Eigentlich sollte es die einfachste Sache der Welt sein: Menschen spielen ein Spiel mit Menschen. Der eSport hat mit seiner geringen Barriere das Potenzial der absoluten Gleichberechtigung. Mit passendem Equipment kann fast jeder einsteigen. Doch anstatt die Gemeinsamkeit der geteilten Leidenschaft zu genießen, werden tiefe Gräben gebuddelt.
Wer nicht als offensichtlich weißer Junge oder heterosexueller Mann startet, muss bis zur professionellen Laufbahn innerhalb der Öffentlichkeit, in Chats und Kommentarspalten mit Übergriffen rechnen. Der eSport ist ein Umfeld, in dem sexistische Anfeindungen gegenüber Frauen und rassistische Kommentare die Regel darstellen. Wir sind weit davon entfernt, gleichberechtigte (Einstiegs-)Bedingungen zu erleben.
Heteronormative Denkmuster sind innerhalb eSport relevanter Spiele die Norm. Die Folgen sind vielfältig: Von Ablehnung und Ausgrenzung über falsche Ansprachen bis hin zu toxischen Chats, Shitstorms und Übergriffen. Durch solche erwartbaren Reaktionen bleibt ein Sponsoring ebenfalls oft aus.
Klar, dass der eSport für ein Coming Out von Menschen des LGBTIQA+-Spektrums nicht gerade nach der besten Idee klingt. Gerade im Bereich des eFootballs scheint sich eher das Muster des realen Fußballs zu verfestigen. Homosexualität ist tabu.
Bemühungen für mehr Diversität sind richtig und wichtig
Das führt dazu, dass Menschen innerhalb ihrer Leidenschaft entweder nicht die sein können, die sie sind oder deshalb erst gar nicht in den eSport einsteigen. Coming Outs geschehen, ähnlich wie im realen Sport, zumeist erst auf dem Höhepunkt des Erfolges oder nach der Karriere.
Es gibt gute Ansätze in Deutschland wie das Mentoring Programm des ESBD, die eSport Player Foundation und weitere Bemühungen, unter anderem vom Verband der deutschen Games-Branche (game). Bemühungen, die im kicker eSport Talk zu Homosexualität und Diversität im eSport ausführlich dargelegt wurden.
Doch diese hängen immer von dem Willen einiger Organisationen, Sponsoren oder ehrenamtlicher Tätigkeit ab. Um tatsächliche Gleichberechtigung zu erlangen, braucht es mehr als ein paar gute Initiativen.
Homo- und Transfeindlichkeit - noch immer ein gesamtgesellschaftliches Problem
Denn Homo- und Transfeindlichkeit sind ein gesamtgesellschaftliches Problem mit strukturellen und institutionellen Wurzeln. Ohne die Gemeinnützigkeit des eSports, nicht nur in Deutschland, bleibt dieses Problem das exakte Lebensabbild eines Menschen aus dem LGBTIQA+-Spektrums. Und das ist leider noch immer von Diskriminierung geprägt.
Erst seit 1994 ist Paragraf 175, der homosexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern verbot, gestrichen. Erst seit 2016 sind homosexuelle Paare offiziell berechtigt, als Pflegeeltern die Vormundschaft für Kinder und Jugendliche gemeinsam auszuüben. Die Ehe für Alle wurde am 1. Oktober 2017 eingeführt.
Mit "Divers" wird seit dem 18. Dezember 2018 neben männlich und weiblich zwar eine dritte Option im Personalausweis ermöglicht - allerdings nur für intersexuelle Menschen. Non-binary und genderfluide Menschen sind davon ausgeschlossen.
Ein Gesetzesentwurf zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung wurde erst im Frühjahr 2021 abgelehnt. Um Namensänderung und Personstandsanpassungen zu realisieren, müssen transgender und transsexuelle Personen weiterhin den von der UN als menschenrechtsverletzend bescheinigten Weg des Transsexuellengesetzes gehen. Es herrscht Fremdbestimmung statt Selbstbestimmung.
Artikel 3 des Grundgesetzes klammert die sexuelle Identität noch immer aus
Fehlende Akzeptanz im Umfeld und in der Bürokratie zieht eine hohe Suizidrate unter trans Jugendlichen und Erwachsenen nach sich, wie eine Studie der American Academy of Pedriatrics 2018 bestätigte. 50,8 Prozent unter trans Jungen und 41,8 Prozent unter trans Mädchen im Alter von 11-19 Jahren hatten hier bereits einen oder mehrere Suizidversuche unternommen.
Wer will sich freiwillig in ein weiteres toxisches Umfeld setzen, wenn nicht mal das reale für ein gefestigtes, liebevolles Aufwachsen taugt?
Artikel 3 des Grundgesetzes zur Gleichberechtigung aller Menschen klammert die sexuelle Identität noch immer aus. Wir reden hier von etwa 10 Prozent der Bevölkerung, denen damit die Basis gegen Diskriminierung entzogen wird. Aber hey, immerhin dürfen homosexuelle Menschen seit Ende 2021 Blut spenden.
Ein Spiegelbild
Der eSport ist ein Abbild unserer gesellschaftlichen Entwicklung, wie Marius Lauer ebenfalls im kicker eSport Talk bestätigt. Warum sollte es im eSport mit der Ausgrenzung anders laufen, wenn wir in der Gesellschaft noch nicht dort angekommen sind, wo wir tatsächlich hin müssen. Die langsame gesamte Entwicklung spiegelt ihre Denkmuster auf den eSport.
Was rechtlich nicht verankert ist, führt auf eSportlicher Ebene ebenfalls immer wieder zu Problemen.
Auch wenn die Gaming-Szene tatsächlich ebenso divers, wie die gesamte Weltbevölkerung ist, die Gleichberechtigung für queere Personen ist in Deutschland noch immer nicht vollzogen. Aber, und das ist die gute Nachricht, wir nähern uns an.
Repräsentation und Aufmerksamkeit, wie sie beispielsweise die StarCraft 2 Spielerin Sasha 'Scarlett' Hostyn für nachkommende Generationen schafft, sind wichtig. Daher sind vereinzelte Initiativen zur Bemühung für mehr Diversität und Coming Outs äußerst bedeutsam. Sichtbarkeit schafft gewaltige Motivation. Doch ohne den großen Knall geht es nicht.
Genau hier kommt die Gemeinnützigkeit ins Spiel. Es gibt momentan keinen organisierten Amateur-eSport in Deutschland. Auf die großen Bühnen schafft es, wer für Unternehmen und Sponsoren lukrativ ist.
Und das sind unter den aktuellen Gegebenheiten genau die, die mit nur wenig Gegenwind auf dem Weg zum Profi rechnen müssen. Also hauptsächlich Jungen und Männer ohne LGBTIQA+-Hintergrund.
Gemeinnützigkeit als wichtiger Pfeiler zu mehr Diversität im eSport
Die nicht-Anerkennung des eSports als "offizielle" Sportart verhindert faktisch den Ausbau eines Amateurbereichs, wie auch die Oberbürgermeisterin der Stadt Köln, Henriette Reker, in ihrem Gastbeitrag für kicker eSport schrieb. Wir brauchen diesen Bereich für mehr Diversität im eSport.
Es fehlen Strukturen, um einzelne Personengruppen innerhalb eines Vereins explizit fördern zu können. Es braucht einen sozialen Unterbau. Mit der Gemeinnützigkeit des eSports könnten nicht nur finanzielle Ungleichheiten beim Einstieg vermieden werden, sondern ebenfalls Safe-Spaces für Menschen des LGBTIQA+-Spektrums geschaffen werden.
kicker eSport Talk
Ähnlich den städtischen Einrichtungen für queere Jugendliche, gäbe es hier einen Ort, an dem sie in der Gemeinschaft mit ausgebildeten Ansprechpartnern wachsen könnten. Eventuelle Versäumnisse in der Erziehung könnten durch pädagogische Begleitung und Bildung innerhalb der Gemeinschaft ausgeglichen werden. Ein mittlerweile häufig angewandtes sozialpädagogisches Modell in Schulen und Vereinen.
Der Zugang zum eSport kann durch finanzielle Unabhängigkeit innerhalb städtischer/staatlicher Förderung und finanzieller Entlastung breiter ermöglicht werden. Mehr Klubs könnten eine eSport-Sparte anbieten, ohne ihre begünstigte Vereinsstellung zu verlieren. Die Diversität könnte davon profitieren.
Momentan können wir im eSport nur auf aktuelle Ereignisse reagieren und akute, individuelle Umstände für Betroffene punktuell verbessern. Mit Turnieren für Frauen und queere Menschen die Sichtbarkeit erhöhen und Motivation säen. Durch einzelne Initiativen und Mentoren-Programme den Einstieg für manche erleichtern.
Doch nur mit weitreichenden Maßnahmen im Zuge der Gemeinnützigkeit innerhalb eines gesamtgesellschaftlichen Wandels werden wir die eigentlichen Ursachen für Ungleichbehandlung bekämpfen können.