Es gibt Situationen im Fußball, deren Auswirkung und Bedeutung sich erst im Rückblick offenbaren. Wer hätte schließlich gedacht, dass er Sieg der TSG auf Schalke (3:0) am 14. Oktober bis zu diesem Samstag der letzte in der Bundesliga bleiben würde. Ein Spiel, in dem übrigens Andrej Kramaric gefehlt hatte wegen einer Knöchelblessur. Deswegen war auch stellvertretend Robert Skov zum Elfmeter angetreten und hatte gleich zwei Strafstöße verwandelt, nachdem zuvor Kramaric in dieser Saison bereits zwei vergeben hatte.
Wenn du diesem Druck nicht standhalten kannst, dann brauchst du auch kein Fußballspieler zu werden.
Andrej Kramaric
Es gibt auch Situationen im Fußball, deren Bedeutung und Dimension vorher schon klar sind. Und deswegen hielten am Samstag alle Hoffenheimer den Atem an, als nach 155 sieglosen Tagen ausgerechnet Kramaric zum Elfmeter anlief. Aufreizend langsam, im weiten Bogen, mit Trippelschritten nochmals verzögernd, bis der mittig geschossene Ball endlich im Netz zappelte. Schon an der Intensität seines Jubels war abzulesen, welch schwere Last Kramaric gerade abgeschüttelt hatte. "Das waren große Steine", versicherte der 31-Jährige, der trotz der Vorgeschichte wieder angetreten war, "wenn du diesem Druck nicht standhalten kannst, dann brauchst du auch kein Fußballspieler zu werden. Das sind Momente, in denen musst du Charakter zeigen, deswegen wollte ich Verantwortung übernehmen, zu treffen, das ist mir gelungen."
Kramaric erhöht sein Scorerkonto auf elf Punkte
Zweimal sogar. Beim zweiten Versuch spannte der TSG-Star die Anhängerschaft mit demselben Prozedere auf die Folter, ehe er den Ball diesmal stramm und überlegt im rechten Eck versenkte. "Das ist ein schönes Gefühl - endlich wieder gewonnen, das ist ganz wichtig für das Selbstvertrauen und die ganze Energie, die Atmosphäre, die Fans und den Verein", versicherte der Torjäger, der sich mit nun sieben Saisontoren und vier Assists wieder an die Spitze der Hoffenheimer Offensivabteilung hievte vor Christoph Baumgartner (5/4) und Munas Dabbur (5/1).
Es war aber auch ein Sieg speziell für Trainer Pellegrino Matarazzo, dessen Job auf dem Spiel gestanden hatte. In der Vorwoche noch hatte Matarazzo Kramaric in Freiburg auf der Bank gelassen und versichert, in der folgenden Trainingswoche positive Signale seines Stars wahrgenommen zu haben. Eine bemerkenswerte Maßnahme in der für den Klub und seinen Trainer enorm angespannten Lage. Wer beobachtete, wie sich Spieler und Coach nach dessen Auswechslung am Samstag abklatschten und beglückwünschten, weiß, dass die Rechnung aufgegangen und nichts zurückgeblieben ist.
Matarazzo: "Natürlich war es eine brenzlige Situation"
Ist damit der Knoten bei Kramaric damit geplatzt? "Ich hoffe es, er hat den ersten Schritt gemacht", freute sich Matarazzo, "ich habe mich auch für Ihlas Bebou gefreut, er hat auch ein riesen Spiel gemacht und mit dem Tor seine Leistung gekrönt. Freue mich für die Spieler, dass sie dieses Erfolgserlebnis mitnehmen können." Über sein eigenes Befinden mochte der 45-Jährige nach diesem "Endspiel" nicht so gerne reden. "Natürlich freue ich mich", erklärte Matarazzo gewohnt kontrolliert und nüchtern, "natürlich war es eine brenzlige Situation, aber man hat an jedem Spieltag eine Last, umso schöner zu gewinnen in so einer Phase, und dass die Mannschaft Gas gegeben hat, das tut der Trainerseele gut."
Mit dem ersehnten Erfolgserlebnis kletterten die Kraichgauer vom letzten auf einen Nichtabstiegsplatz. Bis zum Klassenerhalt ist es dennoch noch weit. "Das war ein Spiel und kann nur der Anfang sein", weiß auch Manager Alexander Rosen. "Wir haben noch viele mental wichtige Spiele vor uns", erkennt auch Kramaric mit Blick auf die direkt nach der Länderspielpause anstehenden Aufgaben in Bremen und gegen Schalke 04. Die dürfte Matarazzo nun gestärkt und in Ruhe angehen können. "Das hier ist noch lange nicht zu Ende", erklärte der TSG-Trainer demonstrativ, "ich habe noch Vieles vor."