Int. Fußball

Manchester City vor dem Spiel gegen Gladbach in der Analyse

Guardiola und die Taktikkniffe

ManCity in der Analyse: Was hat es mit den 15 Pässen auf sich?

Führte ManCity zu 18 Pflichtspielsiegen in Serie: Pep Guardiola.

Führte ManCity zu 18 Pflichtspielsiegen in Serie: Pep Guardiola. imago images

Beide Fäuste sind geballt, der Zeigefinger der rechten Hand schnellt in Richtung eigener Trainerbank. Ein normaler Jubel von Pep Guardiola? Nein. Natürlich freut er sich auch über das Tor durch Sergio Aguero zum 1:0 im Community Shield 2018 gegen Chelsea. Doch speziell der eine Pass zuvor im Aufbau von Innenverteidiger Aymeric Laporte durchs Zentrum zum Achter Bernardo Silva in den Rücken von Chelseas Sechser Jorginho lässt das Herz des Trainers von Manchester City hüpfen.

Der Adressat der Geste: Carles Planchart. Auch auf der Basis der Informationen seines Chefanalysten entwirft der Coach seine Matchpläne. Vor dieser Partie hatte Planchart ebenjenen Jorginho als Schwachstelle ausgemacht. Nicht generell - doch beim Durchleuchten dieses Profis, an dessen Verpflichtung City selbst gedacht hatte, war ihm aufgefallen, dass er sich zu oft vor die eigenen Achter schiebt und einen großen Raum hinter sich preisgibt.

Darauf basiert Guardiolas Idee: Gegner aus ihren Räumen heraus in andere Zonen zu locken. Wenn es, wie in diesem Fall, nur fünf Zuspiele benötigt, ehe Jorginho durch unkontrolliertes Vorrücken den Weg quasi freiwillig öffnet, sind keine 15 Pässe nötig, bevor City in gefährliche Bereiche vorstößt. Grundsätzlich aber ist dieser Trainer davon überzeugt, dass es "unmöglich ist, ohne eine Sequenz von 15 Pässen erfolgreich umzuschalten" und die Organisationsstruktur der Gegner durcheinanderzubringen. So sagt er es im Buch "Herr Guardiola" von Marti Perarnau.

Guardiola: "Ballbesitz ist kein Selbstzweck"

Warum die 15? Sie ist kein Dogma, sondern eine Marke zur Orientierung. Niemand zählt mit, auch Pep nicht. Worauf er aber achtet: Welchen Sinn erfüllt welcher Pass? "Ballbesitz", so Guardiola, "ist kein Selbstzweck." Auch ein Fakt wie 75 Prozent Ballbesitz interessiert ihn nicht. Wichtig ist ihm, dass mit jedem Pass, mit jeder Aktion, Unordnung beim Gegner erzeugt wird. Es geht darum, Ungeduld zu provozieren. Guardiola jongliert mit dessen Gedanken.

Ein Beispiel: Passt Citys Innen- auf den Außenverteidiger, lässt der nicht immer den Ball klatschen, sondern hält ihn auch mal aufreizend lange. Für Guardiola ein "Verzögerungsmoment", das Pressing des Gegners wird in den Zeitlupenmodus versetzt. Die natürliche Reaktion darauf ist es aber, den Außenverteidiger irgendwann attackieren zu wollen. Einer verliert immer die Nerven. Genau dieses Anlaufen will Guardiola. Denn er weiß um die Ball- und Passsicherheit seiner Jungs.

In dem Moment, da sich ein Gegner nähert, öffnet dieser hinter sich Räume, die mit hoher Spielintelligenz frequentiert werden. Je kürzer die Passdistanz zwischen den eigenen Spielern - hier ist das 4-3-3 für permanente Dreiecksbildungen ideal -, umso schneller verändern sich Räume beim Gegner. Und dann wird gewartet. Gepasst und gewartet. Und wieder: gepasst und gewartet. Bis sich - durch Verlagern auf breite Flügel, das Lenken des Gegners in eine Zone, in die man ihn haben will - die Lücke öffnet, durch die der Ball so in die Tiefe gespielt werden kann, dass dadurch eine gefährliche Aktion entsteht. Und zwar nicht vielleicht, sondern ganz sicher.

Guardiola will permanent den Zufall minimieren

Es geht dem Trainer in diesen Momenten, nein, die ganze Zeit darum, den Zufall im Spiel zu minimieren. Das mag man als langweilig, öde, vielleicht als feige empfinden, wenn das Risiko derart gescheut wird. Aber nicht umsonst ist von Pass-Maschinen die Rede bei all seinen Teams. Und Maschinen sind programmiert. So ist ManCitys Spiel erklärbar.

Jürgen Klopp hat einmal richtig angemerkt: "Das Spiel gibt einem nicht die Chance, perfekt zu sein." Er meinte damit neben permanentem Gegnerdruck auch Einflüsse, Begebenheiten, Fehler, die niemand vorher einplanen kann. All dieser Unwägbarkeiten, an die sein Kollege dachte, ist sich auch Guardiola bewusst. Deshalb versucht er alles, um selbst zu kontrollieren, was eben möglich ist: den Ball, den Gegner, das Spiel. Manel Estiarte, seit 2008 Guardiolas rechte Hand, sagt augenzwinkernd: "Er nervt. Ohne Ende."

Kevin De Bruyne und Co.

Besprechung während des Spiels: Kevin De Bruyne und Co. imago images

Vor allem im Training, seine Profis. Immer wieder lässt er den Spielaufbau trainieren, "millionenfach", meint er selbst, meistens ohne Stürmer, weil die nur noch auf "einfache" Art vollenden sollen, was andere vorbereitet haben. Im Idealfall eben via 15 Pässen, die nicht nur die Ordnung des Gegners entzerren, ihn verwirren sollen, sondern dem eigenen Team Situationshoheit und auch Ruhephasen geben, denn die beste Kondition hat der Ball. Gleichzeitig aber werden stets eigene Rhythmuswechsel forciert, auch beim Gegner, der aber eben nur reagieren kann.

15 Pässe können ebenso gut ein Synonym für eine Zeitspanne darstellen. Wo andere auf so schnelles Umschaltspiel Wert legen, dass sie im Optimalfall nach maximal 15 Sekunden einen Konter abschließen, geht es Guardiola darum, dass der Ball mindestens zehn, vielleicht 20 Sekunden kreist, und die können allein und in der Summe verdammt zermürbend sein. Es sei denn, dass sich direkt eine Lücke bietet, dann ist natürlich auch der direkte, freilich wohltemperierte Pass Richtung Tor nicht verboten. Er selbst hat gesagt: "Tiki-Taka ist dummes Zeug, das führt zu nichts."

Nicht "Tiki-Taka", sondern "toque"

Denn damit wird in Spanien eher Ballgeschiebe ohne Raumgewinn verhöhnt. Sein favorisiertes Passspiel mit bestimmter Intention nennt sich "toque". Erleichtert wird dieses dadurch, dass ein oder beide Außenverteidiger im Aufbau zum Sechser rücken, um die erste Pressinglinie zu überwinden. Mit den 15 Pässen sollen die Außenbahnen quasi freigeschaufelt werden, um dort eigenes Tempo zu nutzen. Wichtig ist bei all dem eine permanente Konterabsicherung, die durch viele Spieler im Zentrum erreicht wird, welche bei Ballverlust ein Netz um den Gegner spannen.

Einen Gegner wie nun Gladbach, das bei Citys Aufbau die Balance finden muss, die eigene DNA nicht aufzugeben - die hat nichts mit Passivität zu tun -, aber gleichzeitig geduldig und kompakt aufzutreten, um dem Favoriten nicht raumöffnend in die Karten zu spielen. Mit viel Laufaufwand und Leidensfähigkeit ist dies möglich. Guardiolas Credo, ganz allgemein: "Während die laufen, spielen wir."

In der Premier League geht des Katalanen 15-Pässe-Plan oft auf. Zum Beispiel neulich, vor dem 1:0 gegen Tottenham, als Ilkay Gündo- gan nach einer Ballstafette über just 15 Stationen im Strafraum elfmeterreif gefoult wurde. 15 Stationen wohlgemerkt, nicht Kontakte. Auch hier waren direkte Zuspiele, aber auch Dribblings ebenso implementiert wie Tempobremsen. Im Schnitt bringt es City in der Liga auf 11,0 Pässe vor einer vielversprechenden Chance - Topwert in England. Liverpool stand vor dem Wochenende bei 10,1 - United bei 8,6, die Spurs bei 7,5. Ein Spiegelbild verschiedener Ideen. Dabei wurden nur Szenen untersucht, bei denen die angreifende Elf mindestens zehn Sekunden vor dem Torschuss im Ballbesitz war, ohne dass der Gegner kontrolliert Zugriff auf die Kugel hatte.

Apropos: Den Vogel schoss City im Ligacup 2017 bei West Bromwich ab. Das 1:0 durch Leroy Sané fiel in der 3. Minute, während der 52 (!) Pässe zwischen Anstoß und Torerfolg kannten die Gegenspieler den Ball nur flüchtig vom Vorbeirollen.

Johan Cruyff mit Pep Guardiola

Mentor und Ideengeber: Johan Cruyff mit Pep Guardiola. picture alliance

Wenn hier von Guardiolas Ideen die Rede ist, stimmt dies allerdings nicht gänzlich. Das gibt er selbst zu: "Dass ich hier sein darf", er meint bei City, "habe ich Johan Cruyff zu verdanken." Der große Niederländer, die fußballtechnisch unsterbliche Nummer 14 von Ajax und der Nationalelf, unter dem Pep selbst als Sechser bei Barça lernte, war es, der als Erster Ballbesitz einforderte: "Es gibt nur einen Ball. Also brauchen wir ihn." Auf diesem Ansatz, diesem Fundament, ist Guardiolas Wirken als Coach aufgebaut. Zwar unterscheidet ihn elementar von Cruyff, dass dieser sich und seinen Spielern viel, viel mehr Individualität gestattete, doch auch größte Cruyff-Fans sehen es so, dass Guardiola die Arbeit des Genius in Orange würdig fortgesetzt hat.

Der Einzige, der sich dabei im Weg steht, ist der 50-Jährige selbst. Zwar betont er stets: "Wir ehren Johans Vermächtnis, indem wir uns dem Gegner nie anpassen, sondern stets versuchen, unsere eigenen Angriffe zu optimieren." Doch genau das, was er in der Premier League gegen massive Widerstände nach seinem ersten titellosen Jahr 2016/17 als alternativlos bezeichnete und mit Erfolg genau so durchzog, warf er in der Königsklasse öfter über Bord, wenn er sich eben doch zu oft am Gegner orientierte und damit nur seine eigenen Jungs verwirrte. Doch darauf sollten die Gladbacher lieber nicht setzen.

Thomas Böker

Musiala toppt alle: Die jüngsten deutschen CL-Torschützen