Nationalelf

Osiecks Bilanz: "Es war nicht die WM der Superstars"

WM-Erkenntnisse: FIFA- Studienleiter gibt anhand von acht Themenkreisen erste Einblicke

Osiecks Bilanz: "Es war nicht die WM der Superstars"

Holger Osieck zieht nach der Weltmeisterschaft Bilanz.

Holger Osieck zieht nach der Weltmeisterschaft Bilanz. imago

1. Die Taktik:

Mit Beginn der K.O.- Spiele setzte sich eine vorsichtigere Spielweise durch. Fast alle Mannschaften legten ihr Hauptaugenmerk auf die Defensive. Nicht nur solche Teams wie die Italiener, die traditionell sehr kompakt stehen. Das führte zu sehr engen Spielen, das 3:0 von Italien gegen die Ukraine mal ausgeklammert. Insgesamt fielen wenige Tore: in den zwölf Achtel- und Viertelfinalspielen zum Beispiel nur 21, davon lediglich zwölf aus dem Spiel heraus.

2. Das Niveau:

Die Betonung der Defensive führte nicht gerade zu attraktivem Fußball. Es gab in der Historie aber immer wieder solche Turniere – wie 1962 in Chile, als mit Ausputzer operiert wurde. Ich glaube allerdings, dass sich demnächst wieder eine offensive Grundhaltung ausbilden wird.

3. Das Tempo:

Mehr als zufriedenstellend. Die Partien waren keineswegs langsam, auch die in der Nachmittagshitze nicht. Ein Beweis für die gute Fitness aller Teams.

4. Die Stars:

Es war nicht die WM der Superstars wie Ronaldinho oder Deco. Diese Ausnahmekönner aus dem Offensivbereich haben eine sehr intensive Saison gespielt, für sie war wohl die schon verlängerte Vorbereitung immer noch zu kurz. Die Persönlichkeiten der WM sind in der Defensive zu finden: Wie Buffon oder Cannavaro bei Italien, Thuram oder Gallas bei Frankreich.

5. Das Offensivsystem:

Die meisten Teams bevorzugen nur noch eine echte Spitze. Von den Halbfinalisten agierten nur die Deutschen mit zwei nominellen Angreifern, dazu von den Spitzenteams noch Argentinien. Dies beweist die defensive Grundorientierung. Hinter der Spitze werden zumeist drei offensive Mittelfeldspieler eingesetzt, wovon zwei über die Flügel kommen, einer als so genannter freischaffender Künstler zumeist zentral positioniert ist.

6. Das Abwehrsystem:

Die Viererkette hat sich herausgebildet als die ideale Grundordnung. Nur vier der 32 Mannschaften der WM setzten auf eine Dreierkette: Mexiko, Kroatien, Australien und Japan, wobei die Asiaten ab und an auch umstellten.

7. Die Rolle der "Sechser":

Immer mehr Bedeutung gewinnen diese Spezialisten, die nicht nur Abwehraufgaben bekleiden, sondern aus der Tiefe für das Aufbauspiel verantwortlich sind. Pirlo bei Italien ist ein Musterbeispiel. Im Gegensatz zu früher, als der Brasilianer Dunga vornehmlich als Stabilisator fungierte, vermögen solche Typen auch den öffnenden Pass zu spielen.

8. Die Bedeutung der Standards:

Wenig Tore fielen durch direkte Freistöße – nur sechs bis zum Finale in Berlin. Mehr Bedeutung erhielten Freistöße von der Seite mit Effet getreten, vor allem von links mit rechts vors Tor gezogen. Spezialisten wie Beckham, Riquelme oder auch Schweinsteiger, wie bei Petits Eigentor am Samstag gesehen, hatten so Erfolg. Gleich geblieben ist die Zahl der Treffer nach Eckbällen. Knappe Abseitsentscheidungen waren in der Vorrunde an der Tagesordnung, später kaum noch, weil alle Teams sehr tief standen. Aufgezeichnet von Hans-Günter Klemm