DFB-Pokal

Dortmunder Emotionen wecken Erinnerungen

Kommentar zum Pokalsieg des BVB

Dortmunder Emotionen wecken Erinnerungen

Ein wichtiger Faktor für den Pokalsieg: Dortmunds Trainer Edin Terzic.

Ein wichtiger Faktor für den Pokalsieg: Dortmunds Trainer Edin Terzic. Getty Images

Als Marco Reus um 22.55 Uhr unter dem tosenden Jubel der Dortmunder Mannschaft den DFB-Pokal in die Höhe reckte, da konnte man für einen ganz kurzen Moment vergessen, dass das Olympiastadion pandemiebegingt leer war. Man spürte trotz der Leere: Es war ein besonderer Augenblick.

Für den BVB-Kapitän, der in seiner Karriere schon so viele Niederschläge verkraften musste. Für seinen Teamkollegen Lukasz Piszczek, der seine Laufbahn nach dieser Saison beenden wird. Für seinen jungen Trainer Edin Terzic, der in seinem ersten Halbjahr als Cheftrainer einer Bundesliga-Mannschaft gleich einen Titel gewinnen konnte. Und für den gesamten Verein Borussia Dortmund, der auf dem Weg zum ersten Pokalgewinn seit 2017 einen beschwerlichen Weg absolvieren musste, Trainerwechsel inklusive.

Es waren emotionale Szenen, die sich nach dem 4:1-Erfolg der Dortmunder über RB Leipzig auf dem Rasen abspielten. Man sah Terzic, wie er sich seinen Freund und Co-Trainer Sebastian Geppert packte, der sich ihm im vergangenen Dezember anschloss, um eine denkbar schwere Mission zu einem guten Ende zu führen. Man sah Piszczek, wie er von seinem Teamkollegen in die Höhe geworfen wurde. Der Pole hielt dabei die Hände vors tränenüberströmte Gesicht, ganz so, als könne er gar nicht glauben, was da gerade passiert ist.

Lukasz Piszczek

Ein Highlight kurz vor dem Karriereende: Lukasz Piszczek wird von seinen Dortmunder Kollegen gefeiert. Getty Images

Erinnerungen an die frühen 2010er-Jahre

Minuten später, als alle Borussen einmal ihre Hand an den Pokal legen durften und das offizielle Siegerfoto geschossen war, machten es die Borussen der Doublemannschaft von 2012 nach und erklommen das Marathontor. Man hätte diese Augenblicke zu gerne in einem vollen Stadion erlebt, doch auch so dürften die Fans an den TV-Bildschirmen das eine oder andere Tränchen in den Augen gehabt haben bei diesen Bildern, die Erinnerungen wachriefen an die so erfolgreichen frühen 2010er-Jahre.

Bis zu diesem Triumph aber - und nichts anderes war dieser Sieg über die unter der BVB-Anhängerschaft so kritisch beäugten Leipziger - musste der BVB so manches Tal durchschreiten. Nach gutem Start fiel die Mannschaft in ein Loch, sie präsentierte sich wankelmütig, wie eine Ansammlung von Teilen, die nicht recht zusammenpassten. Und manchmal bekam man den Eindruck, die Spieler wollten auch gar nicht unbedingt zusammenpassen, sondern möglichst zügig weiterziehen. Lucien Favre wurde dieses Auf und Ab schließlich Mitte Dezember zum Verhängnis. Reichlich spät erfolgte die Trennung vom Schweizer, der keine Reize zu setzen wusste, seiner Mannschaft keine Idee vermitteln konnte, ihr Talent nicht zur Entfaltung brachte.

Auf Favre folgte Terzic und damit ein Mann, der sich über viele Jahre in Dortmund hochgearbeitet hatte. Vom Scout bis zum Assistenztrainer, eine Lehrzeit bei West Ham und Besiktas eingeschlossen. Plötzlich war er ein Chef. Noch dazu einer auf Zeit, weil früh klar war, dass im Sommer Marco Rose kommen würde. Doch Terzic machte das mit Abstand beste aus dieser Situation. Er lamentierte nicht. Auch dann nicht, als die Mannschaft Zeit benötigte und immer wieder Rückschläge kassierte. Der ausgesprochene Teamplayer konzentrierte sich auf seine Arbeit - und vertraute in seinen Sachverstand.

Terzic: Lange verstand kein Trainer diesen Klub wie er

Mit Erfolg. Der BVB bekam die Kurve, wuchs zusammen, eroberte spätestens am Donnerstagabend sogar wieder die Herzen der Fans, allen voran Terzic selbst, der auch im Erfolg nicht die in dieser Branche so verbreitete Eitelkeit zeigte, sondern sich in der ARD mit erst heiserer, dann vor Emotionen brüchiger Stimme bei seiner Familie für die Unterstützung bedankte.

Man muss einige Jahre zurückgehen in der BVB-Historie, um einen Trainer zu finden, der so ein Verständnis für diesen Klub und sein Umfeld aufbrachte, wie es Terzic tut. Doch er war nicht die einzige prägende Figur der vergangenen Monate. Im selben Atemzug wie den gebürtigen Mendener muss man auch Kapitän Reus erwähnen, der sich im Saisonfinale in absoluter Bestform präsentierte und im Finale gegen RB final bewies, dass er auch in entscheidenden Spielen vorangehen kann. Oder Routinier Piszczek, der in dieser Saison monatelang zuschauen musste, bis er plötzlich wieder wichtig wurde - und im Finale teils spurtete, als wäre er in einen Jungbrunnen gefallen.

Oder Jadon Sancho, der in der Rückrunde jeden Ballast des verpassten Wechsels 2020 abwarf und sich als gereifter Mannschaftsspieler zurückmeldete. Oder natürlich Erling Haaland, diese Naturgewalt im Dortmunder Sturm, die sich pünktlich zu seinem bislang größten und wichtigsten Spiel zurückmeldete, Leipzigs Dayot Upamecano abprallen ließ und schließlich doppelt traf.

Das noch größere Ziel wartet noch

Noch allerdings ist die Saison für die Borussen nicht beendet. Noch gibt es ein Ziel, das vielleicht weniger Emotionen verspricht als der Pokalsieg, aber für den Klub ebenso wichtig ist: die erneute Qualifikation zur Champions League. Am Sonntag ist der BVB in Mainz gefordert. Eine Sperrstunde aber dürfte es an diesem Donnerstag dennoch nicht geben im Teamhotel. Zu strapaziös war der Weg hierhin. Zu emotional der Sieg in dieser besonderen Nacht von Berlin.

Bilder zur Partie RB Leipzig - Borussia Dortmund