Nicolas 'Nicolas99FC' Villalba veranschaulichte nur Sekunden nach dem Ende seines Triumphzugs, was ihn zum Erfolg geführt hatte: Der Argentinier tippte sich nach gewonnenem Grand Final mehrfach mit dem Zeigefinger gegen den Kopf, "die Mentalität" sei sein Schlüssel zum Gewinn der eChampions League gewesen.
Der FIFA-Profi von Guild Esports, dem Team von David Beckham, machte seinem Spitznamen "Iceman" von Beginn an alle Ehre: Einen 0:1-Rückstand gegen den Deutschen Umut 'Umut' Gültekin von RB Leipzig nach dem Hinspiel im Winner Bracket-Halbfinale drehte er souverän und abgeklärt in ein 4:2-Gesamtresultat.
"Iceman" gegen 'Tekkz' eiskalt
Im Winner Bracket-Finale bekam er es mit FIFA-Superstar Donovan 'Tekkz' Hunt zu tun. Dem Engländer blieben beim 1:2 und 0:2 allerdings nur wenige Chancen. Die defensive Kompaktheit und die Eiseskälte vor dem gegnerischen Tor führten 'Nicolas99FC' ins Grand Final der eChampions League 2022.
Dort traf Villalba ausgerechnet auf seinen Landsmann Matias 'matiasbonanno' Bonanno - zwei Argentinier machten die Krone des europäischen FIFA-eSports unter sich aus. Der Spieler von Team Heretics, der erst Anfang Mai den TOTS Cup gewonnen hatte, war den langen Weg über das Loser Bracket gegangen.
'Snakez' verpasst die Sensation
Ebenjener 'Nicolas99FC' hatte ihm diesen Umweg in der vorangegangen Runde erst beschert. Nun saß er ihm erneut in der Stockholmer Space Arena gegenüber. Zuvor hatte Bonanno zum Auftakt ins Finale den deutschen Überraschungsteilnehmer Noah-Laurin 'Snakez' Bartsch ausgeschaltet.
Der Bochumer war der große Außenseiter am Freitag, per Nachrückverfahren aufgrund des FGS-Ausschlusses der russischen FIFA-Profis war er in die K.o.-Phase gelangt. 'Snakez' verkaufte sich jedoch außerordentlich teuer, ein knappes 4:5 gegen 'matiasbonanno' bedeutete sein Aus in der eChampions League.
'PredatorFIFA' verspielt ein 2:0
Im Anschluss setzte Bonanno seinen Weg durch ein 4:3 gegen Ali 'PredatorFIFA' Oskoui Rad vom SV Werder Bremen, einen Elfmeter-Thriller gegen den Israeli Roee 'Feldman' Feldman sowie ein klares 6:0 gegen 'Tekkz' im Loser Bracket-Finale fort. Besonders 'PredatorFIFA' musste sich über seine Niederlage ärgern.
Nach einem 1:1 im Hinspiel hatte der Bremer im Rückspiel bereits mit 2:0 geführt, diesen Vorsprung aber noch aus der Hand gegeben. Nicht nur 'PredatorFIFA' war aus deutscher Sicht jedoch unglücklich ausgeschieden, auch 'Umut' musste frustriert ob der eigenen Versäumnisse die Segel streichen.
Zentimeter besiegeln 'Umut'-Aus
Der amtierende deutsche FIFA-Einzelmeister, der diesen Titel im VBL Grand Final am 4. und 5. Juni verteidigen kann, scheiterte an 'Feldman'. Gültekin hatte das Hinspiel mit 1:2 verloren, der Israeli setzte zum Unmut einiger Fans in den sozialen Netzwerken wieder mal auf seine Ballhalten-Taktik in den letzten Minuten.
Ein legitimes Mittel, um Führungen über die Zeit zu bringen - beliebt machte sich Feldman bei den Zuschauern damit aber nicht. Im Rückspiel war 'Umut' dem Ausgleich sehr nahe: Beim Stand von 1:1 vergab er zunächst in der 84. Minute eine hervorragende Möglichkeit, ehe der Wahnsinn seinen Lauf nahm.
'Umut' hatte auf hohes Pressing umgestellt, um dem erlaubten Zeitspiel Feldmans entgegenzutreten - und eroberte Sekunden vor dem Abpfiff das Spielgerät. Eine Flanke von der linken Seite fand den Kopf seines Stürmers, der Ball landete an der Unterkante der Latte und prallte nur Zentimeter vor der Torlinie wieder ins Feld.
"Bin gerade am Ende wie noch nie"
'Umut' war die Gebrochenheit nach dem wenig später erfolgenden Abpfiff anzusehen, er konnte die Tränen nicht zurückhalten. "Ich bin gerade am Ende wie noch nie, ich kann immer noch nicht aufhören zu weinen", schrieb Gültekin nach seinem Aus auf Twitter. "Ich will das wirklich abhaken, weiß aber nicht wie."
Aus dem Tal der Tränen zurück ins große Grand Final der eChampions League: Vor 'matiasbonnano' lag eine Herkulesaufgabe. Der Heretics-Profi musste 'Nicolas99FC' nicht nur einmal in Hin- und Rückspiel schlagen, sondern gleich zweimal. Als Finalist aus dem Loser Bracket musste er zunächst einen Bracket Reset erzwingen.
Grand Final Reset und Eckenvariante
Dieses Kunststück gelang Bonanno, er schlug Villalba mit 2:1 und 1:0 - das Grand Final ging in die zweite, entscheidende Runde. Am Drücker war weiterhin 'matiasbonanno', der sich im Hinspiel einen 2:0-Sieg erkämpfte und beste Karten auf den Gewinn hatte. Doch der "Iceman" ließ sich nicht aus dem Konzept bringen.
'Nicolas99FC' behielt die Ruhe, ging im ersten Durchgang des Rückspiels mit 1:0 in Führung und erhöhte anschließend sukzessive den Druck. Dem 2:0 in der 54. Minute folgte nur kurz darauf das 3:0, bei dem er eine seiner Spezialitäten präsentierte: eine Eckenvariante, die zuvor bereits zum Torerfolg geführt hatte.
Dabei schlug Villalba den Eckball in den Rückraum des Sechzehners, von wo aus das Spielgerät halbhoch in Richtung des Tors befördert wird. Ein Mitspieler bewegt sich unterdessen genau dorthin und bugsiert den Ball volley am meist chancenlosen Keeper vorbei. Das 3:0 war gleichbedeutend mit der Vorentscheidung.
'Nicolas99FC' schraubt noch auf 7:0
Bonanno warf in der Folge alles nach vorne, lief aber ein ums andere Mal in die Konter von 'Nicolas99FC'. Der Guild-Spieler kannte kein Erbarmen und schraubte das Rückspielergebnis gegen einen geschlagenen 'matiasbonanno' noch auf 7:0 - die restlichen vier Treffer erzielte er in den letzten zehn Minuten.
Wer nach dem Abpfiff einen Jubelsturm erwartet hatte, wurde eines Besseren belehrt: 'Nicolas99FC' blieb auch im Triumph ruhig und bedacht, erst bei der Pokalübergabe waren stärkere Gefühlsregungen zu erkennen. Passend zu seinem Auftritt fiel auch die Einschätzung seiner eigenen Finalleistung aus.
"Ich glaube, es war ein gutes Comeback", gab 'Nicolas99FC' schmunzelnd zum Besten, bevor er besagte "Mentalität" zum ausschlaggebenden Faktor erklärte. Der "Iceman" gewinnt völlig verdient die eChampions League, nachdem er mit 'Umut', 'Tekkz' und 'matiasbonanno' die drei wohl schwersten Gegner eliminierte.
