Herr Russ, im Gegensatz zu Sturm Graz hält der TSV Hartberg an seinem Trainingslager im türkischen Lara fest. Warum?
Ich denke, dass dort weniger Ansteckungen passieren können. In Österreich haben die Spieler ja doch ihre Familien und Freunde, wo auch etwas passieren kann. Daher ist es gescheiter, dass wir alle zusammen etwas abgeschottet in einem Hotel sind. Wir werden natürlich aufpassen und hoffen, dass nichts passiert.
Sendet der in der Corona-Pandemie ohnehin schon privilegierte Fußballsport mit Trainingslagern im Ausland nicht ein falsches Zeichen aus?
Wir müssen trotz Corona etwas Normalität schaffen! Natürlich muss jeder aufpassen. Wir schränken uns aber ohnehin alle ein und gehen nicht in der Stadt herum. Wir sind nur im Hotel und auf dem Trainingsplatz - das ist für uns auch nicht so einfach wie alle glauben. Natürlich sind wir froh, dass wir unseren Beruf ausüben dürfen. Wir als Gesellschaft sollten jedoch nicht immer mit dem Finger auf andere zeigen, sondern näher zusammenrücken und uns unserer gemeinsamen Verantwortung bewusst werden.
Hartberg verpflichtete im Winter bislang Patrick Farkas, Mario Kröpfl und Youba Diarra. Was erwarten Sie sich von diesen drei Neuzugängen?
Ich denke, dass sie uns guttun werden. Wir haben keinen allzu großen Kader und vielleicht wird uns auch der eine oder andere Spieler noch verlassen. Daher wird es für uns gut sein, dass alle drei um einen Stammplatz kämpfen. Die, die jetzt da sind, müssen wieder ein bisschen mehr fighten. Der Konkurrenzkampf ist dementsprechend groß. Das finde ich gut.
Offensiv suchen wir noch nach der einen oder anderen Verstärkung.
Kurt Russ
Salzburg gab Diarra leihweise ab, um ihm in Hartberg mehr Spielpraxis zu ermöglichen. Sehen Sie die Gefahr, dass die Dominanz der Salzburger durch derartige Leihen noch größer wird?
Nein. Salzburg hat ohnehin das Glück, so viel Geld und Talente wie kein anderer Verein in Österreich zu haben. Natürlich bekommen sie dann Spieler zurück, die etwas mehr Erfahrung sammeln durften, aber die Vorteile überwiegen auf beiden Seiten. Wir können froh sein, dass es Salzburg gibt. Durch ihre Erfolge in der Champions League wurde das Augenmerk wieder vermehrt auf den österreichischen Fußball gelegt. Wir haben Salzburg sehr viel zu verdanken.
Sind im Winter noch weitere Transfers geplant?
Abgeschlossen ist die Kaderplanung noch nicht. Wir haben immer ein Auge auf dem Transfermarkt und schauen, wen wir noch holen könnten.
Auf welchen Positionen sehen Sie Handlungsbedarf?
In der Defensive sind wir schon gut aufgestellt. Offensiv suchen wir noch nach der einen oder anderen Verstärkung, weil Tore zu erzielen das Schwierigste bleibt. Wenn uns da jemand auffällt, würde das sicher passen.
Kommen wir zur sportlichen Situation: Der TSV Hartberg liegt in der Bundesliga vier Spieltage vor dem Ende des Grunddurchgangs nur drei Punkte hinter Platz sechs. Wie sieht Ihre Erwartungshaltung hinsichtlich der möglichen Qualifikation für die Meistergruppe aus?
Jeder Verein will in die Meistergruppe, weil man für einige Monate nichts mit dem Abstieg zu tun hat und etwas durchschnaufen kann. Man hat dann nicht ganz so viel Druck wie in der Qualifikationsgruppe. Wenn man in den Top Sechs ist, kann man auch jungen Spielern mehr Spielpraxis geben. Sollten wir das schaffen, wäre es natürlich Weltklasse. Wenn nicht, müssen wir schauen, dass wir nicht absteigen. Das wäre sicher härter. Grundsätzlich haben wir bis dato aber gut gespielt. Jetzt wird es darum gehen, so viele Punkte wie möglich zu machen - und dann wird zusammengezählt.
Wie bewerten Sie das aktuelle Liga-Format generell?
Ich bin dafür, keine Teilung zu machen. Ich finde es nicht gut, dass die Punkte halbiert werden. Diese sollte jede Mannschaft behalten. Wenn man weniger Punkte hat, ist man aber natürlich froh, dass es dieses Format gibt. Das kommt immer auf die Situation des jeweiligen Teams an. Grundsätzlich finde ich es nicht gut, dass es in der Meister- und Qualifikationsgruppe quasi von vorne losgeht. Wenn eine Mannschaft mehr Geld hat, kann sie in der Winterpause zwei bis drei Spieler holen, die dann den Unterschied ausmachen können. Das ist nicht richtig.
Das erste Pflichtspiel nach der Winterpause findet am 5. Februar im Cup-Viertelfinale auswärts bei Rapid Wien statt. Rene Swete betonte im Interview mit dem kicker, dass der Titel das Ziel sei. Sehen Sie das auch so?
Im Cup ist natürlich das Finale das Ziel. Sonst müssten wir gar nicht antreten. Bis jetzt haben wir das gut gemacht. Das Viertelfinale gegen Rapid wird auch deshalb spannend, weil keiner weiß, wo die beiden Mannschaften stehen. Wir hoffen selbstverständlich, dass wir dort eine Runde weiterkommen.
Bei dieser Cup-Partie dürfte wohl auch Yusuf Demir wieder für Rapid zum Einsatz kommen. Wie haben Sie die Situation rund um ihn wahrgenommen?
Wenn man als Österreicher den Sprung zu Barcelona schafft, muss man den Hut vor ihm ziehen. Daran sieht man, welche Qualität er hat. Das hat er dort auch bewiesen. Im Prinzip ist es ja so, dass er nur wegen der Klausel nicht bei Barcelona bleiben konnte. Wenn er nun tatsächlich zu Rapid zurückkehren sollte, kann man ihnen nur gratulieren. Dann hätten sie einen zusätzlichen Topspieler. (Das Interview wurde vor der offiziellen Rückkehr geführt, Anm.)
Die Social-Media-Plattformen sind nicht meine Welt.
Kurt Russ
Um Sie gibt es aktuell hingegen keinerlei Gerüchte. Dennoch: Verfolgen Sie das Ziel, künftig wie etwa Ihr Vorgänger Markus Schopp den Sprung ins Ausland zu schaffen?
Ich bin jetzt einmal froh, in der Bundesliga arbeiten zu dürfen. Ich bin sehr zufrieden und glücklich in Hartberg. Was irgendwann einmal passieren wird, kann ich aktuell noch nicht beurteilen.
Abschließend möchte ich noch auf die mentale Belastung im Fußball zu sprechen kommen. In Zeiten von Social Media lastet immer größerer Druck auf den Spielern. Wie sieht bei Ihnen der Umgang mit mental etwas verunsicherten Profis aus?
Die Social-Media-Plattformen sind nicht meine Welt, da ich doch schon etwas älter bin. Wenn es Probleme gibt, spreche ich aber ganz offen mit den Spielern. Wir diskutieren die Sachen im gesamten Trainerteam aus und ich treffe dann eine Entscheidung, wie wir mit dem jeweiligen Spieler umgehen. Jeder weiß, dass man mit allen Sachen zu mir kommen kann. Ich bin diesbezüglich sehr offen und versuche, auch meine Entscheidungen am Spieltag verständlich zu erklären. Ob man damit immer Erfolg hat, kann man vor einem Match eh nicht sagen. Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Das geht aber allen Trainern so.
Ist der Fußball insgesamt zu groß geworden?
Wir wollen den Fußball groß haben. In Österreich hat der Fußballsport vielleicht nicht den Stellenwert wie in anderen Ländern, aber alle in dieser Branche wollen, dass er noch größer wird. Daher bin ich froh, dass es Salzburg gibt. Insbesondere in der Meistergruppe müssen wir alle mehr machen, um Salzburg einzuholen. Die Rahmenbedingungen sind zwar andere, aber das heißt nicht, dass die restlichen Mannschaften sie nicht ärgern können. Sie geben den Takt vor und alle Vereine müssen nachziehen. Das sieht man bei Sturm Graz und dem Transfer von Kelvin Yeboah: Er wurde für kolportierte sechs Millionen Euro verkauft. Das bringt einen Verein weiter und kann das Interesse von außen steigern. Natürlich müssen wir auch auf die Kosten schauen. Insgesamt wollen wir aber alle, dass der Fußball noch mehr Gewicht bekommt.