
Hat in Hoffenheim das Lachen wiedergefunden: Timo Hildebrand. imago
kicker: Sie sind jetzt 29 Jahre alt. Waren Sie nervös vor dem ersten Training mit den neuen Kollegen?
Timo Hildebrand: Beim ersten Tag am neuen Arbeitsplatz ist man immer ein bisschen aufgeregt, angespannt, aber das passte schon. Die Vorfreude auf die neue Aufgabe überwog.
kicker: War es vergleichbar mit dem ersten Tag in Valencia?
Hildebrand: Nein, das war viel extremer, eine neue Welt, eine neue Sprache. Ich habe nicht gewusst, was mich erwartet. Dort konnte ich nicht einfach drauflos plaudern.
kicker: Vor knapp vier Wochen wurden Sie in Hoffenheim vorgestellt. Was haben Sie in der Zwischenzeit gemacht?
Hildebrand: Eine Wohnung in Heidelberg gesucht, aber leider noch nicht gefunden. Und trainiert. Für mich alleine, aber auch mit Cesar Thier, unserem Torwarttrainer.
kicker: Standen schon torwartspezifische Übungen auf dem Plan?
Hildebrand: Nur zweimal. Wir haben den Schwerpunkt auf körperliche Fitness gelegt. Und Gyrotonic habe ich fast täglich gemacht ...
kicker: ... ein dreidimensionales Beweglichkeits- und Krafttraining an Geräten ...
Hildebrand: Ja, ein Ganzkörpersystem, ausgerichtet auf die Wirbelsäule. Es dient der Beweglichkeit und behebt die Schwachstellen im Körper.
kicker: Wie weit wirft Sie ein halbes Jahr ohne Spielpraxis zurück?
Hildebrand: Nicht sehr weit, denke ich. Ich habe schon sehr viele Spiele in meiner Karriere absolviert und werde schnell den Rhythmus finden.
kicker: Blicken wir noch mal kurz zurück. Odonkor, Hinkel, Metzelder und Sie - warum kriegen deutsche Nationalspieler in Spanien kaum einen Fuß auf die Erde?

Werden wohl keine Freunde mehr: Santiago Canizares und Timo Hildebrand. imago
Hildebrand: Es ist schwierig, immer definitive Erklärungen zu finden, weil jeder Fall einzeln bewertet werden muss. Ich kann nur für mich sprechen. Ich habe einfach einen schlechten Zeitpunkt in Valencia erwischt. Im Verein herrschte im letzten Jahr Chaos, das hat jeder gesehen. Darunter habe auch ich gelitten. Und natürlich unter der Konkurrenzsituation mit meinem Torwartkollegen Santiago Canizares, der es mir generell schwer gemacht hat, auch im Team. Das ist meine Erklärung dafür, warum ich es nicht wirklich geschafft habe.
kicker: Gestehen Sie sich ein, dort gescheitert zu sein?
Hildebrand: Nein, das würde ich nicht sagen. Scheitern oder aufgeben, das ist überhaupt nicht mein Thema. Ich habe in Spanien viel gewonnen für mich selbst. Ich wollte immer die Erfahrung Ausland machen. Und ich habe viel gelernt, auch für mich als Mensch.
kicker: Was konkret?
Hildebrand: Wenn man 15 Monate im Ausland gelebt hat ohne die Sprache zu können und ohne sein gewohntes Umfeld, entwickelt man sich als Mensch weiter. Ich habe dort nette Menschen kennengelernt, die ich ewig behalten werde. Und selbst das Sportliche hat gepasst. Es wird ja immer erzählt, dass ich sportlich nichts erreicht habe. Aber das stimmt nicht. Ich absolvierte im ersten Jahr über 30 Spiele und holte den Pokal. Das möchte ich nicht als verlorene Zeit abtun.
kicker: Sie verließen Stuttgart als deutscher Meister, wurden während Ihrer Zeit in Valencia nicht für die EM 2008 nominiert und spielten zuletzt ein halbes Jahr gar nicht. Das klingt zumindest nach einem ziemlichen Rückschritt.
Hildebrand: Klar ist es ein Rückschritt. Besonders, weil ich zuletzt draußen saß. Es war die schwierigste Zeit meiner Karriere. Aber ich möchte die Zeit auf keinen Fall missen.
kicker: Es gibt nicht wenige, die sagen, Sie seien falsch beraten gewesen, nach Valencia zu gehen.
Hildebrand: Den Verein habe ich mir damals selbst ausgesucht. Es wird immer so dargestellt, dass mich meine damaligen Berater dorthin gedrückt hätten. Das ist definitiv falsch. Ich habe bisher in meiner Karriere immer selbst entschieden, zu welchem Verein ich wechsele. Klar war Canizares in Valencia eine Ikone. Aber ich war mir sicher, mich durchzusetzen. Vom sportlichen Aspekt war ich überzeugt, es zu schaffen. Und es war auch so. Aber jedesmal, wenn ich von der Nationalmannschaft zurückkam, saß ich wieder auf der Bank. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass es so eine schwierige Zeit wird.
kicker: Nach der Suspendierung von Canizares waren Sie die Nummer 1. Warum konnten Sie sich dennoch langfristig nicht durchsetzen?
Hildebrand: Mir ist immer wieder fehlende Konstanz vorgeworfen worden. Aber ich kenne keinen Spieler, der dort in dieser Situation konstant gut gespielt hat. Dennoch habe ich meine Erfolge gefeiert und auch super Spiele abgeliefert. Dass ich Fehler gemacht habe, ist ebenso klar. Wenn eine Mannschaft nicht funktioniert, ist es als Ausländer noch einmal schwieriger. Letztes Jahr hat einfach nichts funktioniert.
kicker: Die wechselhaften Leistungen führen Sie auf die äußeren Umstände zurück?
Hildebrand: Es kommen viele Faktoren hinzu. Ich will auch gar nicht nach Ausreden suchen, welche anderen Faktoren Schuld daran sein könnten, dass ich schlecht gespielt habe. Aber noch mal: Ich habe doch keine katastrophale Saison hinter mir. Ich habe bestimmt drei, vier Torwartfehler gemacht. Aber die hatte jeder andere in der Bundesliga im letzten Jahr auch. Ich bin neu dahin gekommen als Ausländer, musste mich erst zurechtfinden. Und dann noch in so einer Situation mit so einem Kollegen, der einen nicht mal anschaut. Wir hatten drei Präsidenten, drei Trainer. Und nur um die Umstände zu erklären: Ein Spieler hat den Verein verklagt und ist jetzt wieder Stammspieler. Das ist in Deutschland undenkbar. Das ist eine Erklärung, warum es nicht hingehauen hat. Keine Ausrede. Ich bin der letzte, der nicht selbstkritisch ist. Jetzt im neuen Jahr hatte ich meinen dritten neuen Trainer und der entschied sich am ersten Ligaspieltag eben anders. Das war ein ganz deutliches Signal, dass ich keine Zukunft mehr habe.
kicker: Hätten Sie sich vorstellen können, zu einem anderen ausländischen Verein zu wechseln?
Hildebrand: Nein. Im Moment nicht.
kicker: Warum nicht?
Hildebrand: Wenn ich in Valencia über zwei, drei Jahre Erfolg gehabt hätte, vielleicht schon. Aber mit dieser Negativ-Erfahrung wollte ich nicht im Ausland bleiben. Deshalb war für mich schnell klar, dass ich wieder in die Bundesliga zurückkehren möchte.
kicker: Warum nach Hoffenheim?
Hildebrand: Weil ich überzeugt bin, dass dieser Verein ein riesiges Potenzial hat und sich in den nächsten Jahren in der Spitze etablieren wird. Ich habe schon immer hohe Ziele gehabt und mit diesem Verein kann ich diese verwirklichen.
kicker: Ist es realistisch, dass Hoffenheim schon kommende Saison international vertreten sein wird?
Hildebrand: Jeder redet davon, dass Hoffenheim Meister werden kann oder international spielt. Aber ich denke, dass die Bescheidenheit, die Herr Hopp und alle Verantwortlichen hier vorleben, dem Verein gut tut. Der Klub ist Aufsteiger, das darf man nicht vergessen. Es ist eine große Stärke des Vereins, dass sich keiner verrückt machen lässt.
Mit Hoffenheim ist vieles drin
Timo Hildebrand
kicker: Welches Ziel nehmen Sie mit Hoffenheim ins Visier?
Hildebrand: Jede Woche ein Spiel zu gewinnen. Ich weiß, das ist eine Phrase, aber mit dieser Einstellung wurden wir mit Stuttgart Meister. Klar sind die Erwartungen nach so einer Hinrunde gestiegen. Jetzt auszugeben, weiter gegen den Abstieg zu spielen, glaubt keiner mehr. Mit Hoffenheim ist vieles drin.
kicker: Sie hatten die Möglichkeit, nach Stuttgart zurückzugehen.
Hildebrand: Ich hätte auch zu anderen Vereinen gehen oder meinen Vertrag in Valencia absitzen können. Es ist immer gut, mit etwas abzuschließen und neue Etappen im Leben zu gehen. Ich will jeden Tag nutzen, um wieder dahin zu kommen, wo ich mal war.
kicker: Also zurück in die Nationalelf?
Hildebrand: Das werden wir dann sehen, ob ich noch die Möglichkeiten habe und wie es leistungsmäßig funktioniert. Ich war in Spanien nicht so präsent, wie ich es vorher in der Bundesliga war. Vielleicht hat das auch eine Rolle gespielt. Ich bin jetzt wieder hier, kann mich jede Woche zeigen und dann stellt sich heraus, ob ich noch einmal Nationaltorhüter werden kann.
kicker: Gab es nach den letzten Erfahrungen den Gedanken, aus der Nationalelf zurückzutreten?
Hildebrand: Nein. Es war ein hartes Brot für mich, so einen Tiefschlag hinzunehmen. Vielleicht werde ich auch nie verstehen, warum es so war. Aber ich habe gestern erst gelesen: Auch im dunkelsten Tal geht die Sonne wieder auf. Aus solchen Tiefschlägen lernt man sehr viel.
kicker: Sie sagten damals, die Nichtnominierung zur EM sei "wie eine offene Fleischwunde gewesen". Sind die Narben verheilt?
Hildebrand: Ja. Die EM-Nichtnominierung war die erste Fleischwunde, der erste richtige Tiefschlag in meiner Karriere. Danach ist mir in Valencia noch einmal reingestochen worden. Da kam es knüppelhart, die letzten Monate waren schon brutal schwierig. Aber zuletzt ging es mit meiner Eigenmotivation wieder aufwärts.
kicker: Ist die WM 2010 in Südafrika das ultimative Ziel?
Hildebrand: Was heißt Ziel? Ich habe immer Ziele und Träume gehabt. Mein Ziel ist es, mit Hoffenheim erfolgreich zu sein. Alles andere ergibt sich. Die Weltmeisterschaft habe ich momentan nur im Hinterkopf.
kicker: Hat sich der Bundestrainer bei Ihnen gemeldet?
Hildebrand: Ja, Jogi Löw hat vor Weihnachten eine SMS geschickt. Er hat sich gefreut, dass ich zurück bin und mir ein frohes neues Jahr gewünscht.
kicker: Hat er Ihnen Hoffnung auf eine baldige Rückkehr gemacht.
Hildebrand: Nein, aber es ist klar, dass ich nicht innerhalb von ein, zwei Wochen wieder dabei sein werde. Ich habe ein halbes Jahr nicht gespielt. Wir werden sehen, was passiert. Meine Priorität liegt ganz klar hier. Ich will dort anknüpfen, wo ich in Stuttgart aufgehört habe. Und ich will das, was hier passiert, miterleben. Ich will lernen.
kicker: Was kann ein Timo Hildebrand mit 29 Jahren noch lernen?
Hildebrand: Es ist auch für mich eine neue Herausforderung. Das zukunftsorientierte System und das Konzept, wie hier gearbeitet wird, ist richtig professionell. Es ist kein Zufall, dass Hoffenheim dort oben steht. Es wäre fatal zu sagen, ich wüsste schon alles. Auch mit 29 Jahren bin ich noch lernfähig.
kicker: Sie haben sich von Ihren Beratern, unter anderem Dusan Bukovac, getrennt. Warum?
Ich bin keiner, der nachtritt. Auch in Valencia nicht. Das ist nicht meine Art.
Timo Hildebrand
Hildebrand: Ich habe im Sommer einfach entschieden, mich neu aufzustellen.
kicker: Der Wechsel kam erst durch Ihr neues Umfeld zustande.
Hildebrand: Es war eine Etappe, die ich beenden wollte, weil es einfach nicht mehr gepasst hat. Der Wechsel kam aber auch zustande, weil ich es unbedingt wollte.
kicker: Was passte konkret nicht?
Hildebrand: Konkreter gibt es dazu nichts zu sagen. Ich bin keiner, der nachtritt. Auch in Valencia nicht. Das ist nicht meine Art.
kicker: In Stuttgart waren Sie einer der "Jungen Wilden", hier in Hoffenheim sind Sie deren Anführer.
Hildebrand: Ist doch super. Die Jungs sind alle hochmotiviert, geben Vollgas. Ich werde erst mal viel aufnehmen und lernen. Und mit meiner Erfahrung aus dem Ausland kann ich einiges beitragen und den Jungen helfen. Ich habe ein paar internationale Spiele gemacht, war bei einem internationalen Topklub. Die meisten hier in Hoffenheim stehen am Anfang ihrer internationalen Karriere. Aber ich werde mich hier bestimmt nicht als Star aufspielen.
kicker: Wie sehen Sie Ihre Rolle?
Hildebrand: Ich sehe mich gefordert, die jungen Spieler mit zu führen. In Stuttgart war ich ein Führungsspieler und ich werde auch hier in Hoffenheim versuchen, mich einzubringen. Ich sehe mich als Teamspieler und möchte der jungen Mannschaft als erfahrener Torwart die letzte Stabilität verleihen. Ich hoffe, dass ich das leisten kann.
Uwe Röser