Bundesliga

Viele Indizien für die Wende bei Bayer, aber …

Leverkusen zeigt gegen Atletico lang vermisste Qualitäten

Viele Indizien für die Wende bei Bayer, aber …

Jubel in der Königsklasse: Doch Leverkusen muss den Eindruck vom Dienstag erst noch bestätigen.  

Jubel in der Königsklasse: Doch Leverkusen muss den Eindruck vom Dienstag erst noch bestätigen.   IMAGO/Uwe Kraft

Aus gutem Grund sprach Gerardo Seoane nach den von seiner Mannschaft leidenschaftlich geführten 90 Minuten von einer "sehr guten Leistung". Ein Lob, das sich nicht in erster Linie auf die Spielkunst der Werkself bezog, sondern auf die Haltung, mit der Jonathan Tah und Co. gegen das Team von Diego Simeone zu Werke ging. Schließlich durfte Leverkusens Trainer mit vielen Bereichen, die zuletzt mehr oder weniger große Fragezeichen hervorgerufen hatten, zufrieden sein. Wie mit der …

… defensiven Stabilität:

Spielbericht

Bislang war Bayer 04 in dieser Saison nur einmal ohne Gegentreffer geblieben, hatte aber auch bei diesem 3:0 in Mainz trotz weißer Weste nicht sattelfest agiert. In den acht Pflichtspielen vor der Atletico-Partie kassierte Bayer insgesamt 16 Treffer, also zwei pro Spiel im Schnitt. Gegen Madrid ließ die Werkself am Dienstag aber nur ganz wenig zu. Torhüter Lukas Hradecky musste nur einmal ernsthaft eingreifen. Eine Topchance gestand der Bundesligist den Spaniern nicht zu. Am Ende stand die Null. Auch wenn Innenverteidiger Edmond Tapsoba Glück hatte, dass sein Handspiel in er 22. Minute nicht mit Strafstoß geahndet wurde, war der Auftritt in der Defensive ein klarer Schritt nach vorne. "Wir haben als Mannschaft brutal verteidigt", lobte der starke Abwehrchef Tah. "Das war der Schlüssel", erklärte Sechser Robert Andrich. Dies lag unter anderem an der …

… neuen Kompaktheit:

Als enger Verbund zu stehen, war Bayer in dieser Saison selten gelungen. Gegen Atletico setzte die Mannschaft dies sogar mit laufender Spielzeit immer besser um. "Entscheidend war, dass die Abstände zwischen den Reihen viel kleiner waren. Dadurch bist du einfach näher beim Mann, die Distanzen sind kürzer und dadurch hast du mehr Chancen, rechtzeitig im Zweikampf zu sein", analysierte Seoane, der die Konsequenz bis zum Schluss hervorhob: "Das war schon wichtig, dass wir im Laufe des Spiels eher enger zusammenstanden als auseinander zu gehen." Dies fußte auch auf einem …

Der Energielevel des Teams, die Verbindung zwischen den Spielern, die Atmosphäre von außen - dieser Faktor sowie Wille und Disziplin waren viel wichtiger als jede taktische Maßnahme.

Gerardo Seoane

… extremen Zusammenhalt:

Eine hochkonzentrierte Abwehrreihe, davor eine Doppelsechs, in der neben Torschütze und Vorzeigekämpfer Andrich auch Feingeist Kerem Demirbay trotz der einen oder anderen spielerischen Schlampigkeit vor der Pause kämpferische Akzente setzte. Dazu auch noch eine Offensivabteilung, die bereit war zu ackern und in der sich selbst der unglückliche Torjäger Patrik Schick nach der Pause mit energischem Anlaufen und Nachsetzen aufbäumte und fast belohnt worden wäre. Bayer überzeugte als Einheit und erzeugte eine potenzierende Wechselwirkung mit den Fans. Nicht umsonst betonte Seoane nachher: "Der Energielevel des Teams, die Verbindung zwischen den Spielern, die Atmosphäre von außen - dieser Faktor sowie Wille und Disziplin waren viel wichtiger als jede taktische Maßnahme." Doch auch diese griffen. Wie etwa die …

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… wiederbelebten Flügel:

Zuletzt ging über außen für Leverkusener Verhältnisse zu wenig. Moussa Diaby setzte zuletzt noch ansatzweise Akzente, Offensivverteidiger Jeremie Frimpong wirkte überspielt. Alternativen auf der Bank hat Seoane akut verletzungsbedingt nicht. Der Kniff des Trainers, Frimpong als Joker in der Hinterhand zu behalten ging auf. "Jeremie hat die letzten Wochen viel gespielt. Er hatte einfach nicht die Frische. Wir wollten ihn uns für die letzte halbe Stunde aufbewahren, da der Sturm physisch immer relativ stark abbaut. In dem Sinn ist das aufgegangen", erklärte Seoane, der die Meriten dafür trotz des Drucks, der auf ihm lastet, nicht für sich reklamierte. "Das ist der Verdienst des Spielers, der mit dieser Energie ins Spiel gekommen ist und diese Position sehr gut ausgefüllt und immer gegen diese MIschung aus Fünfer- und Viererkette von Atletico die Tiefe angegriffen hat mit seinem Speed. Das hat er sehr gut gemacht." Der als Rechtsaußen eingewechselte Offensivverteidiger Frimpong bereitete beide Treffer mustergültig und unwiderstehlich vor, wurde zum Matchwinner. Diaby zeichnete sich als Torschütze aus. Dies lag auch an der …

… erhöhten Effizienz:

Gerardo Seoane

Gerardo Seoane lobt sein Team.  IMAGO/Moritz Müller

Schon beim 2:2 in Berlin hätte Bayer mit einer besseren Chancenverwertung siegen können, auch in Dortmund (0:1) und gegen Freiburg (2:3) fehlte die Kaltblütigkeit, gegen Augsburg (1:2) betrieb Bayer gar Chancenwucher. Gegen Atletico besaß Bayer natürlich keine Unmenge, aber deutlich mehr und qualitativ bessere Torgelegenheiten als die Spanier. "Der Unterschied war, dass wir in beiden Richtungen konsequenter waren, effizienter waren als in anderen Spielen", stellte Seoane zufrieden fest, "es ist uns gelungen, aus nicht so vielen Torchancen zwei Tore zu erzielen." Sieben Torchancen gegen Simeones Defensivkünstler sind trotzdem aller Ehren wert. Diese entstanden auch durch die ab Mitte der zweiten Hälfte …

… neue besetzte Zehnerposition:

Mit Frimpongs Hereinnahme rückte Rechtsaußen Moussa Diaby nach links und Callum Hudson-Odoi auf die Zehn, auf der er nach schwachen ersten 68 Minuten zur mitentscheidenden Figur wurde. Der englische Nationalspieler, der nun auch immer wieder die rechte Seite überlagerte, leitete beide Treffer mit dem vorletzten Pass ein, die Führung mit einem gefühlvollen Chip von der rechten Seitenlinie in den Lauf von Frimpong. Hudson-Odois 22 Minuten als Zehner, in denen Bayer zu vier seiner sieben Chancen kam, dürften nicht die letzten auf dieser Position gewesen sein. "Callum ist ein guter Spieler zwischen den Linien. Er ist sehr ballsicher und hat unserem Spiel ein paar entlastende Pausen gegeben. Auf dieser Position hat er wichtige Impulse gegeben", lobte Seoane, "und er ist da auch eine Option für die Zukunft." Kein Wunder, sorgten Hudson-Odoi und die neu formierte, extrem schnelle Dreierreihe hinter Schick doch in der Schlussphase für die …

… neue alte Leichtigkeit:

So stellte Bayers 2:0 ein Lehrbeispiel für einen überfallartigen Konter dar, bei dem sich Hudson-Odoi erst spielerisch elegant Luft verschaffte, Frimpong einsetzte, der den Steilpass direkt und hoch präzise in den Lauf von Torschütze Diaby zirkelte. Alles extrem schnell, extrem präzise und anscheinend auch extrem einfach. Ein Status, der wieder Normalität werden muss. So war es zuletzt nicht. "Natürlich ist es ist vom Kopf her schwer, wenn du immer neu anrennst, und immer wieder eine Niederlage einstecken musst", erklärte Andrich, "Der Sieg ist vor allem für die Köpfe, sehr, sehr wichtig. Das haben wir uns das über Wochen erarbeitet." Und auch in den 90 Minuten gegen Atletico. In diesen zeigte Bayer eine in dieser Form nicht immer dagewesene …

… Jetzt-erst-recht-Mentalität:

So bewirkte die vergebene Doppelchance von Schick und Adam Hlozek kurz nach der Pause keinen Einbruch, sondern sogar das Gegenteil. Als Schick allein vor Atletico-Keeper Grbic an der Latte gescheitert war und Hlozek danach den Abpraller frei köpfenden nur an den Pfosten gesetzt hatte, passte dies ins Bild der vergangenen Wochen. Doch statt daran zu zerbrechen, legte Bayer nochmal zu. "Da kommt der Gedanke: Viele Großchancen werden wir heute Abend nicht mehr bekommen gegen einen so defensivstarken Gegner", gab Seoane zu und hob hervor: "Was sehr bemerkenswert ist, dass die Mannschaft aus dieser Situation sogar Energie gezogen hat, um auf diesem Weg weiterzuarbeiten."

Bayer 04 hat gegen Atletico also viele Indizien dafür geliefert, dass diese Partie den Wendepunkt in dieser bislang verkorksten Saison darstellen kann. Am Samstag gegen Werder Bremen muss sie dieselbe Konsequenz und Entschlossenheit an den Tag legen. Und dies ist im Liga-Alltag gegen einen Aufsteiger eine viel größere Kunst als an einem Feiertag in der Königsklasse gegen ein europäisches Spitzenteam wie Atletico Madrid.

Stephan von Nocks

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Kommentar: "Jetzt muss der Befreiungsschlag gegen Werder folgen"

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