" und vorbei an den jeweils zwei Schriftführern, die an den beiden Pforten die Stimmen addierten. Punkt 17:45 Uhr stand das "Ja" zur Einführung der Bundesliga ab der Spielzeit 1963/64.

Der bis heute größten Reform in der Geschichte des am 28. Januar 1900 gegründeten Deutschen Fußball-Bundes kam revolutionärer Charakter zu. Der Hamburger Nationalspieler Jürgen Werner, der Latein und Sport studiert hatte, befürchtete mit der Einführung der Bundesliga den "Beginn der Sklavenzeit" und zog eine spektakuläre Konsequenz. Mit Abpfiff der letzten Saison Oberliga-Saison und unmittelbar vor der ersten Bundesliga-Spielzeit beendete Werner, gerade 27 Jahre alt, seine Karriere. Vor allem der Norden der Republik war gegen die neue Liga. Der Vorsitzende des Norddeutschen Fußballverbandes, Landwirtschaftsrat Ernst Hornbostel, prognostizierte, dass "ein ganzer Teil der Vereine, die heute mit stolzer Hoffnung in die Bundesliga einziehen, bei Halbzeit ein schauerliches Erwachen erleben werden".

Woche für Woche sehen wir die Besten der Besten aufeinanderprallen. Woche für Woche herrscht hier oder da Endspielstimmung. Woche für Woche hält uns eine Tabelle in Atem, die immer wieder zur Parade der Elite ganz Deutschlands aufruft.

kicker, August 1963

Die Mehrheit der Funktionäre ging das große Abenteuer jedoch in großer Vorfreude an. Der damalige kicker-Herausgeber Dr. Friedebert Becker gratulierte den Gründern der Bundesliga, "die nun endlich bei uns dem Fortschritt zum Durchbruch verhalfen. Der DFB unter neuer Führung holte den bedrohlichen Vorsprung des Auslandes auf, das längst seine Elite in einer Spitzenklasse zusammengeschlossen hat. Längst, ob Spanien, Italien, UdSSR oder Argentinien." Und die Fußballanhänger fieberten dem ersten Spieltag der Bundesliga am 24. August 1963 euphorisch entgegen. Trefflich beschrieb der kicker das Meinungsbild in der Republik: "Woche für Woche sehen wir die Besten der Besten aufeinanderprallen. Woche für Woche herrscht hier oder da Endspielstimmung. Woche für Woche hält uns eine Tabelle in Atem, die immer wieder zur Parade der Elite ganz Deutschlands aufruft."

Gedankenspiele und Disput seit 1956

Der kicker spielte eine unbestritten wichtige Rolle im Vorfeld der Bundesliga-Gründung. Noch auf dem Bundestag in Duisburg am 28. Juli 1956 war abermals die Gründung einer bundesweiten Liga verworfen worden. In Duisburg drohten deren Befürworter, vor allem die Vereine aus dem Süden und dem Westen, sogar mit der Gründung einer Interessengemeinschaft, die eine Abspaltung vom DFB zur Folge gehabt hätte. Rechtsanwalt Albert Möritz, Präsident des FC Schalke 04, berief sich auf Artikel 9 des Grundgesetzes ("Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden") und meinte: "Die Sache ist ins Rollen gebracht und lässt sich nicht mehr aufhalten."

Der kicker, ein früher Geburtshelfer der Bundesliga

Der Stimmungswandel unter den Gegnern der Bundesliga begann, als der kicker in den Ausgaben am 10. und 17. Dezember 1956 - nach Gesprächen mit dem Bundesfinanzministerium - den Bedenkenträgern beim DFB berichten konnte, dass der im Oktober ernannte neue Bundesfinanzminister Franz Etzel zu Gesprächen mit dem DFB und den Vereinen bereit und die Gemeinnützigkeit der Vereine nicht gefährdet sei, wenn das bestehende Vertragsspieler-Statut in ein "Statut des bezahlten Fußballspielers" geändert würde. Nach dieser Veröffentlichung trat der DFB in Gespräche mit dem Finanzministerium.

Das Ja zur Bundesliga - für den kicker eine Sonderbeilage wert.

Das Ja zur Bundesliga - für den kicker eine Sonderbeilage wert.

Der Vater der Bundesliga ist aber Franz Kremer. "Der Boss" wurde der erste Präsident des 1948 gegründeten 1. FC Köln genannt, der bei der Fusion des von ihm geführten Kölner BC mit der Spielvereinigung Sülz 07 in jenem Jahr warb: "Wollen sie mit mir deutscher Meister werden?" Unter Kremer wurde Köln 1962 und in der ersten Bundesliga-Saison 1963/64 Deutscher Meister. Kremer und an seiner Seite der spätere DFB-Präsident Hermann Neuberger, damals Präsident des Saarländischen Fußball-Verbandes, kämpften verbissen um die Bundesliga. Mit einem prominenten Fürsprecher: Bundestrainer Sepp Herberger. Doch sie wurden abgeschmettert auch auf den Bundestagen 1958 und 1960.

Wir haben die Bundesliga fünf Minuten nach 12 eingeführt, aber es ist noch nicht zu spät.

Kölns Präsident Franz Kremer

Nach einem bemerkenswerten Plädoyer des Juristen Dr. Hermann Gösmann, Sprecher des DFB-Vorstandes, für die Einführung des Profi-Fußballs in der Bundesrepublik auf dem Bundestag 1960 beschloss der DFB-Vorstand am 29. Juli 1961 eine ernsthafte Prüfung der Pläne. Am Tag der Gründung der Bundesliga wurde Gösmann im Goldsaal zum neuen DFB-Präsidenten gewählt. Er beerbte den rustikalen Dr. Peco Bauwens, der nicht zu den Freunden der geplanten Bundesliga zählte. An diesem historischen 28. Juli 1962 strahlte ihr großer Vorkämpfer Franz Kremer, hob das Sektglas und sagte: "Jetzt zieht wieder Sauberkeit in den deutschen Fußball ein. Jetzt sind wir wieder Herren im eigenen Haus. Praxis und Gesetz waren zu weit voneinander entfernt. Wir haben die Bundesliga fünf Minuten nach 12 eingeführt, aber es ist noch nicht zu spät."

Ein starkes Votum und neuer Streit: Wer darf rein?

Mit dem Ja zur Bundesliga entflammte neuer Streit. Um die Zulassung zur neuen Liga. Am 1. Dezember 1962 schlurfte Hausmeister Jocham um Mitternacht zum Gartentor des Anwesens Zeppelinallee 77 in Frankfurt am Main, wo der DFB in einer Villa seine Büroräume unterhielt. An jenem Samstag lief die Bewerbungsfrist für die Bundesliga ab. Jocham hätte im Bett bleiben können: Der Briefkasten war leer. Keiner kam mehr auf den letzten Drücker. Doch bis zu diesem Tag hatten sich von den 74 Vereinen in den fünf Oberligen Berlin, Nord, Süd, Südwest und West niemals erwartete 46 Klubs um die 16 Plätze in der neuen Liga beworben.

Sportliches, Geografisches, Technisches - die ersten Zulassungskriterien

Um diese "Salatschüssel" geht es seit 1963/64.

Viel Glanz nach viel Gezeter: Um diese "Salatschüssel" geht es seit 1963/64. picture-alliance

Sportliche Kriterien spielten für die Aufnahme eine Rolle. Nach einem komplizierten Schlüssel wurden die Endplatzierungen der Vereine in den Spielzeiten 1951 bis 1955 einfach gewertet, in den Spielzeiten 1955 bis 1959 zweifach und ab der Saison 1959/60 bis 1963 dreifach. Dazu kamen Sonderpunkte für das Erreichen der Endrunden um die deutsche Meisterschaft und die Teilnahme an Pokalendspielen. Die Stadien sollten mindestens 35.000 Zuschauern Platz bieten und eine Flutlichtanlage haben. Der DFB legte unter geografischen Gesichtspunkten fest, dass je fünf Vereine aus dem Süden und dem Westen, drei aus dem Norden, zwei aus dem Südwesten und einer aus Berlin die Bundesliga bilden werden.

In den Oberligen gewachsene Freundschaften zerbrachen bei der Gründung. Im Westen, wo Alemannia Aachen dem revolutionären Franz Kremer "Machenschaften" vorhielt, weil der Meidericher SV (heute MSV Duisburg) zu den Gründungsmitgliedern zählten. Oder am Main zwischen Eintracht Frankfurt und Kickers Offenbach, die 1959 das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft bestritten hatten.

FC Bayern, Gladbach und Leverkusen schauten in die Röhre

Von den 46 Bewerbern zogen zwei zurück, 15 Vereine bekamen gleich eine Absage, darunter Borussia Mönchengladbach und Bayer Leverkusen. Der neu gegründete Bundesligaausschuss mit Ludwig Franz, Präsident des 1. FC Nürnberg, an der Spitze, benannte mit dem Hamburger SV, Werder Bremen, Borussia Dortmund, 1. FC Köln, Schalke 04, Eintracht Frankfurt, 1. FC Nürnberg, 1. FC Saarbrücken und Hertha BSC am 11. Januar 1963 die ersten neun Vereine für die Bundesliga. Viele der jetzt noch nicht berücksichtigten Vereine forderten zur Vermeidung von "Härtefällen" die Liga gleich mit 20 statt den geplanten 16 Teilnehmern starten zu lassen. Der DFB-Vorstand lehnte das Ansinnen ab. Am 6. Mai wurden mit Eintracht Braunschweig, Preußen Münster, Meidericher SV, 1. FC Kaiserslautern, 1860 München, VfB Stuttgart und Karlsruher SC die weiteren sieben Gründungsmitglieder benannt.

Bayern München und Borussia Mönchengladbach gehörten zu den 13 Vereinen, die Beschwerde gegen ihre Nichtberücksichtigung einlegten. Der DFB-Vorstand wies diese am 1. Juni ab. Alemannia Aachen und Kickers Offenbach zogen vor ordentliche Gerichte; ihre Klagen scheiterten.

63 Jahre nach Gründung des DFB startete die Bundesliga am 24. August 1963 in ihre erste Saison. Eine bisher 57-Erfolgsgeschichte, die die Fußball-Anhänger Woche für Woche - heute fast Tag für Tag - bewegt.

Rainer Franzke

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