Torjägerkanone

Rudi Dörrenbächer: Neunkirchens fast vergessener Torjäger

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Rudi Dörrenbächer: Borussia Neunkirchens fast vergessener Torjäger

Schussgewaltiger Torjäger: Rudi Dörrenbächer im Saar-Derby gegen den 1. FC Saarbrücken am 27. September 1962

Schussgewaltiger Torjäger: Rudi Dörrenbächer im Saar-Derby gegen den 1. FC Saarbrücken am 27. September 1962 Archiv Borussia Neunkirchen / Ellenfeld E.V

Die Torjägerkanone™ für alle

"Dann macht es bumm, ja und dann kracht's." So beginnt ein Schlager, den 1969 einer der wohl besten und erfolgreichsten Stürmer des deutschen Fußballs gesungen hat. Allerdings besteht kein Zweifel, dass er das Toreschießen weitaus besser beherrschte als das Singen: Gerd Müller, auch genannt "Bomber der Nation", erhielt 1966, drei Jahre nach Bundesliga-Gründung, zum ersten Mal die Torjägerkanone. Der legendäre Mittelstürmer wurde insgesamt siebenmal mit der Trophäe geehrt - bis heute der Top-Wert, der allerdings am Ende der 60. Bundesliga-Saison durch Robert Lewandowski eingestellt werden könnte. Hätte es die Torjäger-Kanone schon früher gegeben, wäre mit Sicherheit auch ein anderer Stürmer mit der begehrten Kanone ausgezeichnet worden: Rudi Dörrenbächer, der Rekord-Torjäger des heutigen Sechsligisten Borussia Neunkirchen, der in den 1950er und 1960er für Furore sorgte.

Seine Bilanz, durchaus beeindruckend. Von 1957 bis 1963 erzielte der Mittelstürmer in 168 Spielen 136 Tore. Dabei waren die 37 Treffer in der Spielzeit 1961/62, mit denen der Borussen-Angreifer seiner Mannschaft entscheidend zum Gewinn der Südwestmeisterschaft verhalf, zu dieser Zeit deutscher Oberliga-Rekord. Sogar die Torjäger des Nordens wie Uwe Seeler vom HSV, Gerd Koll aus Kiel und Peter "Oschi" Osterhoff vom FC St. Pauli (je 28 Tore) hatten das Nachsehen. Keine Frage: Rudi Dörrenbächer gehörte zu den besten Stürmern seiner Zeit und steht für sehr erfolgreiche Jahre in der Historie der Borussia aus Neunkirchen. Zwischen 1958 und 1973 wurden die Ellenfelder viermal Vize- und einmal Oberliga-Meister, erreichten 1959 das DFB-Pokalendspiel gegen Schwarz-Weiß Essen. Auch dort trug sich Rudi Dörrenbächer in die Torschützenliste ein. Sein Tor zum 2:5-Endstand war aber lediglich Ergebniskosmetik. Immerhin: Bundestrainer Sepp Herberger lud den Borussen-Goalgetter ein Jahr später zu einem Lehrgang ein.

Ich weiß gar nicht, ob der mal aus 16 Metern aufs Tor geschossen hat. Aber im Strafraum war er kaum zu stoppen.

Dörrenbächers ehemaliger Teamkollege Erich Leist

Was war das Erfolgsgeheimnis des Mannes mit der hohen Stirn, den die "Saarbrücker Zeitung" angesichts der Größe von 1,86 Metern und seinen Fußballstiefeln Nummer 48 einmal als "Berg von einem Mann" bezeichnet hat? So genau weiß das eigentlich keiner. "Er war auf jeden Fall ein typischer Vollstrecker", glaubt Karl Ringel, zu dieser Zeit Borussias Kapitän. Stopper Erich Leist, der Dörrenbächer 1958 aus Marpingen ins Ellenfeld gefolgt war, sagte über ihn: "Der Rudi war ein eigensinniger Spieler, aber im guten Sinne! Der Gegner, aber auch wir selbst wussten nie ganz genau, was er als nächstes macht." Besonders schussstark sei er nicht gewesen, habe den Ball am liebsten über die Linie getragen. "Wir haben ihn ganz gut freigespielt, aber viele seiner Treffer waren Eigenleistungen. Die hat er selbst herausgespielt", so Leist. Das Kopfballspiel sei nicht Dörrenbächers Stärke gewesen, erinnert sich sein Mitspieler Dieter Harig, der den Stürmer einen "eher unorthodoxen Spieler" nennt: "Ich weiß gar nicht, ob der mal aus 16 Metern aufs Tor geschossen hat. Aber im Strafraum war er kaum zu stoppen." kicker-Redakteur Wilfried Burr attestierte Dörrenbächer in einem Porträt von 1966 "Kraft plus Eleganz" als Erfolgsmischung.

So eigen sein Spielstil war, so eigen war Rudi Dörrenbächer auch abseits des Platzes. "Er war schon ein bisschen ein Einzelgänger", sagt Dieter Harig. Karl Ringel ergänzt: "Aber einer der guten Sorte." Bezeichnend: "Während die Mannschaft nach dem Training mit ihren paar Mark Essensgeld gemeinsam ins Borussen-Heim ging, kaufte Rudi von dem Geld Schokolade für Frau und Sohn und fuhr alleine nach Hause nach Furpach. So war er halt. Aber wir haben ihn deshalb nie ausgeschlossen, er war trotzdem immer gut ins Team integriert", weiß sein Mannschaftskamerad Paul Pidancet zu berichten.

Das letzte Tor

Dann kam der Ostermontag 1963 mit dem Nachholspiel der Borussia beim VfR Frankenthal - der Tag, der die Karriere Rudi Dörrenbächers abrupt beendete. Paul Georg, ein Versicherungsmakler aus Wiebelskirchen und eingefleischter Borusse hat diesen tragischen Moment heute noch vor Augen: "Schon den Torjubel (Dörrenbächer traf per Kopf zum 1:0. Anm. d. Red.) seiner Kameraden bekam er nicht mehr mit. Frankenthals Torhüter Rößler war bei seiner Abwehraktion um Sekundenbruchteile zu spät gekommen, traf den Borussen ohne Absicht mit der Faust an der Schläfe. Dörrenbächer stürzte ohne jede Reaktion regelrecht wie ein nasser Sack auf den immer noch vereisten Boden und verlor das Bewusstsein", erzählt der Zeitzeuge. Mit einem Schädelbasisbruch sei der Top-Stürmer nach Ludwigshafen in die Klinik eingeliefert worden. "Dort lag er sechs Wochen im Koma, das Ende seiner Karriere. Einen Stürmer mit solch einer erfolgreichen Quote hatte die Borussia meines Wissens nach bis heute nicht mehr", so Wiebelskirchen.

Borussias Top-Stürmer Rudi Dörrenbächer (weißes Trikot, Mitte) ist, unterstützt von seinem Teamkameraden Elmar May (li.), ganz oben auf

Ein tragisches Ende: Während eines Kopfballduells verletzte sich Dörrenbächer so schwer, dass er seine Fußballkarriere beenden musste. Archiv Borussia Neunkirchen / Ellenfeld E.V.

Fußball spielte er danach nie wieder. Sehr zum Leidwesen der Borussia: "Wäre der Rudi nicht so schwer verunglückt, hätten wir die Qualifikation zur Bundesliga 1963 geschafft", davon ist Karl Ringel bis heute felsenfest überzeugt. Die Zahlen scheinen ihm Recht zu geben: Ohne den Torjäger reduzierte sich die Anzahl der erzielten Tore erheblich, die Borussen verloren ihren Südwest-Titel an den 1. FC Kaiserslautern und scheiterten in der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft an Borussia Dortmund und dem TSV 1860 München.

Eine neue Liebe

Jahre später entdeckte Rudi Dörrenbächer seine Liebe zum Laufen. Sein Name tauchte immer öfter in den Ergebnislisten von Kreis- und Landesmeisterschaften der Waldläufer auf. Er steigerte die Laufdistanz, wagte nach Starts über 5.000 und 10.000 Meter im badischen Biberach sogar die mörderische Marathonstrecke - und hielt durch. Sein Ziel, die 42 Kilometer unter drei Stunden zu laufen, verfehlte er knapp um zwei Minuten und war um eine Erkenntnis reicher: "Es ist wesentlich leichter, Torschützenkönig zu werden als Marathonläufer." Der Borussia blieb er weiterhin treu - in beruflicher Funktion: Als Polizeiobermeister half er vor dem Ellenfeld-Stadion den Verkehr zu regeln, wenn die Massen zu den Bundesliga-Spielen strömten. Dorthin, wo er selbst über Jahre hinaus im Mittelpunkt des Jubels stand. Wegen eines Hüftleidens ging er in Frühpension und lebte zurückgezogen. Am 29. Juni 2013 ertönte der Abpfiff für Rudi Dörrenbächer. Er wurde 80 Jahre alt.

Es ist wesentlich leichter, Torschützenkönig zu werden als Marathonläufer!

Rudi Dörrenbächer gegenüber dem kicker im Jahr 1966

Auf die Idee, wie Kollege Gerd Müller ins Schlagergeschäft einzusteigen, wäre er nicht gekommen. "Dann macht es bumm, ja und dann kracht's", das war nicht sein Ding. Rudi Dörrenbächer ließ es auf dem Platz krachen. Auch wenn er die Torjäger-Kanone nie bekommen konnte - verdient gehabt hätte der Rekordschütze der Borussia Neunkirchen eine solche Würdigung allemal.

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Er ist nicht so berühmt wie Klaus Fischer oder Gerd Müller, hat nicht so viele Tore geschossen wie Cristiano Ronaldo und Lionel Messi. Aber euer Klub wäre nicht derselbe, hätte er nie euer Trikot getragen. Er ist die Stürmerlegende eures Vereins, deren Geschichte es wert ist, erzählt zu werden. Schreibt uns an amateure@kicker.de und verratet sie uns. Wir schreiben sie auf

Jo Frisch / red

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