Basketball

21 Jahre Dirk Nowitzki: Danke, Dörk! - Eine Würdigung

Eine Würdigung für Deutschlands besten Basketballer

21 Jahre Nowitzki: Danke, Dörk!

Auf und neben dem Court eine Ikone: Dirk Nowitzki.

Auf und neben dem Court eine Ikone: Dirk Nowitzki. Getty Images

Was überwiegt an diesem Mittwochmorgen? Trauer, Freude, Bewunderung? Bei Dirk Nowitzkis großer Abschieds-Party, auf die sich wohl jeder gefreut hat außer Dirk Nowitzki, stand das American Airlines Center in Dallas noch einmal Kopf, so wie im Spiel davor, und in dem Spiel vor dem Spiel. Diese letzten Züge einer frühzeitig abgehakten Saison gehören seit Wochen ausschließlich den letzten Zügen einer (irgendwie immer noch) unfassbaren Karriere. Und das zu Recht.

Nowitzki hat den Mavericks trotz 39 Grad Fieber die erste Meisterschaft der Franchise-Geschichte beschert, Basketball in Deutschland auf eine ganz andere Popularitätsstufe gehoben, das komplette Spiel verändert und ist trotzdem immer der bodenständige Riese geblieben, dem dieser ganze Trubel immer noch unangenehm ist. Dafür jubeln sie ihm zu, dafür werden sie ihm nachweinen. Nach dem letzten Heimspiel als NBA-Profi darf die Karriere dieses Sportlers jetzt mal gewürdigt werden.

Verkorkstes Versteckspielen: Wie alles begann

Gut, dass sich der Fallschirm dann doch schnell geöffnet hat. Was heute aussieht wie Lehrbuchbilder für Sporthallenwände, wäre beinahe nach wenigen Wochen bereits als gescheitertes Experiment in die Brüche gegangen. Nowitzkis Anfänge in der NBA waren 1999 alles andere als vielversprechend. Der Junge aus der Hochbegabten-Familie (Mutter Helga und Schwester Silke sind beide ehemalige Basketball-Nationalspielerinnen), der in Deutschlands 2. Liga bei der DJK Würzburg geglänzt hat, findet sich bei den "Erwachsenen" zunächst nicht zurecht.

"Ich war so frustriert", sollte er später sagen, "dass ich fast wieder nach Deutschland zurückgegangen wäre. Ich kam mir vor, als würde ich aus einem Flugzeug springen und hoffen, dass der Fallschirm aufgeht." Einen seiner vielen Spitznamen bekommt Nowitzki schon früh aufgedrückt. Bei "Irk" fehlt das D, so wie bei Dirk die Defense.

Dabei bleibt es nicht, und dafür hat Don Nelson, damaliger Head Coach und General Manager der Mavericks, auch einiges investiert. Er war früh auf Nowitzki aufmerksam geworden und nicht erst bei jenem Event im März 1998, das die Notizblöcke vieler Scouts füllen sollte. Nelson hatte Nowitzki spielen sehen und nicht gewollt, dass der damals 19-Jährige am Nike Hoop Summit in San Antonio, Texas teilnimmt. "Wir wollten ihn verstecken", erzählte Nelson der "Sports Illustrated". "Wir haben einige Dinge getan, die wir vermutlich nicht hätten tun dürfen, um ihn davon abzuhalten, zu anderen Teams zu gehen und mit ihnen zu sprechen. Wir haben alles versucht."

Vergeblich. Nowitzki spielt mit und wird für das "Team Welt" gegen eine Auswahl von US-Talenten mit 33 Punkten und 14 Rebounds zum Star des Spiels. Damals ist Holger Geschwindner, auch heute noch Nowitzkis Mentor, schon drei Jahre an seiner Seite.

Der Draft und die Grill-Party: "Warum kommst du nicht einfach rüber?"

Drei Monate später wird Nowitzki im Draft von den Milwaukee Bucks an Position neun ausgewählt und zusammen mit Pat Garrity für Robert Traylor nach Dallas getradet. Nowitzki ist damals der erste Spieler, der den direkten Weg aus Europa in die NBA wählt, und Nelson bekam seinen Wunschspieler doch noch - nach der letzten genommenen Hürde.

Dirk Nowitzki

Das Debüt gegen Seattle und Landsmann Detlef Schrempf. Getty Images

Damit Nowitzki den riesigen Schritt auch geht und seine Heimat wirklich verlässt, tut Nelson alles. "Zwei Stunden nach dem Draft klingelte das Telefon", blickte Geschwindner später mit dem "Dallas Magazine" zurück. "Und Don Nelson sagte mir: 'Wir kommen nach Deutschland.'" Später gibt Nelson in Dallas sogar eine Grillparty für Nowitzki. "Sie haben mir gesagt: 'Es gibt wirklich keinen Druck hier. Warum kommst du nicht einfach rüber und entwickelst dich weiter?'" Nowitzki sagt zu.

Wegen des Spielerstreiks ist die erste Saison in den USA verkürzt, Nowitzki spielt noch ein halbes Jahr Bundesliga in Würzburg (er hat die DJK ja schließlich dorthin geführt) und verabschiedet sich mit 34 Punkten gegen den MTV Gießen. Am 5. Februar 1999 feiert der nun 20-Jährige gegen die Seattle Supersonics um Landsmann Detlef Schrempf sein NBA-Debüt.

Der steile Aufstieg und der große Rückschlag

Richtig los legt Nowitzki erst in seiner zweiten Spielzeit jenseits des Atlantiks. Bei den gerade von Self-Made-Milliardär Mark Cuban gekauften Mavs harmoniert das von Nelson angepriesene "German Wunderkind" mit Steve Nash und wird am Ende der Saison Zweiter hinter Jalen Rose bei der Wahl zum "Most Improved Player", ein Jahr später zum ersten Mal All-Star (bis heute 14-mal). Es ist der Anfang eines steilen Weges nach oben.

Dallas wird besser - und Nowitzki auch. Was folgt, ist der erste ganz bittere Rückschlag: 2006 spielen die Mavs groß auf, ziehen bis in die Finals, führen in der Serie gegen die Miami Heat schon mit 2:0 - und verlieren dann vier Spiele in Folge. Nowitzki wird die Sieger-Mentalität abgesprochen, "No-win-ski" und "No-ring-ski" füllen die Schlagzeilen. Später wird er das auf seine Art beantworten.

Nowitzki ist trotz der Finals-Pleite längst ein Star. Der Power Forward revolutioniert das gesamte Spiel, weil er für seine Größe völlig untypisch agiert - Nowitzki kann werfen! Der "7-Footer" schuftet Tag und Nacht mit Geschwindner, perfektioniert seinen Fadeaway-Jumper: Mit dem Rücken zum Korb dreht sich Nowitzki um die eigene Achse, springt auf einem Bein ab und ist schlichtweg nicht zu verteidigen. Kobe Bryant und andere Superstars kopieren seinen Stil.

Mit einer Trefferquote von über 50 Prozent aus dem Feld und über 90 Prozent von der Freiwurflinie führt Nowitzki die Mavs in der Saison 2006/07 zu überragenden 67 Siegen und wird als erster und bisher einziger Europäer zum MVP gewählt, doch der wertvollste Spieler der NBA scheitert mit seinem Team in der ersten Play-off-Runde ausgerechnet an den nun von Nelson trainierten Golden State Warriors.

Auch privat muss Nowitzki einen Tiefschlag einstecken: Nachdem er die deutsche Auswahl 2008 als Flaggenträger ins olympische Turnier brachte und dort frühzeitig ausschied, kommt es ein Jahr später zur Razzia in seinem Haus in Dallas: Nowitzkis damalige Verlobte Crystal Taylor wird wegen mehrfachen Betrugs vom FBI verhaftet; sie hat Nowitzki nicht nur eine falsche Identität, sondern anschließend auch noch eine Schwangerschaft vorgespielt.

Die Krönung 2011: Nowitzki in der Form seines Lebens

Es dauert, bis Dallas in der Postseason wieder eine Rolle spielt, immer wieder ist frühzeitig Schluss - Nowitzki inzwischen schon über 30 - und das Titelfenster wird kleiner. 2011 gehen die Mavericks als Außenseiter in die Play-offs, setzen sich dort in Runde eins in sechs Spielen gegen die Portland Trail Blazers durch und landen dann das große Ausrufezeichen mit einem "Sweep" gegen Titelverteidiger Los Angeles Lakers.

Nowitzki ist dieses Mal nicht kleinzukriegen, Oklahoma City muss in fünf Spielen dran glauben, und Dallas bekommt in den Finals die Chance zur Revanche gegen Miami. Spiel eins setzen Nowitzki & Co. am South Beach in den Sand, in Spiel 2 sieht es im Schlussviertel wieder schlecht aus; die Heat führen sechs Minuten vor Schluss mit 15 Punkten. Es folgt der große Wendepunkt in den Finals: Nowitzki, der sich in der ersten Begegnung auch noch einen Sehnenabriss im Mittelfinger zugezogen hat, startet quasi im Alleingang die Aufholjagd, erzielt erst den Ausgleich und dann per Layup den entscheidenden Korb zum Serienausgleich.

Spiel drei findet in Dallas statt, wieder ziehen die Mavs den Kürzeren; auch weil Nowitzki per Fadeaway den Ausgleich in der Schlusssekunde verpasst. Die Ereignisse überschlagen sich in der Folge: Während in Deutschland um 3 Uhr nachts die Streams geladen und tausende Daumen gedrückt werden, schleppt sich Nowitzki mit 39 Grad Fieber in Spiel vier und besorgt dennoch den Siegtreffer. Auf Seiten Miamis reagieren Dwyane Wade und LeBron James mit Spott, ziehen vor laufenden Kameras über Nowitzkis Grippe her. Doch der Würzburger bleibt gelassen, bezeichnet seine Kontrahenten als "kindisch" und "respektlos. Ich spiele seit 13 Jahren in dieser Liga und habe noch nie eine Verletzung oder Krankheit vorgetäuscht."

Nachdem Dallas auch Spiel fünf gewinnt, kehren die Texaner mit einer 3:2-Führung nach Miami zurück. Ein Sieg fehlt zum ersehnten Titel, zur Vervollständigung von Nowitzkis jetzt schon herausragender Laufbahn. Und der Deutsche befindet sich in der Form seines Lebens, Experten sprechen vom "komplettesten Nowitzki aller Zeiten". In Spiel sechs lassen die Mavs keine Zweifel aufkommen und dominieren LeBrons Star-Ensemble nach Belieben. Kurz vor Schluss ist der Sieg im Grunde perfekt, Nowitzki stützt ein erstes Mal ungläubig die Hände am Hinterkopf ab.

Schluss, Aus, geschafft: Nowitzki hat "ein bisschen geheult"

Dann ist es geschafft - und die folgenden Bilder gehen um die Welt: Während sich die Teamkollegen auf dem Court um den Hals fallen, stürmt Nowitzki an allen vorbei in die Katakomben, zieht sich das Trikot über den Kopf und geht, abgeschieden vom Jubel der Kollegen in der Arena, in die Kabine, braucht dort einige Minuten für sich alleine und "heult ein bisschen", wie er später gesteht.

Dirk Nowitzki

Am Ziel angekommen: Nowitzki und die Mavs sind Champion 2011! Getty Images

Zurück auf dem Parkett, darf Nowitzki nicht nur den ersten Titel in der Mavs-Geschichte entgegennehmen, NBA-Commissioner David Stern überreicht ihm nach durchschnittlich 26 Punkten pro Partie dazu noch die Trophäe als Finals-MVP. Nowitzki ist ganz oben angekommen, "diese Meisterschaft kann uns keiner mehr nehmen".

In den kommenden Jahren meldet sich sein Körper, Nowitzki muss nach der langen Saison und der Basketball-EM 2011 mit der deutschen Nationalmannschaft (Aus in der Zwischenrunde) am Knie operiert werden und verpasst anschließend die ersten 27 Partien der neuen NBA-Saison, taucht gelegentlich sogar in Talkshows auf und stellt sich als "Dunking Deutschman" oder "2-Meter-Schnitzel" vor.

Dallas kann an die Meisterschaft 2011 nicht mehr anknüpfen, auch weil damalige Garanten wie Tyson Chandler oder Jason Kidd längst nicht mehr da sind. Doch Nowitzki, anstatt Surfer-Frisur jetzt wieder mit Kurzhaar-Schnitt, lässt weiter einen Meilenstein nach dem anderen fallen. 2014 überholt er Hakeem Olajuwon als besten ausländischen Scorer in der NBA-Geschichte, zieht im Laufe der Saison auch noch an Elvin Hayes und Moses Malone in der All-Time Scoring Liste der Liga vorbei und wird am Ende der Saison zum 13. Mal ins All-Star-Team berufen.

Als Kobe Nowitzki anrief: "Hör mir zu, Dirk"

Wie schon zuvor, verzichtet Nowitzki auch bei seiner x-ten Vertragsverlängerung in Dallas auf viel Geld, um sein Team weiter wettbewerbsfähig zu halten, aber das wird es bis zum Ende seiner Karriere nicht mehr sein. Mehrfach hätte Nowitzki in seiner Laufbahn zu einem größeren Titelkandidaten gehen und mehr verdienen können. Kobe Bryant rief einst sogar höchstpersönlich bei seinem "Kumpel" an, um ihn zu den Lakers zu holen. "Hör mir zu, Dirk. Ich weiß, dass du Dallas nicht verlässt. Aber ich muss es wenigstens versuchen, was sagst du?" Nowitzkis Antwort: "Du hast recht. Ich bleibe hier."

In Dallas liegen sie ihrem Superstar, der nie ein Superstar sein wollte, für seine Loyalität zu Füßen. Lisa Tyner, Leiterin der Nowitzki-Foundation und Nowitzkis "zweite Mutter", schrieb einst in der "Welt": "Dirk trägt nicht wie so viele andere Stars der NBA pfundschwere Goldkettchen, feiert sich nicht mit einem Tattoo auf dem Oberarm selbst und erfreut sich keiner üppigen Flotte von Luxus-Karossen. Seine beiden Autos sind groß, damit die langen Beine darin Platz finden."

Mavs-Besitzer Mark Cuban rührte es jüngst nochmal zu Tränen: "Dirk ist ein Beispiel für jeden Einzelnen von uns. Wenn du hart genug arbeitest und an dich glaubst, ist alles, wirklich alles, möglich. Dirk, du hast so viel für mich und diese Stadt möglich gemacht - und es tut mir leid, dass ich jetzt so emotional werde -, aber so speziell bist du eben."

30.000 Punkte und die Emotionen bei Geschwindner

2017 erzielt Nowitzki seinen 30.000 Karriere-Punkt, das haben vor ihm für ein Franchise nur Kobe und Karl Malone geschafft. Während sich das Publikum in Dallas mal wieder von den Sitzen erhebt, schwenkt die Kamera zur Tribüne auf einen älteren Mann mit einer Lederjacke, der schließlich auch auf dem Videowürfel in der Arena zu sehen ist und Nowitzki aufblicken lässt. Es ist Holger Geschwinder, der sich die Tränen aus den Augen wischt.

Holger Geschwindner

Tränen auf der Tribüne: Mentor Holger Geschwindner freut sich für seinen Schützling. Youtube/Dirk

"Das", sagt der Kommentator, "ist das Beeindruckendste, das ich heute Abend gesehen habe. Dieser Typ hat den dünnen Dirk damals in irgendeiner Sporthalle in Deutschland gefunden. Wie speziell muss das hier für ihn sein?"

Es sollte noch immer nicht der Schlusspunkt sein. Die noch laufende Saison beginnt für Nowitzki mit einer Sehnenverletzung, zwei Monate muss er zuschauen, ist ohnehin zum ersten Mal in seiner Karriere nicht mehr als Starter gefragt. "Da hatte ich keinen richtigen Spaß mehr", blickt er mit dem ZDF zurück. Doch wieder mal kämpft sich "Dörk" zurück, wohlwissend, dass er in einem jungen Mavs-Kader hauptsächlich als Mentor gefragt ist.

Vor der Saison fehlen ihm etwas mehr als 200 Punkte, um Urgestein Wilt Chamberlain von Platz sechs der All-Time Scoring der Liste zu verdrängen. "Ich wusste zwischenzeitlich nicht, ob ich es überhaupt noch schaffe." Im März schafft er es, und nimmt es wie auch sonst mit dem nach oben geragten Arm und drei ausgestreckten Fingern zur Kenntnis. Nach all dem Jubel hat er ja nie gefragt.

Nun ist Schluss: Danke, Dörk!

Dass ihm plötzlich auch die gegnerischen Fans Spalier stehen und stehende Ovationen verpassen, ist ihm auch im 21. NBA-Jahr noch unangenehm. "Im Mittelpunkt stehen ist ja nicht unbedingt mein Ding." 21 Jahre, 21 mit den Mavericks; das ist natürlich ein (weiterer) NBA-Rekord. Seine Meilensteine und Bestmarken kann ihm keiner nehmen, seinen Legendenstatus sowieso nicht. Nun hat sich Nowitzki zu seiner Zukunft geäußert. "Das war mein letztes Heimspiel, so wie ihr das erwartet habt", sagte der Superstar von den Dallas Mavericks nach dem 120:109 gegen die Phoenix Suns über das Hallenmikrofon. Entgegen seiner Ankündigung, erst im Urlaub eine Entscheidung über seine Zukunft treffen zu wollen, machte der 40-Jährige schon jetzt Schluss.

Mit Nowitzki wird die Liga einen, vielleicht auch den loyalsten Spieler überhaupt verlieren, eine Ikone auf und neben dem Platz. Eine Identifikationsfigur für all die heranwachsenden Talente. Ohne Nowitzki wäre Basketball in Deutschland nicht so populär.

Und deshalb, das muss man jetzt auch einfach mal sagen: Danke, Dörk, für alles.

Mario Krischel

Dirk Nowitzki - Meilensteine einer Superkarriere