Als einen "Akt purer Verzweiflung und Machtlosigkeit" nannte der "Guardian" die Proteste der Fans, in deren Folge zwei Polizisten verletzt, ein Stadion gestürmt und nicht irgendein Premier-League-Spiel verlegt wurde - deren wahres Ziel aber unerreichbar war: Die milliardenschwere US-Besitzerfamilie um die beiden Vorstandschefs Joel und Avram Glazer, die United aus Sicht der Anhänger seit nunmehr 16 Jahren ausnimmt.
Klubikone Keane ist sicher: "Das war nur der Anfang"
Der gescheiterte Versuch der Gründung einer Super League war für viele nur ein weiterer Beweis dafür, dass es den Klubbesitzern nur um die persönliche Bereicherung gehe, ihnen der ruhmreiche Klub relativ egal sei. Seitdem hatten United-Fans mehrfach protestiert (auch auf dem Trainingsgelände in Carrington), der Aufmarsch am Sonntag war der - wahrscheinlich nur vorläufige - Höhepunkt. "Sie tun es, weil sie den Klub lieben", sagte Klubikone Roy Keane bei "Sky Sports": "Diesen Fans ist es todernst damit, und das war nur der Anfang, das kann ich garantieren. Sie haben die Schnauze voll."
Manchester United 2005: Hochverschuldet über Nacht
Wer die tiefsitzende Wut verstehen will, muss die Hintergründe der Übernahme des Klubs durch die Glazer-Familie im Jahr 2005 kennen. Zu diesem Zeitpunkt war das börsennotierte Manchester United ein schuldenfreies Unternehmen. Das änderte sich schlagartig: In einem sogenannten Leveraged Buyout legten die Glazers etwa 520 des auf 790 Millionen Pfund geschätzten Kaufpreises auf ihren neuen Verein um. Über Nacht war Manchester United hochverschuldet.
Während der Klub seitdem Jahr für Jahr darum bemüht war, den kolossalen Schuldenberg abzutragen, der im März 2021 weiterhin stolze 455,5 Millionen Pfund betrug, machten sich die Glazers, man kann es nicht anders formulieren, ihre Taschen auf seine Kosten voll - und das ziemlich unverhohlen. Mehrere Hundert Millionen Pfund schöpfte die Familie über die Jahre an Gewinnen und Dividenden ab.
Die Übernahme hat ManUnited 1,5 Milliarden Pfund gekostet
Bei Stadtnachbar Manchester City buttert Scheich Mansour so viel Geld wie nur möglich in den Verein (wenn auch aus nicht weniger fragwürdigen Gründen), bei United ziehen die Glazers hingegen so viel wie möglich ab. Schätzungen zufolge hat die Übernahme den englischen Rekordmeister inzwischen über eine Milliarde Pfund gekostet. Laut "The Athletic" sind es gar 1,5 Millarden, die sich aus Zinszahlungen, Schulden und Dividenden zusammensetzen.

Klare Botschaft: Ein großer Teil der Fans von Manchester United fordert die Besitzer zum Verkauf auf. picture alliance
Schon als die Familie im Juli 2005 erstmals das Old Trafford besuchte, das mittlerweile im Übrigen dringend eine Generalüberholung nötig hätte, musste sie von der Polizei gegen wütende Fans geschützt werden. Auch bei den Protesten am Sonntag, denen sich bis zu 10.000 Menschen anschlossen, wurden die Glazers wieder wüst beschimpft. Kein Wunder, dass sich die Besitzer nur sehr selten auf der anderen Seite des Atlantik blicken ließen.
In den Kader wurde reichlich investiert - aber häufig ohne Plan
An fehlenden Investitionen in den Kader liegt es gleichwohl nicht, dass die Red Devils seit nunmehr acht Jahren ohne Meistertitel dastehen. Dass United unter der Führung der Glazers sehr, sehr viel Geld für neue Spieler ausgegeben hat, steht völlig außer Frage. Dass das Geld vielfach nicht gut angelegt war, allerdings auch. Was wiederum daran lag, dass die Besitzer offenbar keinen Wert darauf legten, jemanden mit dem nötigen Fußball-Sachverstand auf einer entsprechenden Position zu installieren.
Woodward machte United zum weltweiten Umsatzgiganten
So war der frühere Banker und Buchhalter Ed Woodward, der seinen Rückzug zum Jahresende angekündigt hat, jahrelang außergewöhnlich erfolgreich darin, die Marke MUFC zur kommerziellen Supermacht zu machen und ihr auf der ganzen Welt immer neue regionale Sponsoren und Umsätze zu beschaffen. Auf dem Transfermarkt regierte jedoch meist die Ohnmacht. Allzu oft nahm Woodward das, was ihm die Super-Berater wie Mino Raiola hinhielten. Ob es nun zum United-Kader passte oder nicht. Hauptsache es war teuer und gut inszeniert (Stichwort: Alexis Sanchez am Klavier).

Im Brennpunkt der Kritik: Avram und Joel Glazer (r.). picture alliance
Dabei ist es natürlich auch kein Zufall, dass die Unzufriedenheit vieler Fans wieder größer wurde, je mehr Uniteds sportliche Strahlkraft zu schwinden begann. Die Erfolge der glänzenden Ferguson-Ära hatten vieles unter der Oberfläche gehalten. Wobei: Dass er die Glazer-Familie stets verteidigte, war für nicht Wenige eine Delle im strahlenden Denkmal des 2013 zurückgetretenen Sir Alex. Auch Ole Gunnar Solskjaer musste sich ähnliche Kritik schon anhören, betonte aber zuletzt, die Stimme der Fans "müsse gehört werden".
Das Super-League-Debakel war der Funken, der die Wut wieder explodieren ließ. Proteste zog das gescheiterte Unternehmen auch in Liverpool, bei Arsenal, Chelsea und Tottenham nach sich. Doch nirgendwo ist die Unzufriedenheit mit den Eigentümern größer als bei United (Newcastle gehörte ja nicht zu den Super-League-Klubs).
"Angewidert, beschämt und wütend": Entschuldigung abgelehnt
Er akzeptiere, dass künftig eine bessere Kommunikation mit den Fans nötig sei, erklärte Mit-Besitzer Joel Glazer in seiner "Entschuldigung" nach dem Super-League-Beben. Bei einem eilends einberufenen "Fan Forum" am Freitag ließ er sich deshalb jedoch nicht blicken. Dort wurde dem scheidenden Woodward ein offener Brief des "Manchester United Supporters' Trust" verlesen, in dem es hieß, man sei "angewidert, beschämt und wütend" wegen der Super-League-Pläne, habe "null Vertrauen" in die Besitzer und lehnte Glazers Entschuldigung daher ab.
Dass die tiefen Gräben zwischen den beiden Parteien irgendwann überwunden werden können, scheint zweifelhaft. Und selbst ein neuerlicher Burgfrieden könnte schwer zu erreichen sein. Bei den United-Fans hat die Glazer-Familie jegliches Vertrauen längst verspielt - nicht erst seit dem Super-League-Fiasko.
"Sie würden ein Vermögen machen, wenn sie diesen Fußballklub verkaufen", sagte Klublegende Gary Neville am Sonntag. Die Zeit dafür sei reif. Auch die Fans träumen von einem Verkauf und Reformen nach deutschem Vorbild (Stichwort 50+1). Dass die Glazers da mitspielen, scheint unwahrscheinlich. Berichten zufolge denken sie nicht daran, ihre Melkkuh ManUnited abzugeben.