Champions League

Wenn der Zweck die Mittel heiligt

Meinung von kicker-Redakteur Mounir Zitouni

Wenn der Zweck die Mittel heiligt

"Chelsea hat es verdient": kicker-Redakteur Mounir Zitouni.

"Chelsea hat es verdient": kicker-Redakteur Mounir Zitouni.

Bemerkenswertes trug sich zu, als es vor wenigen Wochen dem FC Chelsea gelang, den FC Barcelona aus dem prestigeträchtigsten Vereinswettbewerb der Welt, der Champions League, zu eliminieren. Das Besondere war aber nicht etwa das Ausscheiden des großen spanischen Vereins. Dass Favoriten in K.o.-Spielen mal den Kürzeren ziehen können, kommt immer wieder mal vor. Man mag sich nur an Reals Ausscheiden gegen Lyon 2010 erinnern oder wie die favorisierten Bayern letzte Saison überraschend im Achtelfinale gegen Inter rausflogen.

Doch die Qualifikation der Engländer gegen Barcelona (1:0, 2:2) sorgte für eine selten gesehene hektische Aufregung im großen Heer der Beobachter, Experten, Ex-Fußballer. Ja, Empörung machte sich breit. Denn die Engländer kamen weiter, indem sie dem schönen, technisch ansehnlichen Kontaktfußball der Spanier ein reines Defensivkonzept entgegensetzten. Wie Polizisten, die versuchen, Occupy-Demonstranten in Schach zu halten, so sicherten die Chelsea-Spieler ihr Terrain mit zwei engstehenden Defensivreihen und hofften vorne, mit dem einen oder anderen schnellen Angriff Gefahr auszustrahlen. Schön sah das erst mal nicht aus. Warum sollte es auch? Schließlich geht es im Fußball immer noch um Ergebnisse. 4:18 Torchancen hieß es die Bilanz am Ende aus Chelsea-Sicht, nach Toren 3:2. Ungerecht? Vielleicht. Unberechtigt? Keineswegs.

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Dennoch verfolgten viele Prediger des schönen Fußballs mit missionarischem Eifer das englische Team. Du mögest keinen schlechten Fußball spielen, hörte man im Kanon die vielen wissenden Menschen sagen. Auch in Deutschland. Matthias Sammer sprach von einer Katastrophe für den Fußball und Günter Netzer redete von "einem abartigen Fußball" und dass er niemals Anhänger einer Fußball-Philosophie werde, die immer nur das pure Ergebnis über die Schönheit des Spiels stelle.

Schöngeister, die der künstlerischen Wertigkeit des fußballerischen Treibens verpflichtet sind. Durchaus angemessen.

Doch was ist schon schön, was hässlich?

Im 19. Jahrhundert sagte der französische Philosoph Voltaire Folgendes: "Fragt eine Kröte, was Schönheit ist, das wahrhaft Schöne. Dann wird sie antworten, das sei das Weibchen mit den schönen runden Augen, die aus dem kleinen Kopf hervorstehen, dem breiten, platten Maul, dem gelben Bauch und dem braunen Rücken ..."

"Das Geschmacksurteil ist kein Erkenntnisurteil"

Ein objektives Urteil über Schönheit ist nicht zu fällen. Dem einen gefällt jenes, dem anderen das. Was ist höher zu bewerten: Die tolle Parade des Chelsea-Torhüters Petr Cech oder das Dribbling von Lionel Messi? Immanuel Kant kam in der "Kritik der reinen Vernunft" zu dem Schluss: "Das Geschmacksurteil ist kein Erkenntnisurteil, mithin nicht logisch, sondern ästhetisch, worunter man dasjenige versteht, dessen Bestimmungsgrund nicht anders als subjektiv sein kann ..."

Mit allen Mitteln verteidigen: Beim FC Chelsea hilft auch Torjäger Didier Drogba (re. Lionel Messi) hinten aus.

Mit allen Mitteln verteidigen: Beim FC Chelsea hilft auch Torjäger Didier Drogba (re. Lionel Messi) hinten aus. picture-alliance

Beim Eiskunstlaufen versuchen die Richter mithilfe von Kriterien, ihren Urteilen eine objektive Basis zu geben. Das braucht der Fußball zum Glück nicht. Seine Objektivität sind die Tore. Wer mehr davon schießt, der ist besser, unabhängig von der Frage, ob er den "besseren Fußball" präsentiert. Das spielt keine Rolle.

Der deutsche Jesuitenpater Hermann Busenbaum stellte Mitte des 17. Jahrhunderts fest: "... wenn der Zweck erlaubt ist, sind auch die Mittel erlaubt". Ein Prinzip, das in vielen Bereichen des Lebens Einzug erhalten hat: Politik, Wirtschaftsunternehmen, Kriegsführung, Sport. Überall dort, wo Wirken letztlich an seinen Ergebnissen gemessen wird.

Deswegen sind die besten Trainer jene, die die Möglichkeiten ihrer Spieler am besten einschätzen können. Und dann eine Strategie entwickeln, die angesichts der Spieler am erfolgversprechendsten ist. So wie José Mourinho im Finale 2010 gegen Bayern, nach welchem Bayern-Trainer Louis van Gaal nach dem 0:2 hilflos vom "besseren Fußball" lamentierte, den seine Mannschaft gezeigt habe. Doch was hilft das schon, wenn der Gegner am Ende jubelt. Der Zweck heiligt die Mittel, insofern hat der Trainer des FC Chelsea, di Matteo, mit seiner Defensivstrategie alles richtig gemacht. Was hätte es ihm gebracht, Barcelona mit offenem Visier entgegenzutreten? Über die Wahl der Mittel schimpft immer nur der Unterlegene.

Sie können auch anders! Ästhetik-Beispiel FA-Cup-Finale

Und dass die Engländer auch einen Fußball spielen können, der das ästhetische Empfinden der Mehrheit überzeugen konnte, zeigten sie kürzlich im FA-Cup-Finale gegen Liverpool (2:1) . Sie können also auch anders, könnte man Netzer und Co. zurufen.

Roberto di Matteo

Der Erfolg gibt ihm recht: Chelsea-Coach Roberto di Matteo. picture-alliance

Chelsea steht mit seinem Fußball im Champions-League-Endspiel 2012. So verdient wie es eine Partei verdient hat, zu regieren, wenn sie eine Wahl gewonnen hat. Schönheit ist keine Kategorie, mit der Leistungen im Profisport bewertet werden sollten. Verloren nicht die Holländer, die 1974 den schönsten Fußball der Welt spielten, das WM-Finale gegen Deutschland? Und erreichte Deutschland 2002 trotz des Nörgelns vieler Experten nicht das Endspiel in Yokohama? Der Begeisterung um unsere Nationalmannschaft tat das damals im Übrigen keinen Abbruch. Jeder tut das, was er kann. Chelsea ist deshalb kein Vorwurf zu machen. Das wäre absurd, so als wenn man David vorwerfen würde, im Kampf gegen Goliath eine Steinschleuder benutzt zu haben ...

Mounir Zitouni