Bundesliga

Neustädter: "Damals musste Heldt mit dem Sparschwein rumlaufen"

Russischer Nationalspieler im großen kicker-Interview, Teil I

Neustädter: "Damals musste Heldt mit dem Sparschwein rumlaufen"

Russland, Schalke und mehr: Roman Neustädter über Höhen und Tiefen.

Russland, Schalke und mehr: Roman Neustädter über Höhen und Tiefen. imago (3)

Herr Neustädter, in Istanbul, bei Fenerbahce und auf Schalke ist so viel los. Womit fangen wir da an?

Hm. Vielleicht mit dem Guten?

Und was ist das Gute?

Ich kann eigentlich nur Positives erzählen über alle Vereine, in denen ich gespielt habe. Sei es in Mainz, wo ich den Sprung zu den Profis geschafft habe, oder in Gladbach, wo ich unter Lucien Favre zum Stammspieler in der Bundesliga wurde. Und dann kamen vier turbulente Jahre auf Schalke...

Also reden wir erst über Schalke?

Ja klar!

Sie waren vier Jahre beim Verein, sind Vierter, Dritter, Sechster und Fünfter geworden. Gemessen an der Achterbahnfahrt in den letzten drei Jahren war das ja noch recht konstant, also konstant gut. Wo gehört Schalke wirklich hin?

Auf jeden Fall in die Champions League! Als ich zu Schalke kam, waren die Ansprüche extrem hoch, sei es von den Fans oder den Medien. Die drei großen Klubs waren (oder sind) Bayern, Dortmund und Schalke. In meinen ersten beiden Jahren haben wir es in die Champions League geschafft, dann zweimal "nur" in die Europa League und es hieß, die Saison sei vergeigt worden. Das ist für Manche nicht so einfach, glaube ich. Man muss Schalke erst verstehen, um mit dem ganzen Drumherum klarzukommen.

Und haben Sie Schalke verstanden?

Ehm. (lacht) Huub Stevens hat mich damals geholt und ich habe, wie die Mannschaft, sehr ordentlich gespielt. Dann haben wir auf einmal keine Spiele mehr gewonnen, Stevens musste gehen und trotzdem sind wir Vierter geworden und in der Champions League gelandet. Im nächsten Jahr folgte Platz 3 dank der besten Rückrunde der Vereinsgeschichte. In der dritten Saison ging es drunter und drüber, mit dem Trainerwechsel zu (Roberto) di Matteo - das war alles ziemlich chaotisch. Keine Ahnung, was da passiert ist.

Sie haben gesagt, das Erreichen der Europa League wurde damals als vergeigte Saison abgestempelt. Was ist denn dann diese Saison wert, wenn es - ausgenommen bei einem Pokalsieg - definitiv nicht für die Europa League reicht?

Roman Neustädter

Schaffte es mit Schalke zweimal in die Champions League: Roman Neustädter (re.). imago

Das weiß ich nicht, ich musste es ja nicht erleben. (lacht) Ich habe mich letztes Jahr riesig gefreut für Schalke. Was in dieser Saison passiert ist, weiß ich auch nicht, da kommen viele Faktoren zusammen - auf einmal findet man sich da unten wieder und versteht die Welt nicht mehr. (Domenico) Tedesco, das hat man gesehen, hat wirklich alles versucht, aber, und das meine ich nicht böse, der Typ war am Ende einfach platt. Wenn ich mir das angeschaut habe, dachte ich nur "Oh Gott, der Arme, der ist ja platt". Der war wirklich ausgelaugt, aber das ist total normal und vollkommen menschlich.
Ich hoffe nur, dass sie sich jetzt schnell da unten befreien und dann neu starten. Man darf nicht vergessen, dass der Verein sehr viel Geld ausgegeben hat in den letzten drei Jahren. Als ich dort war, musste Horst Heldt (damaliger Sportvorstand, d. Red.) mit dem Sparschwein rumlaufen. (lacht) Da waren keine 20-Millionen-Transfers machbar - obwohl wir Champions League gespielt haben.

Sie mussten bei den Fans oft als Sündenbock herhalten, wenn es mal wieder nicht so lief.

Vielleicht wegen meiner Spielweise...

Wie meinen Sie das?

Also zunächst mal: Das war ja keine Kritik, das waren schon persönliche Beleidigungen, ganz weit unter der Gürtellinie. Sei es mein Laufstil oder etwas anderes, jeder Spieler hat eine andere Spielweise. Ich weiß, dass ich nicht das allergrößte Talent habe, ich bin kein Gattuso oder Pirlo, aber ich versuche immer, mein Bestes zu geben und bin ein absoluter Teamplayer. Keine Ahnung, ab wann die Wahrnehmung so negativ wurde, ich hatte irgendwann das Gefühl, als Mittelfeldspieler hinten verteidigen, im Mittelfeld den nächsten Angriff einleiten und vorne das Tor machen zu müssen. Das mach erst mal… Diese Sprüche gehen an keinem so vorbei, aber die Jungs haben immer hinter mir gestanden.

Ab wann konnten Sie über derlei Kommentare hinwegsehen?

Roman Neustädter

Neustädter mit Ex-Trainer André Breitenreiter. imago

Mich hat es zu der Zeit nicht so krass mitgenommen, es war aber natürlich nicht lustig. Ich wusste halt, woran ich bin. Egal, welcher Trainer in den vier Jahren da war, ich habe immer gespielt. Dann kann ich ja so schlecht nicht gewesen sein. Wenn jemand bessere Leistung bringt als ich, dann setze ich mich gerne auf die Bank und sage: "Junge, du hast es verdient" - so ist das in dem Geschäft. Ich weiß noch, als Herr Breitenreiter (Schalke-Trainer in der Saison 2015/16, d. Red.) im Trainingslager zu mir kam und meinte, er hätte mich ganz anders eingeschätzt. "Wie denn?", habe ich gefragt, "Sie können ruhig ehrlich zu mir sein, ich bin alt genug." Und dann sagte er: "Ich dachte, du bist so faul und machst nichts, die Wahrnehmung war immer so negativ. Aber du gibst richtig Gas und stehst gut." Tja, so war das eigentlich immer.

Hat Sie die Zeit im "besonderen" Schalker Umfeld generell gelehrt, Kritik von außen nicht immer zu ernst zu nehmen?

Auf Schalke wird immer irgendwas gesucht. Als wir im zweiten Jahr Dritter wurden, hieß es auf einmal "Oh, die Katze hat kein Futter" und plötzlich war trotz des sportlichen Erfolgs wieder Tohuwabohu. Natürlich verschafft dir das auch einen gewissen Ansporn und es ist besser, als wenn es um nichts geht, oder sich keiner für dich interessiert. Aber ein bisschen Ruhe wäre mal ganz nett gewesen.

Ihr Abschied auf Schalke verlief ebenfalls nicht ganz glatt. Sie sagten damals, "Herr Heidel" habe Sie nicht wirklich respektiert, die "Pottpalme" verabschiedete sich daraufhin mit einem "Glück Auf" von den Fans. Wären Sie gerne geblieben?

Ich hatte von Horst Heldt noch ein Vertragsangebot vorliegen. Als Christian Heidel übernommen hat, habe ich mich einmal mit ihm in Mainz getroffen und ihm das Angebot vorgelegt. Er sagte, er würde auf mich zurückkommen. Dann kam ewig lange keine Antwort, auf einmal war schon die EM und ich habe mich dazu entschlossen, das zu vergessen. Ich war keine 18 mehr und das musste ich mir dann nicht antun. Man kann anrufen und sagen "Das war's" oder "Wir planen nicht mit dir". Ich bin nicht nachtragend, aber man sollte offen und ehrlich miteinander sein. Mein Wechsel ins Ausland war mit die beste Entscheidung in meinem Fußball-Leben.

Sie haben sich 2016, ungefähr zur selben Zeit des Schalkes-Abschieds, nach zwei Länderspielen mit dem DFB für ihr Geburtsland Russland entschieden, waren dann aber im größten Moment, der Heim-WM 2018, plötzlich nicht mehr gefragt. Was hat die Nachricht von Trainer Stanislav Cherchesov mit Ihnen gemacht?

Roman Neustädter

Neustädter beim Länderspiel gegen Deutschland im November 2018. imago

Ich wollte es nicht wahrhaben, war sehr, sehr niedergeschlagen und sauer. Wir sind mit Fenerbahce Zweiter geworden, ich habe jedes Spiel gemacht und nach der Vorbereitung meinte der Trainer, es reicht nicht. Ich dachte erst, das sei ein Witz gewesen, konnte die Entscheidung nicht wirklich verstehen. Trotzdem habe ich mich später für die Jungs gefreut, weil Russland so krass unterschätzt wurde. Wie das Land dann mitgefiebert hat - naja, da wäre ich gerne ein Teil von gewesen.

Was steckt hinter dem angeblichen Disco-Besuch, für den der russische Verband Sie und Konstantin Rausch damals bestraft hatte? War das der Grund für die Nicht-Berücksichtigung?

Nein. Der Rausch und ich waren einfach nur essen und jemand hat ein Bild gemacht, als wir rausgegangen sind. Wie es dann halt so läuft...

Nach der WM hat Cherchesov Sie für jedes Länderspiel nominiert. Fragt man sich da nicht: "Warum jetzt und nicht zur WM?"

Es hat mich schon gewundert, warum ich auf einmal wieder dabei war. Ich habe dem Trainer auch gesagt, dass ich damit nicht gerechnet hatte. Aber er hat das mit Leistung begründet, mir erklärt, dass ich mein Zweikampfverhalten verbessert habe, in mehr Zweikämpfe gehe und so weiter. Dann war alles wieder super.

Interview: Mario Krischel

Lesen Sie am Donnerstag Teil II des großen kicker-Interviews mit Roman Neustädter. Darin spricht der 31-Jährige über sein Leben in Istanbul, Urlaub mit Atsuto Uchida und erklärt, warum er bei Fenerbahce vor dem Absprung steht.