Bundesliga

Matthäus: "Die Stadt war in Aufruhr!"

Der Weltfußballer erinnert sich an die Klassiker zwischen seinen Ex-Klubs

Matthäus: "Die Stadt war in Aufruhr!"

Er trug erst das Trikot von Borussia Mönchengladbach und wechselte dann zum FC Bayern: Lothar Matthäus.

Er trug erst das Trikot von Borussia Mönchengladbach und wechselte dann zum FC Bayern: Lothar Matthäus. imago (2)

kicker: Herr Matthäus, Gladbach gegen Bayern - ist die Begegnung für Sie immer noch der Evergreen unter den Spitzenspielen der Bundesliga?
Lothar Matthäus: Für mich persönlich natürlich, ich habe ja für beide Mannschaften gespielt. Im Endeffekt unterm Strich auch erfolgreich für beide. Bei den Bayern habe ich Titel geholt, mit Gladbach gute Platzierungen. Es waren interessante, tolle Jahre bei der Borussia. Natürlich waren die Jahre in München erfolgreicher, aber trotzdem war ich für beide Klubs mit Herzblut dabei. Ich verfolge meine Ex-Klubs überall. Wenn ich mal nicht im Lande bin, schaue ich zuerst auf die Ergebnisse der beiden Vereine.
Es ist auch interessant und schön für mich, dass es in den letzten zwei, drei Jahren wieder so ein Topspiel geworden ist. Für die Bayern ist das ja normal, aber Gladbach hat in den vergangenen Jahren hervorragend gearbeitet. Eine tolle Arbeit von Lucien Favre, jetzt wird sie von Andre Schubert fortgesetzt. Deshalb ist es auch am Samstag wiederum ein Topspiel. Zwar mit einem relativ großen Abstand, aber ein Topspiel. Da werden Erinnerungen an die 70er Jahre wach, als Mönchengladbach auf Augenhöhe mit Bayern München war.

Ohne Gladbach hätte es vielleicht keinen deutschen Weltfußballer gegeben.

kicker: Drücken Sie noch immer den Gladbachern die Daumen und warum?
Matthäus: Ich habe einfach eine enge Verbindung zu dem Verein. Ich habe dort meine Karriere begonnen. Ohne Gladbach hätte es vielleicht keinen deutschen Weltfußballer gegeben.

kícker: Ihre Profi-Karriere begann am Bökelberg. Was zog den damals 18-jährigen Franken Matthäus in den Westen und nicht 200 Kilometer gen Süden?
Matthäus: Ich war immer Fan von Borussia Mönchengladbach! Schon seit Kindesbeinen. Ich war nie Fan von Nürnberg oder Bayern München. Das hatte sicher auch damit etwas zu tun, dass meine ganze Familie bei Puma gearbeitet hat und die waren eben Ausrüster der Gladbacher. Das war damals auch eine sehr erfolgreiche Zeit bei der Borussia mit großen Namen wie Günter Netzer, Jupp Heynckes, Berti Vogts, um jetzt nur einige wenige zu nennen. Es war einfach meine Sympathie für diesen Verein.

Lothar Matthäus und Jupp Heynckes

Weihnachtsfeier von Borussia Mönchengladbach 1979: Lothar Matthäus (li.), der Weihnachtsmann und Trainer Jupp Heynckes. imago

kicker: Gladbach gegen Bayern - hat das Duell auf Grund der unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungen nicht inzwischen etwas von einer Partie zwischen David und Goliath?
Matthäus: Die Unterschiede zwischen den beiden Klubs gab's früher auch schon. Hier der Bökelberg, dort das Olympiastadion. Die Münchner hatten ganz andere Einnahmemöglichkeiten. Ich habe die Unterschiede ja selbst bei meinem Wechsel 1984 erlebt. Auch wenn die Bayern damals noch nicht so groß waren, wie es heute der Fall ist. Damals kann ich mich an das 10.000. Mitglied im Klub erinnern - jetzt haben sie 270.000! Ich weiß noch, dass damals der Trikotsponsor Commodore 1 Million DM zahlte, heute haben sie 25 bis 30 Millionen Euro! Und auch die Gehälter von damals muss man heute wohl mit 25 multiplizieren. Das hat sich alles enorm entwickelt.
Es waren früher ganz andere Dimensionen - auf beiden Seiten. Auch wenn die Gladbacher vielleicht damals nicht ganz so weit entfernt waren. Aber als ich nach München wechselte, war dort schon alles eine Hausnummer größer. Vielleicht sogar zwei. Aber: Die Borussia wollte mich unbedingt halten, vor allem Jupp Heynckes, und ich hätte genau so viel verdienen können wie dann in München. Da hatten sich die Gladbacher sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Zum Schluss hatten sie mir ein Angebot unterbreitet, das sogar höher war als das der Bayern. Dennoch bleibt es heute ein Spiel zwischen David und Goliath. Gladbach ist die kleine Stadt am Niederrhein - Bayern München die große Nummer in der Champions League.

Es ist das Spiel des Jahres für die Mannschaft, die Fans, den Klub und die Stadt.

kicker: Warum ist denn in den letzten Jahren ausgerechnet die Borussia so etwas wie ein Angstgegner der Bayern? Nur gegen die Gladbacher haben die Bayern in der Bundesliga seit 2011 keine positive Bilanz.
Matthäus: Ich muss sagen, dass ich nicht so viel von solchen Bilanzen halte. Aber Lucien Favre hat das System der Bayern ein bisschen entschlüsselt. Gladbach hat technisch hervorragende Spieler, sie haben die Räume sehr eng gemacht, sie haben so etwas wie ein Spinnennetz konstruiert, in dem die Bayern sehr selten Lösungen gefunden haben. Deshalb hatten die Münchner ihre Probleme.

kicker: Glauben Sie, dass die traditionelle Rivalität trotz unterschiedlicher Generationen immer erhalten bleibt?
Matthäus: Die bleibt! Es ist das Spiel des Jahres für die Mannschaft, die Fans, den Klub und die Stadt. Die Borussen-Fans sind nicht gut auf Bayern München zu sprechen. Da ist einfach zu viel passiert, das wird immer so bleiben. Da lebt auch die Vergangenheit auf. Auch wenn der Hass nicht mehr so groß ist wie früher. Das war früher anders in den Stadien.

kicker: Wie haben Sie die Rivalität in Ihren zehn Spielen für Gladbach empfunden? Was war in den Begegnungen gegen die Bayern anders als sonst?
Matthäus: Ach, das fing damit an, dass das Stadion Wochen vorher ausverkauft war. Die Atmosphäre war heiß, da war die Stimmung gegen die arroganten, reichen Bayern. Das war früher intensiver. Als Spieler hat man sich auf dieses Spiel gefreut, weil mehr Feuer drin war. Man wurde aufgepusht durch die Medien, von den Fans, auf dem Trainingsplatz. Das Spiel war nicht allein am Samstagnachmittag - das begann schon ein paar Tage vorher. Die Stadt, die ganze Umgebung hat mitgefiebert! Die Stadt war in Aufruhr!

Lothar Matthäus

Pokalfinale 1984, Elfmeterschießen: Gladbachs Lothar Matthäus verschießt gegen seinen neuen Klub Bayern München vom Punkt gegen Torhüter Jean-Marie Pfaff. imago

kicker: Welches Ereignis war für Sie der prägendste Moment im Gladbacher Dress?
Matthäus: Natürlich war da dieser verschossene Elfmeter im Pokalfinale gegen die Bayern - als mein Wechsel nach München schon feststand. Das war einer der Momente, die ich gerne aus meiner Karriere löschen möchte. Aber dann erinnere mich noch an mein Tor beim 1:1 in München in der Saison 1981/82. Ein Schuss aus 30 Metern gegen Walter Junghans.

kicker: Und welcher war es später, als Sie das Bayern-Trikot trugen und gegen "ihre geliebten" Gladbacher antraten?
Matthäus: Da denke ich an meinen Schuss beim 6:0 am 34. Spieltag der Saison 1985/86. Es war mein schnellstes Tor in der Bundesliga überhaupt nach zwölf Sekunden. Dieser Sieg hat uns dann auch zum Meister gemacht, weil Werder Bremen damals gleichzeitig in Stuttgart verloren hat.

Das wichtigste für mich war eigentlich, dass ich, obwohl ich schon lange bei den Bayern war, immer einen guten Kontakt zu den Leuten bei Borussia Mönchengladbach hatte.

kicker: Was war Ihre schönste Anekdote aus den Spielen zwischen Gladbach und Bayern?
Matthäus: Ach, das ist alles verdammt lang her. Das wichtigste für mich war eigentlich, dass ich, obwohl ich schon lange bei den Bayern war, immer einen guten Kontakt zu den Leuten bei Borussia Mönchengladbach hatte. Sowohl im sportlichen Bereich, im medizinischen Bereich - es war immer ein freundschaftlicher Kontakt da. Ich denke da auch an die kürzlich gehaltene Laudatio von Jupp Heynckes in Frankfurt, als er Anfang November als "Legende des Sports" ausgezeichnet wurde. Er hatte ja damals nicht verstanden, warum ich zu den Bayern gegangen bin - drei Jahre später war er dann auch in München...
Mein Verhältnis zu den Leuten bei der Borussia ist nach wie vor sehr herzlich. Bis auf ein paar Bekloppte, die auch heute noch glauben, ich hätte den Elfmeter im Pokalfinale damals absichtlich verschossen. Einen Elfmeter verschießt man nie absichtlich, erst recht dann nicht, wenn man die Chance hat, Pokalsieger zu werden. Vor allem dann nicht, wenn man als Kind schon in Gladbacher Bettwäsche geschlafen hat...

Vorschau

kicker: Was war für Sie das Besondere, das Spezielle am alten Bökelberg? Den neuen Borussen-Park haben Sie als Spieler ja nicht mehr erlebt.
Matthäus: Der Bökelberg war wie eine Festung. Selbst wenn er nicht ausverkauft war, herrschte eine unglaubliche Atmosphäre. Selbst bei 15.000 Zuschauern war eine tolle Stimmung im Stadion. Es war wie in einer Familie, der Bökelberg war wirklich unser Wohnzimmer. Wir waren uns sehr nahe mit den Fans. Ich weiß noch, dass ich nach meinen Toren am Zaun hochgeklettert bin, oder nach den Spielen mit dem leider verstorbenen Trommler Manolo gefeiert habe. Die Verbindung zwischen den Spielern und den Fans war sehr, sehr nahe. Die Fans haben immer zur Borussia gestanden. Auch ein Grund für unsere Erfolge. Das Verhältnis war schon einzigartig. Die Enge des Stadions, die steil nach oben gehenden Tribünen - das war wie ein Kessel, wie das Aztekenstadion von Mexiko, nur in klein.

Lothar Matthäus

Als Sky-Experte vor der Nordkurve in Mönchengladbach: Lothar Matthäus. imago

kicker: Was haben Sie gedacht, als Gladbach-Fans Sie als "Lothar Moreno" verunglimpft haben?
Matthäus: Daran kann ich mich überhaupt nicht erinnern, keine Ahnung. Ich habe nur noch die "Judas-Rufe" im Kopf, nachdem ich den Verein gewechselt hatte. Der Empfang am Bökelberg war dann nicht von Freundschaft geprägt. Ein Riesenpfeifkonzert bei jedem Ballkontakt. Ich musste zwar damit rechnen und dennoch war ich überrascht, weil ich zuvor ja auch fünf Jahre Publikumsliebling war. Da hat man gemerkt, wie schnell aus Liebe Hass werden kann. Aber das ist nach 30 Jahren nicht mehr der Fall. Ich werde inzwischen als Sky-Experte in Mönchengladbach sehr, sehr freundlich empfangen. Nicht nur vom Präsidenten, sondern auch von den Fans.

kicker: Glauben Sie, dass die Borussen auch am Samstag den scheinbar übermächtigen Bayern Paroli bieten können?
Matthäus: Die Gladbacher werden zwar weniger Ballbesitz haben, aber sie haben es in den letzten Jahren sehr geschickt gemacht. Sie haben hinten wenig zugelassen und vorne ist die Borussia mit ihren schnellen, technisch guten Spielern auch gegen Bayern immer für ein Tor gut. Wenn man hinten gut steht, hat man auch die Chance, gegen die Bayern zu gewinnen. Nach den vier Punkten in der Vorsaison und dem Auswärtssieg in München wird man versuchen, die erfolgreiche Serie unter Schubert fortzusetzen. Es kann ihnen gelingen. Sicher sind die Bayern in der Favoritenrolle, aber Pep Guardiola weiß, dass er einen ernsthaften Gegner vorfindet.

kicker: Ihr Tipp für Samstag?
Matthäus: Ich kann da schlecht meinen Tipp bei Sky vorwegnehmen. Aber ich tippe auf ein Unentschieden. Ich hoffe, mit einigen Toren.

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