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Jeder Tag ein neues Abenteuer

Report: Zwei deutsche Trainer im Ausland

Jeder Tag ein neues Abenteuer

Arbeitete beim FC Tauro in Panama-City: Thomas Kempe.

Arbeitete beim FC Tauro in Panama-City: Thomas Kempe. imago

Mit langen Schritten hetzt der Mann Richtung Kabine. Das Unheil war abzusehen, und dass es nachmittags anfängt zu regnen, ist in Panama ohnehin keine Seltenheit. Also bringt sich Thomas Kempe mit einem Sprint in Sicherheit, als der Schiedsrichter die Spielunterbrechung signalisiert. Wo eben noch einigermaßen gelungene Spielzüge auf dem Platz - halb Asche, halb Rasen - zu besichtigen waren, entsteht gerade eine Morastlandschaft, solche Sturzbäche ergießen sich in kürzester Zeit.

Seit drei Monaten arbeitet Thomas Kempe, früher Profi in Duisburg, Stuttgart und Bochum (391 Bundesliga-Einsätze) als Trainer beim Erstligisten FC Tauro in Panama-City. Ein Bekannter aus dem heimischen Voerde am Niederrhein, der als Geschäftsmann in Panama arbeitet, hat den Kontakt geknüpft. Kempe griff zu, weil er nach seiner Zeit beim Bezirksligisten VfB Lohberg frei war, "und weil dich so ein Engagement im Ausland immer weiterbringt". Da nimmt er auch in Kauf, dass er in der Hauptstadt Panama-City "für ganz kleines Geld" arbeitet. Für rund 1000 Dollar im Monat bei 35 Grad und 85Prozent Luftfeuchtigkeit, wo ihn zunächst kein Mensch versteht und wo man während der Regenzeit manchmal nicht die üblichen 20 Minuten braucht zum Trainingsgelände, sondern zwei Stunden.

Da hast du bei uns in der Kreisliga B bessere Bedingungen.

Thomas Kempe musste sich oft mangels Kabinen im Auto oder auf der Tribüne umziehen.

Palmen, viel Sonne, wenn nicht gerade der tägliche Schauer niedergeht, ein ruhiges Leben: Oh, wie schön ist Panama? Nicht ohne Einschränkung. Die Arbeit auf dem Platz ist zwar angenehm, aber der Rest schwierig. Kempe fühlt sich einsam ohne seine Familie, vermisst deutsche Töne in seiner Umgebung, und nur auf dem Trainingsplatz hat er Spaß an diesem Leben, 18 Reisestunden von der Heimat entfernt. Am Anfang hat er die Fronten abgesteckt, als beim Trainingsbeginn um fünf erst die Hälfte da war, ein paar noch lässig auf der Terrasse telefonierten und andere erst nach und nach eintrudelten. "Wenn ihr Machos seid, dann bin ich der Ober-Macho, habe ich denen gesagt", erzählt Kempe, "die mussten erst begreifen, dass ohne Disziplin nix läuft." Einer kam nicht zum Training, "weil er Stress mit seiner Frau hatte", macht 20 Dollar Strafe - bei einem Monatsgehalt von 300 Dollar. Sein Torwart blieb weg, weil er sich mit einem Makler ein Haus ansehen musste, den hat er zu 100 Dollar Buße verdonnert, "da fing der an zu heulen. Also habe ich auf 50 reduziert".

Beinahe in jedem Ligaspiel, so Kempe, hagelt es Platzverweise, "für jeden Mist geben die Schiedsrichter Gelb, beim nächsten Foul bist du runter, manchmal auch bei ganz normalem Tackling". Eine richtige Kabine besitzt nicht mal der Spitzenklub Tauro; so zieht sich Trainer Kempe meist im Auto um oder auf der Tribüne, "da hast du bei uns in der Kreisliga B bessere Bedingungen". Einmal mussten sie in einem Baseballstadion antreten, mit einem Hügel für den Pitcher (Werfer), den es zu umdribbeln galt. Und wenn der Nachmittagsregen vorbei ist, zieht erst mal der Platzwart los, um einen Sack Kalk zu holen, damit er die Seitenlinien und den Strafraum neu markieren kann.

Gestern: Thomas Kempe spielte von 1985 bis 1993 beim VfL Bochum.

Gestern: Thomas Kempe spielte von 1985 bis 1993 beim VfL Bochum. imago

Rein sportlich aber war alles im Lot für Kempe, der die Mannschaft auf Kurs gebracht hat und von zwölf Spielen nur eines verlor. "Und in San Francisco, in der Provinz, haben wir 5:4 gewonnen. Da schwärmten die, das wäre das beste Spiel der letzten zehn Jahre gewesen." Bei seinem Klub Tauro haben sie T-Shirts drucken lassen mit dem Lieblings-Ausdruck des Trainers drauf, der nahezu jeden Spielzug mit der Aufforderung "weiter, weiter" kommentierte. Die Arbeit mit der Mannschaft hat Kempe Spaß gemacht, aber weil der Verein einigen Verpflichtungen nicht nachkam und die Sehnsucht nach der Heimat zu groß wurde, hat Kempe das Abenteuer Mittelamerika nach drei Monaten zunächst unterbrochen, ist wieder daheim und möchte einigen seiner Spieler den Weg nach Europa ebnen. "Da könnten mehrere locker in der Zweiten Liga spielen", glaubt Kempe. Und die Verantwortlichen des FC Tauro haben ihn gebeten, im November zurückzukommen, wenn die Finalspiele anstehen.

Für Kempe also ist das Thema Ausland zunächst beendet, für Antoine Hey geht der Spaß erst so richtig los. Ein exotischer Job lockt auch ihn, wie einige andere deutsche Fußball-Lehrer. Hey soll als Nationaltrainer die Elf Gambias zur Endrunde des Africa-Cups führen. Für den Ex-Profi, der 68-mal für Düsseldorf und Schalke in der Bundesliga spielte, ist ein Engagement in Afrika nichts Neues. Als er einst nach seiner Zeit als Profi in England den FA-Trainerschein erwarb und sich auf die Liste der Trainer setzen ließ, die auch im Ausland arbeiten würden, ergab sich Kontakt zum Königreich Lesotho, wo Hey eineinhalb Jahre arbeitete.

Die essen fünf Mal am Tag, stehen in der Sonne rum, aber keiner hilft mir.

Antoine Hey, der Gambia zur Endrunde des Africa Cups führen soll.

"Jeder Tag", sagt der 36-Jährige, "bringt dir ein neues Abenteuer. Auf jeder Reise passiert irgendetwas, womit du niemals gerechnet hast." Vor dem Flug nach Sambia wurde die Nationalelf mal am Flughafen in Johannesburg gestoppt, weil niemand die richtigen Visa besorgt hatte. Oder der Mannschaftsbus musste nachts um elf an der Grenze zwischen Swasiland und Mosambik anhalten und konnte erst morgens um sechs weiterfahren, weil der Schlagbaum nachts geschlossen wird, was aber niemand vorher erkundet hatte. Dass die Reisebüros stets Erste-Klasse-Flüge buchen, obwohl der Verband chronisch klamm ist, liegt auf der Hand, weil die Agenten zehn Prozent der Gesamtsumme in die eigene Tasche stecken. "Deshalb kümmere ich mich möglichst selbst um diese Reisen, um dem Verband Geld zu sparen", erzählt Hey.

Sein sportlich wenig erbauliches Engagement mit einer ganz jungen Mannschaft in der südafrikanischen Enklave Lesotho endete nach eineinhalb Jahren, als er die Möglichkeit erhielt, den deutschen Trainerschein zu erwerben. Der Kontakt nach Afrika aber blieb erhalten. Gambia ist für Hey ein weiterer Schritt nach vorne, das Niveau ist höher, die äußeren Umstände bleiben gewöhnungsbedürftig. Als der neue Cheftrainer in der Hauptstadt Banjul die Trainingsstätten besichtigte, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen. Das von der FIFA mit 400000 Dollar geförderte Leistungszentrum sieht schon nach zwei Jahren verwahrlost aus. "Da liegt der Müll auf den Gängen, die Wände sind beschmiert, es kümmert sich keiner darum, dieses Objekt in gutem Zustand zu erhalten."

Gestern: Antoine Hey spielte von 1989 bis 1992 bei Fortuna Düsseldorf.

Gestern: Antoine Hey spielte von 1989 bis 1992 bei Fortuna Düsseldorf. imago

Im Winter wird Hey, der weiter in Hilden bei Düsseldorf wohnt, zum Lehrgang in das westafrikanische Land reisen. Die meisten seiner Spieler sind ohnehin in den europäischen Ligen unter Vertrag, in Holland, Belgien, Dänemark, das erleichtert die Sichtung. Doch als Hey nun vor seinem Einstand als Cheftrainer beim 0:1 in Algerien zum ersten Lehrgang in die Sportschule Hennef bat, erlebte er eine weitere typisch afrikanische Überraschung. Zwar hatte der Verband fünf Funktionäre nach Deutschland geschickt. Aber statt der erhofften Mediziner und Physiotherapeuten kamen reine Touristen, offenbar weitläufige Verwandtschaft der Verbands-Oberen. "Die essen fünfmal am Tag, stehen ein bisschen in der Sonne rum und kassieren die 1000 Euro Aufwandsentschädigung", berichtet Hey, "aber kein Einziger hilft mir."

Trainieren, aber immer wieder improvisieren, das gehört für die Exoten unter den Fußball-Lehrern zum Tagesgeschäft. "Da musst du dir eine Menge Gelassenheit zulegen", resümiert Hey, "und manchmal die Faust in der Tasche ballen." Wenn etwa nach Trainingslager oder Länderspiel nahezu die komplette Ausrüstung unauffindbar ist. "Anschließend siehst du kaum noch Schuhe, Taschen, Trikots oder Bälle. Es verschwindet alles, was sich zu Geld machen lässt." Neues Material zu beschaffen, ist einer der wenigen Punkte, um die sich der Trainer nicht auch noch kümmern muss. Auch wenn er sonst für fast alles zuständig ist.

Oliver Bitter