Bundesliga

Florian Kohfeldts Kehrtwende beim SV Werder Bremen: "Unser Repertoire erweitert"

Bremen: Neue Argumente, neue Flexibilität

Kohfeldts Kehrtwende: "Unser Repertoire erweitert"

Perspektivenwechsel: Werder Bremens Trainer Florian Kohfeldt.

Perspektivenwechsel: Werder Bremens Trainer Florian Kohfeldt. imago

Ob der SV Werder von seiner auf Ballbesitzfußball ausgelegten Spielidee in begründeten Ausnahmefällen nicht auch mal abweichen sollte, wurde bereits während der Hinrunde öffentlich diskutiert. Beispielsweise rund um die Ligaduelle mit den Branchenführern Bayern und Dortmund, die jeweils 1:2 verloren gingen. Damals, also vor gerade mal zwei Monaten, schien eine bestimmte Form von Flexibilität jedoch noch beinahe verpönt an der Weser. Trainer Florian Kohfeldt und seine Profis betonten allenthalben, wie wichtig es sei, an der ureigenen Idee festzuhalten und damit "die Wahrscheinlichkeit auf Siege zu erhöhen", auch gegen Spitzenteams. Angesichts dessen ist es schon überaus bemerkenswert, wie der Coach jetzt argumentiert - nachdem Kellerkind Augsburg mit einer untypischen Kontertaktik und der niedrigsten Bremer Ballbesitzquote in dieser Bundesliga-Saison (40 Prozent) mit 4:0 aus dem Stadion gefegt wurde.

"Wir haben unser Repertoire erweitert", stellt Kohfeldt fest und bezieht diese Erkenntnis auch auf den denkwürdigen Pokalcoup in Dortmund. Bei diesem bislang größten Erfolg in dieser Spielzeit kam Werder sogar auf nur 37 Prozent Ballbesitz - gegenüber 48 Prozent bei der knappen Niederlage in der Liga. Für den damaligen Wert übrigens hatte Kohfeldt sein Team Mitte Dezember noch ausdrücklich gelobt. "Mutig" nannte der Fußballlehrer den Auftritt seinerzeit. Nun formuliert er über den Triumph im Pokal-Achtelfinale: "Die Mannschaft hat sich getraut, gegen Dortmund auch mal 70 Minuten nur zu verteidigen."

Kohfeldts schneller wie praktischer Perspektivenwechsel

Was bedeutet: Der stets eingeforderte und natürlich immer wichtige "Mut" kann sich auf dem Rasen in ganz gegensätzlichen Verhaltensweisen dokumentieren - und taugt somit keineswegs als argumentative Grundlage für eine ganz bestimmte Spielart. Ein wenig schmunzeln darf man da als Zuhörer über Kohfeldts ebenso schnellen wie praktischen Perspektivenwechsel schon. Und sich die Frage stellen, ob der Werder-Trainer einfach nur seine Kommunikation den Umständen anpasst oder tatsächlich eine gedankliche Veränderung eingesetzt hat.

Zweifellos darf Kohfeldt für sich in Anspruch nehmen: Zum Selbstzweck hat er die Idee vom Ballbesitzfußball zu keiner Zeit erhoben, sondern immer als Mittel zum größtmöglichen Erfolg behandelt. Den Satz, der ihm jetzt mit hörbarer Freude über die Lippen kam, hätten ihm viele aber trotzdem kaum zugetraut: Man habe bewiesen, "dass wir Spiele auch anders gewinnen können als nur über guten Fußball". Dies als eine Form von Weiterentwicklung zu begreifen, ist fraglos der richtige Ansatz. Denn: Es macht Max Kruse und Kollegen noch schwerer ausrechenbar.

Kohfeldt drückt das so aus: "Wir haben Schlüssel gefunden, um Spiele auch ohne unsere eigentliche Spielidee zu gewinnen." Dabei ist es eine altbekannte Tatsache, dass sich Partien auch mit wenig Ballbesitz und über Konter wirklich dominieren lassen. Der Pragmatiker Kohfeldt wusste das immer: Aber: Seine Profis brauchten für diese Erkenntnis womöglich erst die eigene Erfahrung beim 4:0 gegen Augsburg. Darauf schließen lässt jedenfalls auch der Hinweis des Trainers, er werde das Team künftig bei passender Gelegenheit an die jüngsten Auftritte erinnern - um damit die Überzeugung in eine ähnliche taktische Marschroute zu stärken.

Ballbesitzfußball liegt der Mannschaft nun mal im Blut

Dass dies Ausnahmesituationen bleiben sollen, ist zwischen allen Beteiligten unstrittig. Ballbesitzfußball liegt der Mannschaft nun mal im Blut, wie Davy Klaassen ebenfalls in dieser Woche sicherheitshalber klarstellte. Diese DNA, die auch Kohfeldts Idealvorstellung entspricht, will der Trainer ganz gewiss nicht verändern, im Gegenteil. Doch das Wissen und die Überzeugung, bei Bedarf auch erfolgreich zu anderen Mitteln greifen zu können, dürften bestimmt nicht schaden.

Thiemo Müller

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