2. Bundesliga

Warum Hecking jetzt der große Hoffnungsträger ist

Beim krisengeplagten Nürnberg liegt vieles im Argen - Talentförderung nicht konsequent genug

Warum Hecking jetzt der große Hoffnungsträger ist

Dieter Hecking ist in der vertrackten Situation, die er zu hohem Maße mitzuverantworten hat, der Hoffnungsträger. 

Dieter Hecking ist in der vertrackten Situation, die er zu hohem Maße mitzuverantworten hat, der Hoffnungsträger.  IMAGO/Zink

Nur gut, dass Dieter Hecking eine höchst veritable Vita vorweisen kann - als Trainer. Würde man rein sein Schaffen als Sportvorstand als Referenz herziehen, müsste sich der FCN Sorgen machen. Dass sich der Club in so einer Situation befindet, sagt vieles über seine bislang gut zweieinhalb Jahre währende Ära als Sportvorstand aus. Wer milde gestimmt ist, nennt sie glücklos, strenge Kritiker indes sagen, dass er den Club in dieser Zeit ungeachtet einiger homöopathischen Dosen Aufschwungs keinen Zentimeter nach vorne gebracht hat.

Die sportliche Lage nunmehr ähnlich schlecht wie in der Katastrophensaison 2020/21 unter dem grandios gescheiterten Sportvorstand Robert Palikuca, der Kader viel zu groß wie falsch zusammengestellt und ein echtes Konzept nicht zu erkennen, lauten dabei deren Kernargumente.

Das mit dem fehlenden Konzept und dem zu großen Kader kassiert Hecking indes sofort ein. Der Kader sei nicht zu groß, sondern mit vielen Talenten bestückt. Die Förderung des Nachwuchses kann sich beim FCN in der Tat sehen lassen, siehe nur das Schaffen eines Perspektivkaders, um den sich mit Ex-Profi Dieter Frei ein Fußballlehrer und studierter Pädagoge kümmert. "Wir wollen Werte schaffen", betont Hecking.

Junge Spieler aus dem eigenen Nachwuchs bekommen kaum Chancen

Ein guter Plan, der allerdings nur halb auf den Weg gebracht ist, wenn diesen Jung-Profis dann nicht das Vertrauen geschenkt wird, wenn ein Engpass entsteht. Mit dem Werteschaffen wird es nun mal schwierig, wenn die jungen Spieler kaum oder gar nicht zum Spielen kommen. "Es liegt an den Jungen selbst, sie haben doch die Chance, den Trainer so zu überzeugen, dass er sie aufstellt", führt Hecking aus.

Das ist selbstredend richtig, doch da greifen häufig die im Fußball von der C-Klasse bis zur Bundesliga geltenden Mechanismen. Einen Jungen draußen zu lassen, fällt einem Trainer mit Blick auf das Klima innerhalb der Mannschaft oftmals leichter, als einen routinierten Akteur auf die Bank zu setzen.

Beispiel für eine am Ende des Tages dann doch nicht konsequente Jugendförderung gibt es genügend. So bildete der FCN für die linke Seite unlängst Linus Rosenlöcher (22) aus, gab ihm einen Profivertrag, aber nie wirklich eine Chance, holte zugleich aber als Back-up für Tim Handwerker den arbeitslosen Konstantin Rausch (32), der nunmehr in Fußball-Rente ist. Im Sommer gab der FCN den zuvor ausgeliehenen Rosenlöcher endgültig nach Aue ab und kassierte dafür auch eine Ausbildungsentschädigung von rund 75.000 Euro.

Kadermanagement gestaltet sich in der Offensive schwierig

Gleichzeitig verlor er aber einen Mann, der aufgrund seiner Athletik und seines Tempos ein spannender Akteur ist. Ob er ein Bundesliga-Profi wird, ist völlig offen, doch in der 3. Liga beweist er als Stammspieler aktuell, dass der Club keine Bauchschmerzen hätte haben müssen, wenn er ihn in der 2. Liga auf der linken Seite als Alternative für einen gestandenen Akteur eingeplant hätte.

Und das mit dem "Trainer-überzeugen" ist derzeit gerade in der mit zehn Akteuren besetzten Offensiv-Abteilung leichter gesagt als getan. Wenn alle gleichermaßen im Training Gas geben, so werden doch nur zwei spielen und drei bis höchstens vier auf der Bank sitzen, fünf Stürmer muss der Trainer also enttäuschen. Diesen Umstand so zu managen, dass der Kader gerade im Fall des Misserfolgs eine verschworene Einheit bleibt, ist gelinde gesagt schwierig.

Hecking kann es seinen Kritikern beweisen

Da beginnt fraglos die höhere Kunst des Trainer-Daseins, die Hecking nachweislich beherrscht. Somit ist er ironischerweise in der vertrackten Situation, die er zu hohem Maße mitzuverantworten hat, zugleich der große Hoffnungsträger. Übrigens auch für sich selbst als Sportvorstand: Bekommt er nun die Mannschaft richtig flott, würde er allen Kritikern viel Wind aus den Segeln nehmen. Für den Beweis, dass der Kader viel besser und stimmiger zusammengestellt ist, als es sich derzeit darstellt, kann er nun selbst sorgen.

Um ein Hinterfragen der vergangenen Monate mit den zwei Trainerentlassungen und der diskutablen Transferpolitik dürfte der 58-Jährige dennoch nicht herumkommen.

Andererseits: Das muss vermutlich er selbst mit seinem Team erledigen, dem Aufsichtsrat ist das nur schwerlich zuzutrauen. Der Auftritt von Dr. Thomas Grethlein, Chef des Gremiums, bei der jüngsten Pressekonferenz anlässlich der Entlassung von Markus Weinzierl ließ diesbezüglich nicht zum ersten Mal Zweifel aufkommen. Er rühmte dabei sein Gremium für eine tolle, sachliche Diskussionskultur, als es darum ging, der Trainer-Entlassung zuzustimmen. Nun ja, man könnte dies auch als eine Selbstverständlichkeit erachten, die einer Erwähnung nicht wert ist.

Wir sind der Überzeugung, dass wir unserer Tätigkeit mit hoher Gewissenhaftigkeit und hoher Professionalität nachkommen.

Dr. Thomas Grethlein

Zugleich sinnierte Grethlein auch darüber, warum der FCN in einer fast neunjährigen Amtszeit sportlich wie finanziell nicht vom Fleck gekommen ist. Unter anderem, weil der Aufsichtsrat vielleicht mitunter seiner Kontrollaufgabe nicht so gut nachgekommen ist und mitunter falsche Entscheidungen getroffen hat? Der Boss des Aufsichtsrats meinte dazu zwar, dass "wir kritisch mit uns sein müssen", wischte den Anflug von Selbstkritik aber gleich wieder vom Tisch: "Wir sind der Überzeugung, dass wir unserer Tätigkeit mit hoher Gewissenhaftigkeit und hoher Professionalität nachkommen."

Na denn, alles prima, wäre da nur nicht der angeblich so kritische wie pessimistische Anhang des FCN. Grethlein machte den ein Stück weit für die Misere verantwortlich. So würden in Nürnberg laut seiner These junge Spieler, die das erste Mal auflaufen, relativ schnell ausgepfiffen werden. In den vergangenen Jahrzehnten gibt es allerdings genügend Beispiele, die das Gegenteil beweisen. Gerade junge, aus Eigengewächsen bestehende Mannschaften sind besonders unterstützt worden, wenn sie sichtbar alles gegeben haben. Als Beispiel führte Grethein Lukas Mühl an, der "hier vom Publikum ein bisschen kaputt gemacht worden ist. Da sind wir ungnädig im Umfeld".

Wucht der Zuschauer ist keine Einbahnstraße

In Sachen Mühl hat er zum Teil Recht, der Innenverteidiger steckte in der Saison 2020/21 in einem Tief und wurde nach Fehlern teilweise heftig ausgepfiffen - an dem Eigengewächs machten einige zu Unrecht den damaligen sportlichen Sturzflug aus. Allerdings war der damals 23-Jährige kein junger Spieler mehr, sondern eine gestandene Kraft, die in der Saison zuvor in der Bundesliga der beständigste Feldstammspieler gewesen war. Und dass Spieler vom Publikum mitunter zu kritisch gesehen werden, ist wahrlich kein Alleinstellungsmerkmal von Nürnberg.

Die Wucht, die der FCN besitzt, hingegen schon. Dass trotz der jüngst dürftigen sportlichen Jahre und der nicht erfüllten großen Ankündigungen der Zuschauerschnitt über 30 000 liegt, lässt viele andere Profivereine vor Neid erblassen. Oder siehe den Sommer. Obwohl der FCN von den letzten acht Spielen in der Liga nur eins gewann und so manche blutleere Leistung auf den Rasen hinlegte, gingen wenigen Wochen später weit über 20 000 Dauerkarten über den Tisch. Und dass besagte Wucht keine Einbahnstraße ist, besitzt Nürnberg auch nicht exklusiv. Bei einem Traditionsverein wie dem Club sind nun mal viele Emotionen im Spiel, und so kann besagte Wucht mitunter auch eine zerstörerische Kraft einnehmen. Und doch, wo würde der FCN jetzt ohne seine Wucht und ohne seine Fans stehen?

Chris Biechele

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