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Ex-Profi Torsten Kracht spielte in drei Perioden und insgesamt über 15 Jahre beim 1. FC Lok beziehungsweise VfB Leipzig. Vor knapp drei Jahren kehrte der mittlerweile als erfolgreicher Geschäftsmann tätige 55-Jährige im Ehrenamt zum Verein zurück, war seitdem im Vorstand für den sportlichen Bereich zuständig. Nach dem Rückzug von Thomas Löwe (55), der wegen des tragischen Todes seiner Tochter zurücktrat, ist Kracht nun seit 1. Mai Präsident des Leipziger Traditionsklubs.
Herr Kracht, Sie waren dreimal als Spieler beim 1. FC Lok beziehungsweise VfB Leipzig, haben dabei die höchsten Höhen und tiefsten Tiefen des Vereins erlebt. War es unter Umständen Ihr Schicksal, hier Präsident zu werden?
Tatsächlich habe ich erst neulich darüber nachgedacht, dass meine Zeit als Spieler schon besonders war. Ich habe zu DDR-Zeiten zweimal den Pokal gewonnen, im Europacup gespielt und bin nach der Wende in die Bundesliga aufgestiegen. Am Ende habe ich aber auch vierte Liga, eine Insolvenz und den Fall in die Bedeutungslosigkeit miterlebt. Schicksal ist es deswegen nicht gleich, aber der 1. FC Lok hat mich schon sehr geprägt.
Sie sind 1979 als 11-Jähriger zum 1. FC Lok gekommen. Zu DDR-Zeiten waren Sie zweimal Pokalsieger, standen im Europapokal-Finale. Nach der Wende haben Sie sich mit dem Verein zunächst für die 2. Bundesliga qualifiziert und sind 1993 sogar in die Bundesliga aufgestiegen. Welche Momente waren denn die prägendsten?
Die Nachwuchszeit ist mir noch sehr präsent. Dort hatte ich mit Thomas Matheja einen fantastischen Trainer, der sehr moderne Ansätze hatte. Wir waren die erfolgreichste Jugendmannschaft zu dieser Zeit, obwohl wir starke Konkurrenten hatten - alleine gegen Matthias Sammer habe ich wahrscheinlich zwanzigmal gespielt. Geprägt hat mich zudem die Anfangszeit in der ersten Mannschaft: Spieler wie René Müller, Ronald Kreer und Uwe Zötzsche gehörten auf ihren Positionen damals zu den Besten der Welt. In sehr guter Erinnerung habe ich zudem Jürgen Sundermann. Er war ein großartiger Trainer und Mensch, der es vor allem geschafft hat, uns viel Selbstvertrauen zu vermitteln.
Bochum ist so etwas wie meine zweite Heimat geworden.
Torsten Kracht
Nach dem Bundesligaaufstieg wechselten Sie für ein halbes Jahr zum VfB Stuttgart. Später spielten Sie für den VfL Bochum und Eintracht Frankfurt in der Bundesliga und für den Karlsruher SC in der 2. Liga …
Beim ersten Mal wollte ich eigentlich gar nicht so richtig weg. Aber als ich gemerkt habe, dass beim VfB nach dem Bundesliga-Aufstieg nicht die richtigen Weichen gestellt wurden, bin ich nach Stuttgart gegangen. Dort sind wir allerdings als Familie nicht heimisch geworden, sodass ich nach einem halben Jahr die Reißleine gezogen habe. Zum VfL Bochum hat mich dann Klaus Toppmöller gelotst - ein super Trainer und ein toller Typ. Nach dem Gespräch mit ihm war ich mir sicher, dass ich dorthin will. Eine gute Entscheidung, denn Bochum ist so etwas wie meine zweite Heimat geworden. Aber auch Frankfurt und Karlsruhe waren spannende Stationen.

Nah am Mann: Torsten Kracht (hier im weiß-bunten Trikot des VfL Bochum) spielte 167-mal in der Bundesliga. picture-alliance / dpa
Zum Karriereausklang dann 2003 der Wechsel zurück nach Leipzig. Sie sollten die Mannschaft als Kapitän in die damals drittklassige Regionalliga führen. Stattdessen war der Verein nach kurzer Zeit finanziell am Ende. Wie war da Ihre Gefühlslage?
Der Plan war gut. Wir hatten eine junge, hungrige Mannschaft mit einigen Leitwölfen und mit Hermann Andreev einen guten Coach. Leider kam nur zwei Monate lang Gehalt (lacht). Im Ernst - ich konnte das damals alles nicht begreifen. Ich hatte viel erlebt im Fußball, auch unschöne Dinge. Aber eine Insolvenz - das war für mich nicht nachvollziehbar.
Sie wurden sogar zum Notvorstand bestellt. Wie kam es dazu?
Ich hatte von Anfang an ins Management des Vereins mit hineingeschnuppert. Als der damalige Präsident Reinhard Bauernschmidt zurückgetreten ist, kam jemand auf die Idee, dass ich das ja irgendwie übernehmen könnte. Wenn Bauernschmidt weg ist, stehen die Sponsoren nur so Schlange, hieß es (lacht). Das war natürlich Quatsch! Ich habe dann gearbeitet wie ein Wahnsinniger, bin von einem Termin zum nächsten und habe versucht zu retten, was nicht mehr zu retten war. Als dann vor Gericht nach nicht mal einer halben Stunde der VfB Leipzig mit seiner bewegten Geschichte abgewickelt worden war, war das ein sehr trauriger Moment.
Ich bekam 2004 sogar Hausverbot.
Torsten Kracht
Mit dem parallel neu gegründeten 1. FC Lok hatten Sie dann erstmal wenig zu tun. Erst 2020 kehrten Sie als Mitglied und wenig später als Vorstandsmitglied zurück zum Verein …
Ich bekam 2004 sogar Hausverbot. Ich war zurückgekommen und dann plötzlich der Depp. Dennoch war es gut, dass es Leute gab, die damals im Hintergrund den 1. FC Lok neu gegründet und so die Tradition am Leben erhalten haben. Allerdings konnte ich aus sportlicher Sicht mit dem Neuanfang auf Breitensportniveau nichts anfangen, habe mich stattdessen auf meine berufliche Karriere konzentriert. Lange hatte ich dann auch wenig Bezug zum Verein. Erste Berührungspunkte ergaben sich, als mein alter Mannschaftskamerad Heiko Scholz Trainer wurde. So richtig engen Kontakt gab es aber erst mit Thomas Löwe und Aufsichtsratschef Olaf Winkler. Das waren intensive und tolle Gespräche, nach denen ich ein gutes Gefühl hatte. Ich durfte dann auch Einblick in die Zahlen nehmen, was mir nach den schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit sehr wichtig war. Auch da war alles tipptopp: Zwar überschaubare Größenordnungen, aber alles sehr realistisch und ordentlich geführt mit einer klaren Linie. So kam es, dass ich zugestimmt habe, mich als Vorstandsmitglied in den sportlichen Bereich einzubringen.
Nach dem Rückzug von Thomas Löwe sind Sie nun Präsident. Wie lange war Ihre Bedenkzeit?
Tatsächlich habe ich ein paar Tage für meine Entscheidung gebraucht. Zunächst einmal war der Rücktritt von Thomas für alle im Verein ein schwerer emotionaler Schlag. Zum einen aufgrund des Schicksalsschlags, den er erleiden musste. Zum anderen, weil er einfach ein super Präsident war, der dieses Ehrenamt sehr gut ausgefüllt hat und der immer für alle im Verein ein offenes Ohr hatte. Ich habe mich mit meiner Familie darüber beraten, die zum Glück voll hinter mir steht und auch mehr als einmal drüber geschlafen. Aber als dann gefühlt alle mich ermutigt haben, war klar, dass ich das Amt übernehme. Man darf sich nicht wegducken bei sowas! Zudem steht unser Team im Verein felsenfest: Das Präsidium, der Aufsichtsrat, die Geschäftsführer - das ist ein gut funktionierendes System.
Nun ist die Saison fast zu Ende. Ihre Mannschaft belegt den vierten Platz und steht im Finale des Landespokals. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Da bin ich vorsichtig - Fußball kann schnelllebig sein. Verlieren wir in Babelsberg und vor allem das Pokalfinale, fällt die Einschätzung vielleicht ganz anders aus. Ganz nüchtern betrachtet haben wir aber die Dinge, die wir uns vor der Saison vorgenommen haben, erreicht. Wir haben aber auch gemerkt, speziell zuletzt beim 1:0-Sieg im Pokal-Halbfinale gegen Zwickau, welches Potenzial in dieser Mannschaft steckt. Almedin Civa hat da eine super Truppe zusammengestellt und geformt. Wenn wir in Zukunft das vorhandene Potenzial noch stabiler abrufen, können wir noch erfolgreicher sein. Jetzt geht es aber erst einmal darum, das letzte Saisonspiel und vor allem das Pokalfinale erfolgreich zu gestalten.
Die Planungen laufen auf Hochtouren. Und der Pokalsieg würde dabei natürlich gerade finanziell großen Rückenwind geben.
Torsten Kracht
Wie laufen die Planungen für die nächste Saison? Und welche Rolle würde der Landespokalsieg spielen, der ja finanziell große Auswirkungen hätte?
Die Planungen laufen auf Hochtouren. Und der Pokalsieg würde dabei natürlich gerade finanziell großen Rückenwind geben. Und vielleicht hätte das Ganze für den ein oder anderen Spieler, mit dem wir unbedingt verlängern wollen, einen so großen Wert, dass es den Ausschlag dafür gibt, bei uns zu bleiben.
Wen haben Sie dabei besonders im Auge?
Das Restprogramm
Wir wollen einen Großteil der Verträge verlängern, haben da auch mit Djamal Ziane oder kürzlich Zak Piplica schon Erfolge erzielt. Zentrale Bausteine sind für uns Luca Sirch, Osman Atilgan, Theo Ogbidi und Eric Voufack. Wenn wir mit diesen Spielern verlängern könnten, hätten wir ein starkes Gerüst.
Was sind die langfristigen Ziele des Vereins, die Sie mitgestalten wollen?
Wir wollen in den nächsten drei bis fünf Jahren einen großen Schritt vorankommen. Wir müssen raus aus der Regionalliga, um dauerhaft mehr Fans und Sponsoren vom 1. FC Lok zu begeistern. Auch in Sachen Infrastruktur und Stadion, wo sich in den letzten Jahren schon viel getan hat, bleiben wir dran. Zudem wollen wir unseren Nachwuchs weiter verbessern. Wichtig ist aber bei allem, dass wir keine finanziellen Experimente eingehen. Wir sollten weitermachen wie bisher, uns Schritt für Schritt in allen Bereichen verbessern. Mein Credo ist: Wer hart arbeitet, wird irgendwann belohnt!
Was würden Sie sich wünschen, was spätere Chronisten einmal über den Lok-Präsidenten Torsten Kracht schreiben?
Es wäre natürlich schön, wenn geschrieben würde, dass der 1. FC Lok sich während meiner Präsidentschaft in der 3. Liga etabliert hat. Aber da gehört auch eine große Portion Glück dazu. Ich wäre zufrieden, wenn es heißt, der Verein habe sich währenddessen gut und kontinuierlich weiterentwickelt.