Früher war nicht alles besser. Heute aber auch nicht. Erst vor rund eineinhalb Jahren wurden Englands schwarze Profis, die ihren Elfmeter im EM-Finale gegen Italien nicht verwandelt hatten, zur Zielscheibe schlimmer rassistischer Anfeindungen. Zumeist feige und anonym im Internet.
Glücklicherweise sind sowohl Bukayo Saka als auch Marcus Rashford letztlich daraus gestärkt hervorgegangen, sie spielten in Katar schon wichtige Rollen. Der Ex-Dortmunder Jadon Sancho hat sich nach diesen seelischen Tiefschlägen nicht so erholt, fand keinen Einlass in Englands WM-Kader 2022.
Vor 97 Jahren gab es noch keine Weltmeisterschaft, aber die englische Nationalmannschaft bereits seit 1872. Rund 43 Jahre lang jedoch war kein schwarzer Spieler in die oberste Verbandsauswahl berufen worden. Dann, im Oktober 1925, wurde in mehreren Zeitungen das 13-köpfige englische Aufgebot für das Match gegen Irland bekannt gegeben - und Jack Leslie war darin als Reservespieler aufgeführt.
Erst Anderson schreibt Geschichte
Doch dann wurde er offenbar aus dem Kader gestrichen. Es herrscht die weit verbreitete Meinung, dass der einzige Grund für den Ausschluss in Leslies Hautfarbe bestand. Obwohl Fragen gestellt wurden, erfuhren weder Leslie noch die Öffentlichkeit je den Grund für seine Nichtberücksichtigung. Schlimmer noch: Die FA bestritt, dass Leslie überhaupt nominiert worden war. Es sollte noch bis 1978 dauern, ehe Viv Anderson von Nottingham Forest der erste schwarze Nationalspieler Englands wurde.
Wer war Leslie? Er wurde 1901 in Canning Town im Londoner East End als Sohn eines jamaikanischen Vaters, John, eines Kesselschmieds, und einer englischen Mutter, Annie, einer Näherin, geboren. Als Teenager schloss er sich Barking Town an. Er schoss sensationelle 250 Tore und verhalf dem Klub 1920 zum Gewinn des Essex Senior Cup und 1921 zum Titel in der London League Premier Division. Drittligist Plymouth Argyle verpflichtete ihn im selben Jahr.
Tolle Jahre bei Plymouth Argyle
Leslie verbrachte dort 14 glückliche Jahre und erzielte in 401 Spielen 137 Tore für die Pilgrims, die Ende des Jahrzehnts als Meister aufstiegen. Leslie war die meiste Zeit bei Argyle der einzige schwarze Spieler in England und wurde auch Kapitän. In dieser Zeit war es, gelinde gesagt, nicht üblich, dass ein Schwarzer einem Weißen quasi den Weg vorgab.
Jack war der erste schwarze Spieler, der für England berufen wurde - aber das wurde in den Schulen nicht gelehrt, das wurde von niemandem gelehrt, es war wie eine vergessene Geschichte.
Ronnie Mauge
Er gehörte auch zum Kader von Plymouth, das 1924 eine fünfwöchige Südamerikatournee unternahm und dabei denkwürdige Siege gegen die Nationalteams von Argentinien und Uruguay feierte, wobei er beim 4:0 gegen Uruguay zwei Tore erzielte. Der Stürmer erntete begeisterte Kritiken und wurde von seinem Trainer, der Argyle-Legende Bob Jack, für eine internationale Berufung vorgeschlagen.
Doch dann geschah 1925 das zuvor Beschriebene: Leslie wurde ausgeschlossen, ehe er richtig dabei war. Vor fast 100 Jahren, als die Bürgerrechte und das Verständnis für andere Kulturen noch ganz anders aussahen als heute (zumindest bei den meisten), war Leslie leider gezwungen, sein Schicksal zu akzeptieren, obwohl er über seine Behandlung erbost war und dies auch in einigen Medien äußerte.
Dreimal Torschützenkönig
Er kehrte in den Home Park zurück und tat weiterhin das, was er am besten konnte: Er wurde dreimal Torschützenkönig der Pilgrims, bevor er sich im Alter von 33 Jahren zur Ruhe setzte. Zunächst blieb Leslie im Südwesten und betrieb einen Pub in Truro, bevor er 1938 in den Osten Londons zurückkehrte.
Dort trat er in die Fußstapfen seines Vaters als Kesselschmied, bevor er bei West Ham Zeugwart wurde und sich um die Trikots und Schuhe von Spielern wie den 66er Weltmeistern Bobby Moore, Geoff Hurst und Martin Peters kümmerte. Er verstarb 1988 im Alter von 87 Jahren.
Jack-Leslie-Kampagne

Erfolgreich: Die Jack-Leslie-Kampagne. IMAGO/Shutterstock
Doch sein Tod ist nicht das Ende dieser bisher trotz des erfüllten Lebens eher traurigen Geschichte: 2020 riefen zwei Plymouth-Fans, Greg Foxsmith und Matt Tiller, die Jack-Leslie-Kampagne ins Leben, um seine Geschichte bekannt zu machen und das Problem des Rassismus im Fußball zu bekämpfen.
Es kamen über 100.000 Euro zusammen, von dem Geld wurde eine Skulptur bezahlt, die vom Bildhauer Andy Edwards geschaffen und im Oktober vor dem Home Park enthüllt wurde. Seine Enkelin Lesley Hiscott sagte: "Endlich bekommt unser Großvater die Anerkennung, die er verdient hat." Lyn Davies, eine weitere Enkelin, war gerührt: "Es waren nur ein paar wenige, die seine Geschichte kannten … aber jetzt wird sie jeder kennen."
"Eine wahre Fußballlegende"
Und die Vorsitzende der FA, Debbie Hewitt, erklärte: "Jack Leslie ist eine wahre Fußballlegende, die sich gegen Diskriminierung im Fußball aufgelehnt hat. Die FA verleiht Jack posthum einen "honorary cap" (quasi nachträglich einen Länderspieleinsatz, die Red.), um seinen einzigartigen Beitrag und die Umstände zu würdigen - und um das historische Unrecht zu korrigieren."
Besser spät als nie. Ronnie Mauge, Klubbotschafter von Plymouth, fand jedenfalls bewegende Worte: "Jack war der erste schwarze Spieler, der für England berufen wurde - aber das wurde in den Schulen nicht gelehrt, das wurde von niemandem gelehrt, es war wie eine vergessene Geschichte ... Er war ein Wegbereiter."