kicker

Drama um den Aufstieg: Mainz und Klopp zwischen Tränen und Euphorie

Die drei aufregenden Jahre von Mainz 05

Drama um den Aufstieg: Mainz und Klopp zwischen Tränen und Euphorie

Ein Jahr zwischen bitteren Tränen und Sektdusche: Sandro Schwarz 2003 (li.) und Jürgen Klopp 2004.

Ein Jahr zwischen bitteren Tränen und Sektdusche: Sandro Schwarz 2003 (li.) und Jürgen Klopp 2004. imago images (2)

Sandro Schwarz wird die Szene sicherlich verdrängt haben. So wie es üblich ist unter ehrgeizigen Sportlern, wenn es um ihre größten Niederlagen geht. Nach dem wiederholten Scheitern im Rennen um den Bundesligaaufstieg im Mai 2003 hatte sich der damalige Ersatzmann und spätere Erstligatrainer der Nullfünfer im Braunschweiger Stadion eine leere Wasserkiste geschnappt und einem Zuschauer, der ihn mit Schmährufen provoziert hatte, an den Kopf geworfen. Zum Schutz vor den Eintracht-Fans und vor sich selbst wurde Schwarz von Ordnern in die Kabine gebracht.

Die Mainzer hatten damals gerade die größte Schmach ihrer Klubgeschichte erlebt. Als die Partie in Braunschweig beim Stand von 4:1 für die Rheinhessen abgepfiffen wurde, standen sie noch als Bundesligaaufsteiger fest. Doch in Frankfurt war das Spiel der Eintracht gegen den SSV Reutlingen noch nicht beendet.

Bakary Diakité und Alexander Schur schossen in der 90. Minute und in der Nachspielzeit das 5:3 und 6:3 - aufgrund der besseren Tordifferenz stieg Frankfurt (+26) nun auf an Stelle von Mainz (+25). Das FSV-Trupp hatte die letzten beiden Tore auf dem Rasen des Braunschweiger Stadion an einem TV-Monitor erlebt und brach danach teilweise in Tränen aus. Dass der letzte Treffer ausgerechnet auf das Konto von Schur ging, entbehrte nicht einer gewissen Pikanterie: Der Eintracht-Profi und Mainz-Trainer Jürgen Klopp waren seit der gemeinsamen Zeit bei Rot-Weiss Frankfurt mit ihm befreundet.

Auch Völler zeigt Mitgefühl - Vereinshomepage wird lahmgelegt

"Man denkt, wenn man so lange in diesem Geschäft dabei ist, hat man alles an Dramatik kennengelernt. Aber das hat alles übertroffen. Für die nächste Saison muss man ein bisschen die Daumen für Mainz drücken", zeigte sogar DFB-Teamchef Rudi Völler großes Mitgefühl für die kleinen Mainzer. Die Tragik der letzten Spieltage hatte für Mainz aber nicht erst 2003 begonnen. Im Mai 2002 waren die Mainzer als Tabellenzweiter zu Union Berlin gereist. Während sie dort mit 1:3 untergingen, siegten Bielefeld und Bochum und zogen in der Abschlusstabelle am 1. FSV vorbei. Mit 64 Zählern sind die Mainzer bis heute punktbester Nichtaufsteiger aller Zeiten in der 2. Liga vor Einführung der Relegationsspiele. Am Ende der Hinrunde hatte die Mannschaft nach mehreren Startrekorden zu Beginn der Saison noch die souveräne Herbstmeisterschaft gefeiert.

An Sympathie-Kundgebungen per Fax-, E-Mail und Briefpost aus der gesamten Republik hat es in beiden Jahren nicht gemangelt. 2003 legten die große Zahl an Usern die Vereinshomepage lahm, der Dauerkartenverkauf ging sprunghaft in die Höhe. Am Tag nach dem Desaster von Braunschweig bereiteten 10.000 Fans der Mannschaft auf dem zentralen Gutenberg-Platz einen überragenden Empfang. Bereits zum dritten Mal nach 2002 und 1997 war der Aufstieg zum Greifen nah. Vor der Jahrtausendwende war Mainz im letzten Spiel im direkten Duell am VfL Wolfsburg (4:5) gescheitert.

Klopp erlebt das Aufstiegsdrama gleich dreimal

Das größte Drama erlebte der Klub jedoch 2003, weil er minutenlang als Aufsteiger feststand. "Das Sch...-ende ist relativ schwierig aufzuarbeiten. Aber der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Wir werden wiederkommen", versprach Klopp nach dem dritten Scheitern. Das erste hatte er noch als Spieler erlebt unter Trainer Reinhard Saftig, 2002 und 2003 stand er als Trainer an der Seitenlinie.

Am Rosenmontag 2001 war Klopp von Manager Christian Heidel zum Nachfolger von Eckhard Krautzun gekürt worden. Die Mainzer Vereinskasse war nach dem hohen Trainerverschleiß im Jahr zuvor leer, der damals 33-Jährige Klopp verletzt und Heidel von der empathischen Art des Abwehrspielers überzeugt. Klopp besaß Charisma und es zeichnete sich ab, dass er ein großer Menschenfänger werden könnte. Der studierte Sportwissenschaftler hatte zwar noch keine Trainerlizenz, war aber schon zu Zeiten von Lehrmeister Wolfgang Frank, der in Mainz zwischen September 1997 und März 1997 sowie zwischen April 1998 und April 2000 wirkte, der verlängerte Arm des Trainers gewesen.

Der "nachträgliche Aufstieg" - diesmal als Außenseiter

Der heutige Coach des FC Liverpool legte in Mainz den Grundstein für seine große Trainerkarriere. Im Mai 2004 feierte er mit den Nullfünfern den ersten Bundesligaaufstieg der Vereinsgeschichte. Im Gegensatz zu den beiden Vorjahren waren die Rheinhessen aber diesmal statt Favorit eher Außenseiter. Am 29. Spieltag lagen sie auf Tabellenrang 8, vor der letzten Saisonpartie gegen Eintracht Trier fehlten immer noch zwei Punkte auf den Tabellendritten Aachen. Während die Alemannia am 34. Spieltag beim abstiegsbedrohten Karlsruher SC 0:1 unterlag, siegte Mainz 3:0 und stieg mit nur 54 Punkten sozusagen "nachträglich" ins Oberhaus auf. Was ebenfalls einen neuen Rekord bedeutete: So wenige Zähler hatten seit Einführung der Drei-Punkte-Regel noch nie für einen Aufstieg ausgereicht.

Am 23. Mai 2004 gegen 16.50 Uhr brachen dann alle Dämme. Die Mainz-Fans unter den 18.700 Zuschauern im ausverkauften Bruchwegstadion lagen sich ebenso wie die Spieler und der Staff jubelnd in den Armen. Die obligatorische Pressekonferenz fiel aus. Wer Fragen an Klopp hatte, wurde in die Kabine gebeten, wo der Trainer mit dem Bierglas in der Hand Rede und Antwort stand. Am Stadion brach das Mobilfunknetz zusammen. Um ihre Berichte zu übermitteln, mussten die Medienvertreter den Stadionbereich verlassen, in ein paar Kilometer Entfernung funktionierten die Handys wieder. Es gab kaum jemanden, der Mainz 05 diesen großen Triumph nicht gönnte. Und Manager Heidel stellte zufrieden fest: "Wer in drei Spielzeiten 180 Punkte holt, der geht verdient nach oben."

Michael Ebert

Mainz steigt auf