Irgendwie kommt einem alles bekannt vor - aber irgendwie ist auch alles anders. So wurde Bayer 04 in den vergangenen Jahren schon oft als reif für den großen Wurf angesehen, um früher oder später dann doch weit hinter den Erwartungen zurückzubleiben. Und auch wenn bislang erst vier Spieltage in der Bundesliga und die erste DFB-Pokalrunde absolviert sind, fühlt sich die Euphorie rund um den Werksklub anders an.
Und dies ist nicht nur daran festzumachen, dass der Bundesligist gegen den schwedischen No-Name-Klub BK Häcken im ersten Gruppenspiel der Europa League am Donnerstag 25.000 Zuschauer erwartet zu einer Partie, die in den vergangenen Jahren wohl etwa nur die Hälfte davon ins Stadion gelockt hätte.
Leverkusens Entwicklung erscheint nachhaltig
Doch das Team von Xabi Alonso begeistert nicht nur seine Fans, sondern erntet auch Anerkennung von den objektiven Beobachtern. Auch deswegen, weil Bayer 04 nicht nur attraktiven und erfolgreichen Fußball bietet, sondern auch mit einer Reife auftritt, die eine konstantere Saison als in den Vorjahren erahnen lässt. Kurzum: Leverkusens Entwicklung erweckt den Eindruck, eine nachhaltige zu sein.
Dies macht sich auf dem Platz dadurch bemerkbar, dass gewisse Abläufe automatisiert abgerufen werden können, ohne dass sie als simple Schablonen vom Gegner zu entschlüsseln sind. Alle Strukturen bieten trotz ihrer detaillierten Ausarbeitung vielfältige Optionen an. Deren Aufbau und Erhalt, wie Jonathan Tah in Bezug auf die deutlich verbesserte Spieleröffnung der drei Innenverteidiger erläutert, mit höchster Sorgfalt gepflegt wird. Einheit für Einheit.
"Das sind Dinge, die wir jeden Tag trainieren. Durch die erste Vorbereitung mit dem Trainer haben wir die Dinge über einen längeren Zeitraum umgesetzt. Jeder fühlt sich sehr gut, sehr selbstbewusst auf dem Platz. Deswegen funktioniert es gerade so gut, weil wir es auch immer wiederholen und nicht damit zufrieden sind, wenn es einmal gut klappt. Weil: Einmal reicht nicht! Wir wollen es jedes Spiel auf einem hohen Niveau machen. Das ist unser Anspruch", beschreibt Tah das neue Leverkusener Selbstverständnis.
Der beste Tah aller Zeiten? "Ich glaube, dass ich mein nächstes Level erreicht habe"
Diese von Xabi Alonso geschürte Mentalität, die die Basis für jede erfolgreiche Mannschaft ist, macht Bayer 04 besser und auch jeden Einzelnen. So auch Tah, der seit Jahresbeginn in Topform agiert. Erlebt man gerade den besten Tah aller Zeiten? "Das hoffe ich doch. Ich glaube, dass ich mein nächstes Level erreicht habe", sagt der 27-Jährige, der trotz seiner Wechselabsichten im Sommer am Ende in Leverkusen blieb.
Weil die Angebote von den großen Klubs aus der Premier League, seinem Ziel, fehlten. Aber auch, wie Tah betont, weil er bleiben wollte. "Das war eine aktive Entscheidung. Ich habe in der Vorbereitung gemerkt, dass etwas entsteht. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich hierbleiben möchte. Es herrscht eine extrem positive Stimmung in der Mannschaft und auch der Hunger aufs Gewinnen. Dementsprechend habe ich die Entscheidung getroffen."
Deshalb läuft es für Tah weiter in Leverkusen hervorragend. Doch nicht nur da. Sein Comeback im Nationalteam feierte er jüngst beim 2:1-Sieg gegen Frankreich als Startelfspieler mit einem überzeugenden Auftritt als Rechtsverteidiger. Diesen Status möchte er untermauern. "Mein Anspruch ist es, dabei zu sein - und auch auf dem Platz zu stehen", sagt er selbstbewusst. Starke Leistungen im und Erfolge mit dem Klub sind dafür die besten Argumente.
So setzt Tah sich und der Mannschaft in der am Donnerstag (18.45 Uhr, LIVE! bei kicker) mit dem Spiel gegen den schwedischen Meister BK Häcken startenden Europa League hohe Ziele, nämlich den Titel. "Wir hatten letzte Saison schon das Gefühl, dass wir den Level dafür haben. Warum jetzt dieses Jahr nicht?", fragt der Abwehrchef rhetorisch.
Halbfinal-Aus gegen die Roma als Antrieb: "Hat Hunger auf mehr gemacht"
Das bittere Halbfinal-Aus gegen die AS Roma, die sich nach einem 1:0-Sieg in der ewigen Stadt ein 0:0 im Rückspiel in Leverkusen inklusive aufreizenden Zeitspiels ermauerte, dient dabei sogar als Antrieb. "Das", erklärt Tah, "hat Hunger auf mehr gemacht. Es tut uns allen noch weh, dass wir das Finale so knapp verpasst haben."
Der beeindruckende Start hat die Brust der Werkself-Kicker breit gemacht, ohne dass diese Ansätze zu Höhenflügen verraten. "Das gibt uns das Gefühl, dass sich harte Arbeit auszahlt. Unser Trainingsniveau ist so hoch, weil wir immer versuchen, diesem Anspruch, den wir an uns selbst setzen, gerecht zu werden", erklärt Tah zur Tabellenführung und dem starken Auftritt beim 2:2 in München. Gleichzeitig mahnt er: "Aber wir müssen selbstkritisch bleiben und an den Dingen arbeiten, die wir noch nicht so gut machen." Auch diesen Satz hat man so schon mal vernommen. Doch heute hört er sich nicht mehr an, als wäre er auswendig gelernt.