Ratgeberin, Beraterin, Mediatorin. Sylvia Schenk ist als Sport- und Menschenrechtsexpertin von Transparency International Deutschland bei Verbänden und Vereinen nicht nur gefragt, wenn es um die Bekämpfung von Korruption geht. Von 2017 bis 2020 gehörte sie dem Menschenrechtsbeirat der FIFA an. Die Juristin und frühere Olympia-Teilnehmerin (800-m-Lauf) wird auch in den Diskussionen rund um die WM 2022 in Katar gehört.
In der Debatte über Qatar Airways als Sponsor des FC Bayern München wurden Sie zuletzt wie eine Kronzeugin zitiert. Sind Sie das, Frau Schenk?
Als Kronzeugin kann man mich gerne dafür zitieren, dass der FC Bayern mit seinen engagierten Fans völlig verkehrt umgeht und damit nicht nur der Vereinsdemokratie, sondern dem eigenen Sponsor Qatar Airways schadet.
Die Beziehungen des deutschen Rekordmeisters zu Katar sieht ein Teil seiner Fans seit Langem als Problem an. Seit wann sind Sie direkt mit diesem Thema befasst?
Das fing mit Presseanfragen parallel zum jährlichen Winter-Trainingslager der Bayern 2016 oder 2017 an. 2019 habe ich mich dann erstmals damit befasst, dass das Präsidium des Vereins einen frist- und formgerechten Antrag einfach nicht auf die Tagesordnung der Mitgliederversammlung gesetzt hat. Ich habe damals dafür gesorgt, dass ein entsprechender Antrag gleich wieder für die nächste Mitgliederversammlung gestellt wurde, um zu signalisieren: Das Thema wird der Verein nicht los.
Was ist in diesen zwei Jahren geschehen, oder anders gefragt: Was wurde da versäumt?
Immerhin ist dieser Antrag jetzt 2021 angenommen worden. Allerdings wurde die Zeit seit 2019 nicht genutzt, um ein Menschenrechtskonzept zu entwickeln und umzusetzen.
Musste es nun zwangsläufig zu dieser Eskalation bei der Mitgliederversammlung kommen?
Nein. Das Präsidium hätte auf den nun angenommenen Antrag als Grundlage für den verantwortlichen Umgang auch mit dem Sponsoring durch Qatar Airways verweisen können, statt stur seine Rechtsposition durchzusetzen. Der nicht zugelassene Antrag von Michael Ott und seine juristische Gegenwehr mit der einstweiligen Verfügung hat den nötigen öffentlichen Wirbel verursacht, der - leider erst jetzt - zu Gesprächsbereitschaft des Vereins geführt hat.
Das Präsidium hätte auf den nun angenommenen Antrag als Grundlage für den verantwortlichen Umgang auch mit dem Sponsoring durch Qatar Airways verweisen können, statt stur seine Rechtsposition durchzusetzen.
Sylvia Schenk
Können Sie die satzungstechnischen Hintergründe in diesem FCB-internen Konflikt erklären, sodass es jeder Außenstehende versteht?
Der FC Bayern e. V. ist mit 75 Prozent Hauptaktionär der FC Bayern AG, die ihrerseits den Sponsoringvertrag mit Qatar Airways geschlossen hat. Laut Paragraf 15 Absatz 5 der Vereinssatzung ist die "Geschäftsführung für den Bereich Fußball (vereinsunmittelbarer und ausgegliederter Bereich) ... ausschließlich Aufgabe des Präsidiums". Demnach ist die Mitgliederversammlung des Vereins für Sponsoringverträge der AG nicht zuständig und Otts Antrag auf einstweilige Verfügung wurde abgelehnt. Mit dem von der Mitgliederversammlung angenommenen, vom Präsidium allerdings abgelehnten Antrag bekennt sich der Verein "zum Respekt gegenüber allen international anerkannten Menschenrechten und setzt sich für die Achtung dieser Rechte ein". Außerdem steht nunmehr in der Satzung, der FC Bayern "setzt sich als Mehrheitsaktionär der FC Bayern München AG für die Umsetzung der Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen ein". Dies liegt in der Zuständigkeit der Mitgliederversammlung, also ist das Präsidium jetzt verpflichtet, ein Menschenrechtskonzept zu entwickeln und sich gegenüber der AG entsprechend einzusetzen.
Darf ein vergleichsweise kleiner Teil der Mitglieder, wenngleich gut organisiert, einen so großen Einfluss auf weitreichende Entscheidungen eines fast 300.000 Mitglieder zählenden Vereins haben?
Wer nicht zur Mitgliederversammlung kommt, darf sich nicht beschweren, wenn zuvor ordnungsgemäß auf die Tagesordnung gesetzte Anträge dort beschlossen werden. Es würde mich zudem wundern, wenn die ganz überwiegende Mehrheit der 300.000 Mitglieder etwas dagegen hätte, dass der Verein sich klar zum Respekt der Menschenrechte bekennt und entsprechend im Rahmen der Vereinstätigkeiten handelt. Im Übrigen nehmen immer nur einzelne Vereinsmitglieder eine aktive Rolle ein, das ist überall so.
Birgt das nicht aber auch Gefahren?
Der FC Bayern sollte sich freuen, so engagierte und offensichtlich auch kompetente Fans bzw. Mitglieder zu haben. Wenn die Führung dies sinnvoll aufgreift, ist das doch ein Gewinn für alle.
Was raten Sie dem Vorstand des FC Bayern?
Die sollten sich an die Arbeit machen. Immerhin hat auch die DFL-Taskforce "Zukunft Profifußball" in ihrem Anfang Februar 2021 veröffentlichten Bericht festgehalten, wie fundamental ein verbindliches Menschenrechtskonzept ist.
Stichwort Kommunikation. Erst kürzlich hat sich doch der nun Ex-Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge ehrlich und klar geäußert über die Bedeutung dieses Sponsorings.
Die finanzielle Bedeutung ändert nichts an der menschenrechtlichen Verantwortung der FC Bayern AG als global tätiges Wirtschaftsunternehmen. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte stehen einem solchen Sponsoring nicht entgegen. Die AG könnte per Vertrag auch Qatar Airways auf die UN-Leitprinzipien verpflichten und sicherstellen, dass sie Pilotinnen ausbilden, Frauen in Führungspositionen haben und z. B. die Arbeitsbedingungen bei den für die Bordverpflegung oder Reinigung eingesetzten Kräften den internationalen Standards entsprechen. Ich bin sicher, Sponsoren wie Adidas, Allianz, Telekom gehen in ihren Lieferketten bereits so vor. Ab 2024 muss die FC Bayern AG das sowieso machen nach dem neuen Lieferkettengesetz in Deutschland.
Fußball kann, wenn er seiner Verantwortung in der eigenen Geschäftstätigkeit gerecht wird, die Achtung der Menschenrechte voranbringen und trotzdem Geld verdienen.
Sylvia Schenk
Rummenigge bezog sich auch darauf, dass Fans eines der erfolgreichsten Klubs der Welt weiter eine absolute Spitzenmannschaft erwarten.
Wenn Karl-Heinz Rummenigge so die finanzielle Seite in den Vordergrund rückt, verstärkt er unnötig den Eindruck, es gehe im Fußball immer nur um Geld - egal auf wessen Kosten. Fußball kann, wenn er seiner Verantwortung in der eigenen Geschäftstätigkeit gerecht wird, die Achtung der Menschenrechte voranbringen und trotzdem Geld verdienen.
Müsste der neue CEO Oliver Kahn das jetzt zur Chefsache erklären oder der Vereinspräsident Herbert Hainer?
Am besten arbeiten beide Hand in Hand. Es geht ja nicht nur um Außenbeziehungen. Menschenrechtsrisiken haben wir auch in Deutschland im Ligabetrieb. Das geht von sexualisierter Gewalt im Stadion über die Arbeitsbedingungen der Sicherheitskräfte bis zum Umgang mit Verletzungen, insbesondere Gehirnerschütterungen, und dem manchmal exzessiven Gebrauch von Schmerzmitteln bei den Profis. Beim FC Bayern e. V. habe ich auf der Website zwar was zum Kinderschutz gefunden, aber sonst nichts.
Was raten Sie den in dieser Sache aufbegehrenden Fans?
Ruhe bewahren, sich mit weiteren Akteuren vernetzen und sachlich an dem Thema dranbleiben.
Meinen Sie nicht, dass die Mehrheit der Bayern-Fans, ob nun Mitglied oder nicht, den Partnerschaften mit Katar viel weniger kritisch gegenübersteht?
Das mag so sein, immer nur Kritik hilft ja auch nicht. Aber was die Haltung zu den Menschenrechten betrifft, habe ich großes Vertrauen in die Mehrzahl der Fans.
Kann der Branchenführer der Bundesliga hier noch eine beispielhafte Rolle einnehmen, mit Blick auf die Berücksichtigung und Anwendung der UN-Leitprinzipien für Menschenrechte auch in einer Sport-Unternehmung?
Es wäre ein tolles Signal, wenn Verein und AG aktiv würden. Das könnte den Maßnahmen der DFL als Folge des Taskforce-Berichts Schwung geben und angesichts der Reichweite des FC Bayern international wie national eine differenzierte Diskussion zur menschenrechtlichen Verantwortung einleiten.
Wie ordnen Sie die staatliche katarische Fluggesellschaft als Expertin von Transparency International im "Kerngeschäft" Ihrer Organisation ein?
Im Corruption Perception Index, dem Korruptionsranking von Transparency International, liegt Qatar mit 63 von 100 Punkten auf Platz 30, Deutschland mit 80 Punkten auf Platz 9, die USA liegen mit 67 Punkten auf Platz 25. Das sind keine Riesenunterschiede. Ein Korruptionsfall von Qatar Airways ist mir nicht bekannt. Auf der Website des Unternehmens steht viel zum CO2-Abdruck, das heißt zu Umweltthemen, auch soziale Aspekte werden kurz angesprochen, aber nicht ausdrücklich Menschenrechte. Genau da könnte der FC Bayern als Sponsoringpartner ansetzen.

Sport- und Menschenrechtsexpertin von Transparency International Deutschland: Sylvia Schenk. Getty Images
Wird in München ein Stellvertreter-Konflikt innerhalb der Gesamtdebatte über die WM 2022 geführt?
Es ist ein Teil der Gesamtdiskussion, aber der FC Bayern trägt eine eigene Verantwortung.
Also geht es grundsätzlich um neue Maßstäbe und Werte bei Partnerschaften von Klubs und Geldgebern?
Ja, aber nicht nur bei Profiklubs. ESG, also Environment - Social - Governance, sind inzwischen ein wesentlicher Beurteilungsmaßstab bei Finanzinvestoren weltweit. Wenn der Profisport sich nicht in die Abhängigkeit von dubiosen Geldgebern wie Oligarchen oder autokratischen Herrschern, die Staatsmittel einsetzen, begeben will, führt kein Weg daran vorbei, ESG-Kriterien anzuwenden. Das sieht auch der DFL-Taskforce-Bericht so.
Ist die Aufmerksamkeit, um nicht zu sagen Achtsamkeit, des Publikums heute und in Zukunft größer, als das vor allem der Fußball bisher kannte? Haben wir es also weniger mit Zeitgeist als vielmehr mit einer Zeitenwende zu tun?
Wenn ich mir die aktuellen globalen Herausforderungen der Politik anschaue, wie sie auch im Koalitionsvertrag der Ampel ihren Niederschlag gefunden haben, dann ist der Kampf gegen den Klimawandel mit sozialer Absicherung und dem Schutz der Menschenrechte integral verbunden, ebenso gehört Governance im Sinne einer entsprechenden rechtsstaatlich ausgerichteten Führung dazu.
In einem Jahr wird das Turnier in Katar schon wieder beendet sein. Wie schätzen Sie die Lage der Menschenrechte heute ein und wie die anhaltende Debatte darüber in der Öffentlichkeit?
Die Debatte als solche ist hilfreich. Ohne die Vergabe der WM und die dadurch hervorgerufene Kritik hätte es keinen Druck auf die FIFA gegeben. Auch wenn die Entscheidung der FIFA damals falsch war, weil die Menschenrechtssituation nicht von Beginn an berücksichtigt wurde, konnte inzwischen durch die intensive Arbeit der Bau-Gewerkschaften bei der Sicherheit der Baustellen und den Arbeitsbedingungen einiges bewegt werden. Damit sind noch lange nicht westeuropäische Standards erreicht, insbesondere für Hausangestellte und generell die Frauenrechte bleibt einiges zu tun, ebenso im Hinblick auf die Situation von Homosexuellen. Aber Katar liegt in der Golfregion vorne. Wir sollten vor allem die Migrantenarbeiterinnen und -arbeiter nicht im Stich lassen, sondern die weitere Umsetzung der eingeleiteten Maßnahmen einfordern.
Warum kommt aus Deutschland die lautstärkste Kritik an einer WM in Katar?
Wir neigen in Deutschland manchmal zu sehr zum Schwarz-Weiß-Denken und lassen uns nicht auf Entwicklungen ein, die nun einmal Zeit benötigen. Außerdem sind generell Prozesse der Nachhaltigkeit bzw. des Change-Managements, auch die UN-Leitprinzipien, bei uns nicht so breit bekannt, wie ich es in der Diskussion im Ausland erlebe. Wir müssen jetzt selbst einen Transformationsprozess in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft durchmachen, wenn wir den Klimawandel aufhalten wollen - da hoffe ich, dass wir mit uns geduldiger sind als mit den Katarern.
Das größte Problem ist die UEFA. Die hat eine Nachhaltigkeits-Strategie weit unterhalb der internationalen Standards für Menschenrechte verabschiedet.
Sylvia Schenk
Was muss der DFB daraus heute schon mit Blick auf die EUR0 2024 lernen? Oder machen die Deutschen bei Großereignissen ohnehin alles besser?
Beim DFB gibt es ein Menschenrechtskonzept, die Vorbereitung der EURO berücksichtigt die UN-Leitprinzipien. Wir haben auch in Deutschland Rassismus und sexualisierte Gewalt in Stadien oder prekäre Arbeitsverhältnisse zum Beispiel im Bau, Reinigungs- und Sicherheitsgewerbe. Das größte Problem ist die UEFA. Die hat am 16. Dezember eine Nachhaltigkeits-Strategie weit unterhalb der internationalen Standards für Menschenrechte verabschiedet. Da sind die FIFA und der DFB längst weiter. Die UEFA übernimmt keine Verantwortung für die Menschenrechte in ihrem Kerngeschäft, sondern betreibt vor allem Kosmetik.
Interview: Jörg Jakob
Das Interview erschien zuerst in der Montagausgabe des kicker vom 20. Dezember.